Creative Hock#1 – Der Minikiez in der konservativen Kleinstadt

Das erste Afterwork-Treffen bot Inspiration pur: Sascha Mozdzierz sprach übers Machen und Hinfallen, Aufstehen und die Freude am Erfolg. Und wie man mit Perfektion und sozialen Medien auch Läden in Nagold einen urbanen Touch geben kann

 
Foto: Jigal Fichtner für econo
 

Villingen-Schwenningen. Afterwork im Kreativzenturm "Turm". Schon von weitem sichtbar, ist doch nicht erkennbar, was das Gebäude im Herzen zu bieten hat. Nach kurzer Fahrstuhlfahrt steht man unvermittelt in einer komplett entkernten Büroetage. Roher Beton, kein Hochglanz. Berliner Schick, improvisiert, flexibel, überraschend und vor allem: einladend! Kaminfeuer auf dem Bildschirm, Sofas, Schallplatten, auf den Holztischen frische Blumen, Brezeln und an der Bar "fritz" in allem Varianten. Dazu Paletten als Vortrags-Arena.

Das passt zum Motto der Reihe "Creative Hock" – einfach mal machen, schauen was passiert. Es geht um Austausch, Vernetzung, Reflexion, vor allem aber um Inspiration.

Econo-Chefredakteur Dirk Werner hat zusammen mit der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg für den Auftakt Sascha Mozdzierz eingeladen, den Vater von "USCHI" und "KLAUS" – Friseurgeschäft und Barbershop in einer Kleinstadt, genauer in Nagold. Und Mozdzierz erzählt: Über das mutige, weil neue Zusammenspiel aus Ladengeschäften, Pop-up-Stores, Shop-in-shop-Ansätzen, es geht um den perfekten Einsatz der sozialen Medien zur Umsetzung der Ideen. Es geht um seinen Alltag, wie er sein Handwerk angeht, wie – anders – er seinen Job macht. Aber auch ums Loslaufen, Hinfallen, Aufstehen, um fruchtlose Bankgespräche und die Euphorie, wenn es am Ende doch klappt.

Alles beginnt mit der Liebe zu Berlin und London als Kraftzentren, die Idee vom Machen und vom Kiez nimmt Mozdzierz, der BW'ler, Grafiker und Friseurmeister, mit in die Heimat. Doch wie bastelt man sich einen Minikiez in einer konservativen Kleinstadt?

Mit gutem Konzept und echtem USP – einigen Bier, einer Handvoll Gleichgesinnten und der urbanen "Lass uns einfach mal machen"-Attitüde! Das Credo: "Mutig, laut, anders." Das Ziel: "Make Handwerk great again."

"USCHI", der Friseurladen seiner Mutter bekam Sichtbarkeit und neues Leben eingehaucht. Das Setting: Neue Ladeneinrichtung im eigenen Look and Feel, viel unbearbeitetes Holz, viel Grün, unverwechselbar für eine genau definierte Zielgruppe. Geworben wird ohne Models, dafür mit Menschen aus der Nachbarschaft. Mozdzierz baut auf Authentizität: "Die ganze Bildsprache – das sind wir: Menschen aus Nagold, der Wald als Kulisse für Imagefotos und -filme vor der Haustür... "

Seine Strategie bedeutet Drehen an vielen Stellschrauben: Nachhaltige Lieferanten, eine enge Beziehung der Kunden zum Laden, ein veganes, tierversuchsfreies Sortiment, die konsequente, solide geplante Nutzung der sozialen Medien und klare Ziele für alle, die hier arbeiten. "Ich erfinde uns alle zwei Jahre neu. Das weiß das Team und trägt mein Konzept mit", so Mozdzierz. Die Bedeutung der sozialen Medien dabei ist groß: Hier baut man eine Community auf, Normalos zählen dazu, ebenso die hippen, urban inspirierten Leute. Und für diese Zielgruppe zählt ausschließlich professionelles Bildmaterial. Dafür kommt jeden Freitag eine Fotografin in die Salons, gerne mit einer Influencerin im Schlepptau. Die entstehenden Fotos sind als Posts penibel strukturiert und geplant – vom Farbton bis zum Datum des Postings.

Die Follower werden jeden zweiten Tag gepflegt – was nicht aus der Region ist, fliegt wieder raus. Ein befreundetes Modegeschäft ist bei all den Aktionen Partner. Von solch einer Kooperation haben schließlich  beide etwas. Mozdzierz weißt: "Und für die Mitarbeiter ist das Motivation. Wir haben jetzt die coolen, kreativen Menschen auf dem Stuhl, die auch mal einen besonderen Haarschnitt tragen möchten. Das macht Spaß!"

Der Aufwand dafür ist groß, allein das Bedienen der sozialen Medien summiert sich auf nahezu zwei Tage pro Woche. Der Erfolg gibt Mozdzierz aber recht: "USCHI" gibt es in Nagold und Rottenburg, 1.500 Kunden werden pro Monat bedient, mehr als 30 Mitarbeiter sind beschäftigt. Und aktuell wird am Standort Rottenburg der weitere Ausbau des Konzept geplant – "Aprilmädchen" ist die neue Marke fernab der Salonwelt, die Mozdzierz in gewohnter Art etablieren wird: Einfach mal ausprobieren!

Und "KLAUS", der Barbershop? Eine 80 Quadratmeter-Erfolgsgeschichte. Aus einer Bier-Laune wurde eine weit über Baden-Württembergs Grenzen bekannte Marke. Dafür zeugt das Setting – wie schon bei "USCHI" – von großer Konsequenz. Es gilt 'Laut' zu bleiben. Und es gilt ein Hausverbot für Frauen. Und es gibt nur zehn Haarschnitte, bildlich dargestellt auf einer Tafel. Hier wird schließlich das klassische Barbierhandwerk ausgeübt: Geschnitten wird kantig, klassisch. Wer es anders will, der geht eben zu "Uschi". Die Kunden lieben es – Wartezeiten von drei, vier Stunden? Gerne – schließlich ist das Bier kalt, das Ambiente cool, die Musik ebenso... Das ganze Setting wird zum Männerspielplatz.

Logisch, dass Mozdzierz den Zuspruch nutzt: Er hat eine eigene Pflegeserie für Männer entwickelt. "Ruderknecht" gibt's im "KLAUS" und online und verkauft sich wie geschnitten Brot. Jetzt entsteht ein Shop-in-shop-Konzept mit bekannten, dafür authentischen Marken. So dreht Mozdzierz sein Konzept weiter. Er beweist Mut, probiert aus, macht einfach: "Ich bin meinen Weg gegangen, bin mutiger als andere, ja sicher. Mutig, aber bodenständig!"

Aber was hat das nun mit dem Minikiez in der konservativen Kleinstadt zu tun? Erstens: Nach anfänglichem Kopfschütteln gilt vor allem "KLAUS" inzwischen sogar bei der Stadtverwaltung als Vorzeigeladen – Besuche von ausländischen Delegationen inklusive. Zweitens: Die "Machen"-Attitüde steckt an. Mozdzierz hat gemeinsam mit anderen Händlern in der Vorweihnachtszeit den Pop-up-Store "Nico X Laus" aufgemacht. Mitten in der Innenstadt. Eine wilde, bunte, laute, unfertige, zusammengezimmerte, inspirierende Mischung aus Laden, Café und Club – "an den Abenden tropfte das Wasser von der Decke, weil die Menge ausgelassen getanzt hat", schmunzelt Mozdzierz. Am Ende waren auch die Skeptiker überzeugt. Und das Image von Nagold wieder ein wenig Kieziger.

Bleibt abschließend die Frage: Woher holt ein Macher seine Inspiration? Klar, in Berlin und London. Doch Mozdzierz schwört noch auf etwas anderes: Seit einiger Zeit arbeitet er freitags im "KLAUS" mit, darf inzwischen auch öffentlich am Übungskopf arbeiten. "Das ist kein Spiel für mich, sondern Interesse am echten Barber-Handwerk. Denn das ist ganz anders als die Arbeit als Frisör. Außerdem macht es den Kopf frei. Man bekommt Platz für neue Ideen."

Machen, Ideen, Inspiration - Mozdzierz' Vortrag beim ersten "Creative Hock" sorgte für breite Diskussionen querbeet zwischen Künstlern und Handwerkern, Geschäftsführern und Hightech-Gründern. Ganz so, wie es gedacht war! Mitte des Jahres folgt bereits der nächste kreative Abend – Näheres in Kürze auf econo.de.

Bei Fragen rund um den "Turm" kontaktieren Sie einfach Econo-Chefredakteur Dirk Werner per Mail an: dwerner@econo.de

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