Anders sein – erfolgreich sein
Von Kröten, Perlen und weißen Flecken auf der Landkarte: Erich Harsch, Chef der größten deutschen Drogeriemarktkette DM aus Karlsruhe, im großen Econo-Interview
rosc
14.09.2012 | 16:38
Karlsruhe. Ein bisschen anders ist bei DM alles. Das Büro des Chefs zum Beispiel. Nüchterner eingerichtet als in anderen Firmen. Kleiner sowieso. Von einem Nebengebäude der DM-Zentrale lenkt Erich Harsch die Geschicke der Drogeriemarktkette. Trotz des Andersseins: Harsch eilt von Rekord zu Rekord. Im Interview mit Econo erklärt der Österreicher, wie DM weiter wachsen soll, welche Konsequenzen aus der Schlecker-Pleite folgen und warum er im Kampf um die „Ihr-Platz“-Filialen im Hintertreffen steckt.
Herr Harsch, DM hat ehrgeizige Wachstumsziele: 2012 wollen Sie in Deutschland mehr als 1000 Mitarbeiter einstellen, mehr als 100 Filialen eröffnen. Wo wollen Sie wachsen, im noch unterrepräsentierten Norden der Republik oder in erschlossenen Regionen?
Erich Harsch: Das Wort Wachstumsziel gibt es bei uns nicht. Wachstum ist der Erfolg. Und der Erfolg folgt der Anstrengung, dass wir für möglichst viele Kunden erreichbar sein wollen. Es gibt dabei keine geografische Wachstumsstrategie, sondern wir realisieren die Objekte, die für uns sinnvoll sind, unabhängig von Regionen. Wir wollen organisch wachsen, also verdichten und zugleich das Verbreitungsgebiet erweitern. Was sich dann daraus und aus der Leistung für unsere Kunden ergibt, ist unser Wachstum. Was unsere aktuelle Entwicklung betrifft: Wir werden 2012 mehr als 2000 Mitarbeiter einstellen und bis Jahresende mehr als 130 neue Filialen eröffnen.
Ihr Ziel ist doch, Deutschland so erschlossen zu haben, dass?…
…?unser Ziel ist, möglichst vielen Bürgern, im Idealfall jedem Bürger, einen DM-Markt in erreichbarer Nähe zu bieten, um dort einzukaufen. Da haben wir noch genügend weiße Flecken auf der Deutschlandkarte.
Welche weißen Flecken haben Sie im Fokus?
Die weißen Flecken sind mittlerweile zumeist Mikroflächen. Nürtingen ist ein schönes Beispiel. Mitten in einer gut erschlossenen Region haben wir bislang kein geeignetes Objekt gefunden. Im Norden gibt es noch wenige Makroflächen, etwa in Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern, wo wir erst spät angefangen haben. Es ist richtig, dass wir uns auch da verdichten. Wir denken aber nicht in Arealen, sondern – wie bereits erwähnt – immer nur für einzelne konkrete Möglichkeiten für neue DM-Märkte.
Gibt es eine konkrete Zahl an Filialen, die der deutsche Markt verträgt?
Das verdichtetste Gebiet ist Karlsruhe. Wir wissen, was wir hier erwirtschaften. Jetzt könnte man sich fragen: Vielleicht kann man überall so viel Umsatz pro Einwohner erwirtschaften wie hier? Legt man diesen Maßstab an, haben wir Potenzial für weitere 800 bis 900 Filialen in Deutschland. Ich bin aber vorsichtig mit langfristigen Prognosen. Wir machen in unserer Stammregion heute mehr Umsatz als wir es uns vor zehn Jahren haben träumen lassen. Und durch das Aus von Schlecker sind Versorgungslücken entstanden, die wir mit unseren Märkten schließen können. Wir müssen unser Augenmerk auf die Möglichkeiten der Gegenwart und das Antizipieren der näheren Zukunft legen – und dann die Chancen nutzen, die sich bieten. Wenn man an Vorstellungen hängt, die sich zehn Jahre in der Zukunft abspielen, ist die Gefahr groß, dass man die Gegenwart nicht mehr so sieht, wie man es sollte.
Bei den Umsatzwachstumsraten gehen Sie und Rossmann derzeit im Gleichschritt?...
Prozentual ja, aber wenn man weiß, dass die Ausgangsbasis bei DM höher ist, könnte man daraus schließen, dass es in absoluten Zahlen anders aussieht (lächelt).
Dennoch: Ist Rossmann der einzige verbliebene ernst zu nehmende Konkurrent?
Nein, überhaupt nicht. Müller ist natürlich auch einer. Dazu kommen die Verbraucher- oder Supermärkte. Die Markenartikel, die wir verkaufen, gibt es auch anderswo. Insofern wird der Wettbewerb auch nach dem Ausscheiden von Schlecker hart bleiben. Schlecker war zudem in den vergangenen Jahren kein ernst zu nehmender Wettbewerber mehr.
Die Rossmann-Gruppe hat in den vergangenen zehn Jahren beim Umsatz enorm zugelegt. 2001 lag der Umsatz noch bei der Hälfte von DM, 2006 hat Dirk Roßmann sogar angekündigt, DM zu überholen?…?
Davon spricht Herr Roßmann schon lange. Wenn man sich die absoluten Zahlen und die Marktanteilsentwicklungen in den vergangenen Jahren anschaut, stellt man fest, dass der Abstand eher wieder größer geworden ist. Rossmann hat aufgrund von Übernahmen eine gute Entwicklung hinter sich. Generell gilt aber: Wir orientieren uns nicht an anderen, sondern achten darauf, dass wir uns gesund entwickeln.
Die Lebensmitteleinzelhändler entdecken Drogerieartikel vermehrt als Umsatzbringer. Viele bauen Ihr Sortiment aus. Wie reagiert man darauf?
Für die Lebensmitteleinzelhändler sind Drogerieartikel ein Mitnahmesortiment. Unsere drogistische Kompetenz führt dazu, dass wir von diesen Initiativen recht wenig bemerken. Das dokumentiert unser Wachstum und das soll auch so bleiben.
Sie haben recht offensiv angekündigt, 60 bis 80 „Ihr Platz“-Filialen kaufen zu wollen. Stand jetzt: Sie haben neun übernommen. Rossmann inzwischen mehr als 100. Ein Rückschlag?
Nein. Es gibt viele Standorte, die nicht das nötige Potenzial haben. Wir waren nicht bereit, viele Kröten zu schlucken, um ein paar Perlen zu bekommen. Das hat Rossmann anders gehandhabt. Unsere Linie ist es, keine Standorte zu übernehmen, die uns langfristig schwächer machen. Diese Linie garantiert ein gesünderes und stabileres Filialnetz.
MäcGeiz hat mehr als 100 „Ihr Platz“-Filialen im Nordosten Deutschlands übernommen, einer Region, in der Ihre Marktposition ausbaufähig ist. Woran hat es gehakt??
Das müssen Sie den Insolvenzverwalter fragen. Ich gehe davon aus, dass ähnlich wie bei der Übernahme durch Rossmann eine Paketlösung gefunden wurde mit vielen Standorten, die für uns nicht infrage kamen. Diese Paketgröße war ausschlaggebend. Die Insolvenzverwaltung hat uns keine großen Pakete angeboten. Und die von uns gewünschten Pakete waren nicht so groß. Deshalb sind wir nicht zum Zug gekommen.
Ist das Thema „Ihr Platz“ durch?
Das wird man sehen. Es ist alles im Fluss.
Der Konzentrationsprozess im Drogeriesegment ist massiv. 2000 gab es acht Drogerieketten, nun sind es drei. Durch Übernahmen ist DM im Gegensatz zu Rossmann bislang noch nicht aufgefallen. Warum?
Weil wir Freunde des organischen Wachstums sind. Wir machen das, was aus der eigenen Entwicklung sinnvoll hervorgeht. Wir haben 1981 etliche Standorte der Vita-Gruppe der Metro und 2005 37 Idea-Drogeriemärkte übernommen. Dort haben wir uns die passenden Standorte herausgesucht. Alles andere machen wir nicht. Das ist nicht unsere Welt.
Sie kooperieren mit Amazon, haben sich auch die Bücher der Schlecker-Online-Tochter angeschaut. Lässt sich im Internet überhaupt Geld mit Drogeriewaren verdienen?
Im Moment nicht. Der Wettbewerb ist hart, die Spannen so gering, dass sich der logistische Eigenanteil des Kunden nicht finanzieren lässt. Deshalb ist der Zweig wenig profitabel. Firmen, die scheinbar erfolgreich waren, haben dort alles Mögliche verkauft, vom Staubsauger bis zu Wein. Das ist nicht unsere Art des Geschäfts. Wir schwächen unsere drogistische Kompetenz nicht durch Ablenkung.
Das Thema Online-Vertrieb hat sich also für Sie erledigt?…?
So möchte ich das nicht sagen. Der Online-Bereich wächst. Was Nische bleibt oder Mainstream wird, muss man sehen. Wir sind hart am Ball, auch durch unsere Kooperation mit Amazon. Bei der Frage, ob wir selbst etwas auf den Weg bringen, möchte ich zwar nichts ausschließen, aber auch keine Gerüchte nähren. In dem Bereich muss man aufpassen, sich wirtschaftlich keine blutige Nase zu holen. Das Letzte, was wir wollen, ist, die stationären Preise zu erhöhen, um den Online-Bereich zu subventionieren. Das kommt nicht infrage.
Wie zufrieden sind Sie mit der Kooperation mit Amazon??
Es gibt eine ordentliche Entwicklung, auf dem Niveau, wie wir es auch erwartet haben. Wir konzentrieren uns bei Amazon auf unsere Qualitätsmarken. Die Erwartungen waren nicht übertrieben.
Ihre internationale Expansion treiben Sie in Osteuropa voran. Auch Ihr Konkurrent Rossmann meidet den Westen und expandiert lieber im Osten. Woher rührt die Abneigung deutscher Drogerieketten gegen den Westen Europas??
Drogeriemarkt ist keine gesamteuropäisch verbreitete Vertriebsform. In west- und südeuropäischen Ländern gibt es sie nicht. Das gilt zwar auch für Osteuropa. Aber dort, in den Pioniermarktwirtschaften, rechnen wir uns bessere Chancen aus als in den gesättigten westlichen Märkten. Dort würde sich eine neue Vertriebsschiene sehr viel langsamer durchsetzen, weil die Kunden ihre gelernten Pfade haben.
Die Expansion wird von Ihrer österreichischen Tochterfirma geplant. Warum nicht in Karlsruhe?
Das hat historische Gründe. In Österreich kamen wir Anfang der 1990er-Jahre an unsere Wachstumsgrenzen. Deshalb haben die Kollegen nach der Wende die Chance ergriffen, die sich damals bot. Eine vergleichbare Situation hatten wir in Deutschland nicht. Hier können wir den hiesigen Markt verdichten und wir hatten Ostdeutschland als Expansionsgebiet. Deshalb stellte sich die Frage der internationalen Expansion nicht.
Also ist der Rest des Kontinents per se nicht interessant?
Im Moment nicht. Das muss aber nicht so bleiben.
Welche Länder folgen nach der DM-Logik nach Bulgarien und Rumänien?
Wir haben im Mai zwei DM-Märkte in Mazedonien eröffnet. Das ist das nächste Land. Wir gehen immer bedacht und sukzessiv vor. Ein neues Land ist jedes Mal eine große Investition, die nicht einfach so aus dem Ärmel geschüttelt werden kann. Erst wenn wir uns in einem Markt etabliert haben, sind wir bereit, das nächste Land anzugehen.
„Mit Geld motiviert man nicht“, lautet eines Ihrer bekanntesten Zitate. Sie haben dennoch intensiv darauf hingewiesen, dass Schlecker nicht besser als DM bezahlt, als entsprechende Gerüchte aufkamen. Wie wichtig ist denn nun der monetäre Anreiz bei der Motivation von Mitarbeitern?
Als Motivation ist er nicht wichtig, aber als Hygienefaktor. Wenn die Hygiene nicht stimmt, kann das zu Demotivation führen. Hygiene heißt für mich, dass wir den Tarif einhalten und die meisten unserer Mitarbeiter mehr verdienen, als dieser vorsieht. Ich bin überzeugt, dass Produktivität nur von vernünftig bezahlten Mitarbeitern erreicht wird. Gehaltskosten zu sparen, um damit die Preise zu senken, das entspricht nicht unserer Vorgehensweise. Die Motivation muss aus der Aufgabe, aus den Rahmenbedingungen, aus der Freude am Gestalten heraus kommen.
Sie sind jetzt seit 31 Jahren bei DM. Haben Sie nicht Angst, betriebsblind zu werden??
Klar. Ständig. Ich begebe mich deshalb dauernd auf Wahrnehmungsreise, um mir Anregungen und Impulse von außen zu holen. Die grundsätzliche Haltung ist wichtig. Man muss sich am eigenen Schopfe packen und die Offenheit in der Wahrnehmung wahren. Das gilt aber nicht nur für Erich Harsch, sondern für alle bei DM. Von den Ergebnissen her scheint uns das ganz gut gelungen zu sein.