Auf in unbekanntes Terrain!

Der kleine Ort Rheinau auf der Schweizer Seite des Hochrheins wagt ein Experiment: Man will es mit dem bedingungslosen Grundeinkommen mal probieren. Auslöser war ein Aufruf der Filmemacherin Rebecca Panian. Eine wichtige Frage ist allerdings noch offen

 
Foto: wer für econo
 

Rheinau. Die Schwüle drückt an diesem Nachmittag auf den kleinen Ort Rheinau. Nur wenige Menschen sind auf der Dorfstraße unterwegs, dafür sind die beiden Biergärten gut gefüllt. Die Stimmung ist locker, das selbst gebraute Bier mundet an solchen Tagen noch ein wenig besser. Die Gespräche an den Tischen drehen sich um viele Themen, natürlich leichte zumeist.

Das eigentliche Thema, weswegen der Ort es in diesen Tagen zu einer kleinen medialen Berühmtheit gebracht hat, das wird indes nicht besprochen. Auch die Mutter mit ihrem Sohn, die auf der Dorfstraße vom Rhein gen Oberdorf unterwegs ist, oder der Mann auf dem Friedhof, winken wie die Besucher im Biergarten freundlich ab. Das Grundeinkommen? Nein, nicht wirklich ein Thema, mal schauen, interessant zwar, aber man wolle erst einmal sehen…

Die Erfahrung deckt sich mit dem, was die "Neue Zürcher Zeitung" wenige Tage zuvor aus der Gemeindeversammlung berichtete. 62 Besucher seien dabei gewesen, als der Gemeinderat verkündet hat, Rheinau wolle das bedingungslose Grundeinkommen testen. Die Bürger seien interessiert gewesen, so die Beobachtung der "NZZ", kontrovers sei es aber auf gar keinen Fall zugegangen. Dabei hatten sich die Schweizer in einem Bürgerentscheid gut zwei Jahre zuvor noch mehrheitlich gegen ein Grundeinkommen ausgesprochen, die Rheinauer sogar mit 72 Prozent. 

Warum also die Offenheit in Rheinau? Laut "NZZ" habe ein Bürger es so zusammengefasst: "Rheinau ist durchaus eine spezielle Gemeinde und offen für solche Projekte." Und der Gemeindepräsident Andreas Jenni kommentierte das Vorhaben: "Wir zeigen uns nicht nur fortschrittlich, wir sind es auch." 

Damit zunächst mal einen Blick auf die Gemeinde. Rheinau liegt kurios in einer schmalen Schleife des Rheins beinahe vollständig umgeben von deutschem Gebiet. Jestetten und das Klettgau umfließen geografisch den Ort mit seinen 1300 Einwohnern jenseits des Rheins, die Stadt Schaffhausen und der Rheinfall sind gut sechs Kilometer Flussaufwärts entfernt. Die Lage auf einer Bergflanke mit Ober- und Unterdorf samt ehemaliger Klosteranlage auf einer Insel im Rhein ist mit idyllisch genau richtig umschrieben.

Besagte Klosteranlage ist es auch, für die der Ort bislang vor allem bekannt ist. Zwar steht seit Jahren ein Gutteil der Räume leer, nach dem die Psychiatrische Universitätsklinik Rheinau diesen Bau aufgegeben hat und sich auf die Bergflanke zurückzog. Dennoch besichtigen tausende Besucher pro Jahr die barocke Pracht des Kleinodes mit seinen charakteristischen Doppeltürmen. Die "Rheinauer Konzerte" tragen zur Bekanntheit natürlich ebenfalls bei – sie gelten als kulturelles Highlight sogar hier im verwöhnten "Zürcher Weinland".

Kurzum, Rheinau ist mit seinen Strukturen eine ganz normale Kleinstadt – eine "Mini-Schweiz", wie es immer wieder charakterisiert wird.

Genau das kam der Filmemacherin Rebecca Panian zu Ohren. Die Wahl-Berlinerin und gebürtige Schweizerin hatte sich nach dem gescheiterten Volksentscheid geärgert. Vereinfacht gesagt wollte sie nicht, dass die gut 500.000 Stimmen pro Grundeinkommen unter den Tisch fallen. Sie wollte den Drive nutzen. Also suchten Panian nach einem Ort, der a) bereit war sich auf das Experiment einzulassen und b) möglichst repräsentativ für die Schweiz ist. Mehr als 100 Bewerbungen gingen ein, Rheinau wurde ausgewählt. Passt. Die Bürger sind gespannt.

Doch was ist die Motivation? Die hat auf beiden Seiten, auf Seiten des Projektteams um die Filmemacherin Panian sowie auf Seiten der Gemeinde mit jenem Fortschritt zu tun, den auch Gemeindepräsident Jenni genannt hat: Die Digitalisierung verändert zunehmen die traditionelle Erwerbsarbeit – und das bislang erlebte ist nach Einschätzung von Experten erst der Anfang. In 15 bis 20 Jahren stehen laut unterschiedlichsten Studien für beinahe alle Berufsbilder deutliche Veränderungen an. Am Ende werden weniger und andere Berufstätige benötigt.  

Das Grundeinkommen wird dabei immer wieder als Ausgleich ins Spiel gebracht. Der Gründer der Drogeriemarkt-Kette DM Götz Werner ist dabei nur der prominenteste Verfechter. Auffallend häufig sind es generell Vertreter großer Unternehmen, die eine Beschäftigung mit dem Thema fordern.

Übrigens auch der Aufsichtsratschef des IT-Dienstleister GFT Ulrich Dietz im econo-Interview

Allerdings hat das Grundeinkommen bislang eine großes Manko: Es existiert als theoretisches Konzept, aber in der Praxis hat es sich noch nicht wirklich beweisen müssen. Abgesehen von einigen Ansätzen in Afrika, die positiv ablaufen. Oder einer privaten Initiative in Berlin, die per Crowdfunding eingesammeltes Geld an Bewerber ausgibt: ein Jahr jeden Monat eintausend Euro pro Gewinner. Auch hier sind die Ergebnisse vielversprechend. Und einem größeren Ansatz in Finnland – der allerdings von Seiten der Regierung just gekappt wurde, als weitere Personenkreise aufgenommen werden sollten, um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten.

Jetzt also der Aufschlag in Rheinau. Ende August will die Initiatorin Panian die Einwohner über die Details informieren, dann kann man sich (jedenfalls alle Rheinauer, die dort vor dem 5. Juni schon gewohnt haben) auch anmelden. Sie hofft, dass mindestens die Hälfte der Einwohner an dem freiwilligen Experiment teilnimmt: Ab 2019 sollen dann jeden Monat im Schnitt 2500 Schweizer Franken (2150 Euro) ausbezahlt werden, Kinder erhalten anteilig weniger und wer mehr verdient, muss zurückzahlen. Ein Jahr will man das Projekt laufen lassen, wissenschaftlich ebenso begleitet wie von der Kamera der Filmemacherin.

Damit zurück zur Gelassenheit der Rheinauer an diesem schwülen Tag. Jetzt warten wir erst einmal ab, hört man an diesem Nachmittag häufig. Gesagt mit einem neugierigen, keinem abwertenden Unterton, dafür aber mit der gehörigen Portion Ruhe und Langmut, der Menschen in idyllischen Gegenden eint. 

Denn: Eine gewissen Vorfreude ist spürbar, was so ein Grundeinkommen bringen mag, welche Möglichkeiten es eröffnet. Doch um es wie geplant durchziehen, braucht es eben vor allem eines – Geld. Drei bis fünf Millionen Franken lauten die Berechnungen, je nach dem, wie viele Rheinauer mitmachen wollen. Eine Summe, die die Initiatorin Panian nicht hat. Noch nicht hat. Per Crowdfunding sucht sie Unterstützer. Ob sich Panian damit übernimmt? "Wenn alle Schweizer, die 2016 für das Grundeinkommen gestimmt haben, 20 Franken beisteuern, hätten wir die Summe beisammen." Optimismus ist jedenfalls vorhanden. 

Gemeindepräsident Jenni – übrigens vor zwei Jahren ein Gegner der Initiative – sieht dem Experiment mit Freude entgegen: So könne man über eine längeren Zeitraum realistisch testen und beobachten, was ein Grundeinkommen mit einer Gruppe mache.

Und wer weiß, vielleicht krempeln die Erkenntnisse aus dem beschaulichen Rheinau am Ende noch die Grundfesten der Sozialstaaten um. Darauf noch ein Selbstgebrautes!

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