„War die Lifa überfordert? Ja, das kann man so sagen.“
Der neue Geschäftsführer Michael Nier über den Neuanfang bei Lindenfarb in Aalen
21.03.2018 | 10:48
Aalen. Wenn man als Finanzinvestor zu einer Traditionsfirma kommt, muss man erstmal gegen das Image einer Heuschrecke ankämpfen. Michael Nier kennt das. Seit der Übernahme durch Radial Capital ist der Finanzmanager Geschäftsführer des Textilveredlers Lindenfarb. Radial hat die Lifa von der Intensivstation geholt, Nier gibt jetzt den weiterführenden Arzt. Denn eins stellt er im Gespräch mit Philipp Peters klar: Gesund ist die Lifa noch nicht.
Herr Nier, wie wurden Sie als Investor bei Lindenfarb empfangen?
Michael Nier: Freundlich. Und das ist nicht selbstverständlich! Es ist immer eine schwierige Situation, wenn eine Firma aus der Insolvenz kommt und dann von einer Beteiligungsgesellschaft übernommen wird. Da dauert es eine Weile, bis das Vertrauen da ist. Weil unser Ansatz aber langfristig ist, wird sich das mit der Zeit geben. Die größten Hürden sind genommen.
Die Krise bei Lindenfarb hat rund ein Jahr gedauert. Ist die Firma heute gesund?
Nier: Nein. Aber sie steht auf einem guten Fundament. Die Gründe für die Insolvenz waren Managementfehler über mehrere Jahre hinweg. Jetzt steht ein Veränderungsprozess an. Lindenfarb hat aber eine gute Basis und eine vielversprechende Marktpositionen. Die Voraussetzungen sind also da, um aus der Lifa ein gesundes, gutes Unternehmen zu machen.
Was ist denn falsch gelaufen all die Jahre?
Nier: Viele Kleinigkeiten, das lässt sich nicht auf ein oder zwei Punkte beschränken. Es hat mit Kundenfokussierung zu tun, mit fehlenden Innovationen und Investitionen und mit vielen kleinen Punkten drumherum.
Kundenfokussierung – heißt das, die Firma war zu stark auf wenige Branchen ausgerichtet?
Nier: Nein, so war es nicht. Eine Fokussierung auf eine Branche und auch auf nur wenige Kunden sehe ich auch nicht als Nachteil.
Richten Sie Lindenfarb jetzt als Autozulieferer aus?
Nier: Dem werden wir uns nicht verschließen können. Der Umsatzanteil liegt schon heute knapp über 50 Prozent. Nach unseren Plänen und Vorgaben kann sich das ohne weiteres auf 70 Prozent erhöhen.
Ein Umsatz von 50 Millionen steht dann im Raum. Brauchen Sie diese Größe, damit Lindenfarb auch in seiner Angebotsvielfalt überhaupt funktioniert?
Nier: Nein, das geht mit weniger. Lindenfarb hat 2017 einen Umsatz von 32 Millionen Euro gemacht. Damit können wir gut arbeiten. Wir werden uns sukzessive und in gesunden Schritten in Richtung 40 Millionen entwickeln. Aber um 50 Millionen zu erreichen, sind definitiv weitere Investitionen notwendig. Wir haben das natürlich berücksichtigt, aber diese Größe ist in den nächsten fünf Jahren noch nicht vorgesehen.
Es gab auch schon vor der Insolvenz eine gute Auftragslage – aber Lieferrückstände. War Lindenfarb überfordet? Schlecht organisiert?
Nier: Das kann man so sagen. Lindenfarb hat deutlich mehr Aufträge in den Büchern gehabt, als Umsatz erlöst wurde. Das Interimsmanagement um den Sachwalter hat im vergangenen Jahr sehr viel aufgearbeitet und echte Fortschritte erreicht. Vieles davon war aber kurzfristig angelegt – um den Verkauf zu forcieren. Nur so konnte Lindenfarb überleben. Lieferzeiten sind ein Thema im Kundenservice, den wir in diesem Jahr stark verbessern wollen.
Die Geschichte des Unternehmens reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück. Tradition ist schön, aber sie kann stören, wenn man Dinge verändern will. Wie haben Sie es erlebt?
Nier: (lacht) Das kann man nicht besser auf den Punkt bringen.
Haben Sie denn jetzt alle überzeugt?
Nier: Nein. Wir sind jetzt drei Monate am Ruder. Vertrauen aufzubauen, dauert länger. Das ist Teil des Change Managements. Ein Prozess, der über Jahre angelegt ist. Die größten Schritte finden natürlich am Anfang statt – im ersten Jahr. Danach geht es behutsam weiter – Schritt für Schritt in die richtige Richtung.
Nicht jeder macht diese Veränderungen mit. Bei Lindenfarb sind seit dem Insolvenzantrag rund 100 Stellen weggefallen, darunter 38 betriebsbedingte Kündigungen. Erfolgen weitere Einschnitte beim Personal?
Nier: Wir werden uns definitiv in den nächsten Jahren von keinem Mitarbeiter mehr trennen. Wir wollen den Umsatz steigern und werden dafür auch mehr Mitarbeiter brauchen. Wie schnell das geht, hängt vom Erfolg ab.
Gibt es einen Betriebsrat?
Nier: Ja. Und eine Tarifbindung.
Das hilft, wenn man Arbeitsplätze schaffen will, oder?
Nier: Korrekt. Wir haben keinerlei Interesse die Belegschaft zu reduzieren. Wir haben aktuell etwa 300 Mitarbeiter und suchen nach Möglichkeiten, auf 350 aufzustocken. Innerhalb einer gesetzten Frist.
Über welche Zeitspanne reden wir? Ein Jahr? Zwei? Sechs Wochen?
Nier: Oberste Priorität ist zurzeit, die Produktivität zu steigern. Wir wollen das Produktionsvolumen erhöhen, zum Beispiel über Schichtbetrieb. Im Moment laufen wir mit manchen Maschinen nur in einer Schicht. Mit anderen zwei, mit manchen drei. Eine höhere Auslastung ist ein kurzfristiges Ziel.
Produktivität erhöht man aber auch über leistungsfähigere Technik und schlankere Prozesse. Das schafft nicht unbedingt neue Jobs.
Nier: Richtig. Die Prozesse haben zurzeit oberste Priorität, dann kommt die Technik. Und im Mittelpunkt stehen die Mitarbeiter.
Was ist aus dem Betrieb im Erzgebirge geworden?
Nier: Da er nicht zum Verkauf stand, haben wir ihn nicht übernommen. Die Firma war ja auch nicht insolvent. Sie gehört weiter den bisherigen Eigentümern.
Herr Nier, vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person
Michael Nier, 51, ist seit zwei Jahren bei Radial Capital, dem neuen Eigentümer von Lindenfarb. Er pendelt seinem Wohnort bei Frankfurt, der Lifa in Aalen-Unterkochen und der Oekatech in Bamberg, einer weiteren Radial-Beteiligung. Nier ist verheiratet und Vater von zwei erwachsenen (Söhnen/Mädchen?).
Zum Unternehmen
Lindenfarb hat seine Wurzeln im 18. Jahrhundert. Heute ist die Firma aus Aalen-Unterkochen der nach eigenen Angaben größte unabhängige Textillohnveredeler Europas und Marktführer für Maschenware. Das Unternehmen veredelt vorwiegend technische Textilien wie Stoffe für Auto-Dachhimmel. Am 2. Dezember 2016 hatte Lindenfarb eine Insolvenz in Eigenregie beantragt. Am 10. Oktober 2017 wurde der Verkauf an Radial Capital Partners bekanntgegeben. Mit gut 300 Mitarbeitern hat die Firma zuletzt – trotz Insolvenz – einen Umsatz von 32 Millionen Euro erlöst.
Zum Investor
Radial Capital Partners wurde vor vier Jahren von Ulrich Radlmayr und Andreas Mayr gegründet, beide sind langjährig erfahrenen Private-Equity-Manager. Der Münchener Investor beteiligt sich branchenübergreifend und mehrheitlich an Konzerngesellschaften und mittelständischen Unternehmen in Sonder- und Umbruchsituationen mit Jahresumsätzen zwischen 10 und 250 Millionen Euro.