Büsingens Dilemma

Der kleine Ort am Hochrhein hat ein Problem – er ist eine Exklave, die einzige der Bundesrepublik. Das sorgt für gravierende Probleme mit dem deutschen Fiskus. Bürgermeister Markus Möll hofft jetzt auf Beistand durch Finanzminister Olaf Scholz. Sonst wird der Ort zum Renterparadies

 
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Büsingen. Wer die Besonderheit von Büsingen wirklich erleben will, der darf nicht mit dem Schiff kommen. So schön die Fahrt auf dem Rhein zwischen Konstanz und Schaffhausen auch ist – Kenner sprechen gar von einer der schönsten Flusslandschaften in Europa – sie bringt keinen Erkenntnisgewinn. Also rein ins Auto, rauf auf die A81 und in Richtung Kreuz Hegau gestartet, dort gen Singen abgebogen, weiter in Richtung Gottmadingen und dann aufgemerkt! Die Landschaft wird hügelig-lieblich, die Straßen sind kurvig-schnittig, wichtiger aber: Man hat bald schon keine Ahnung mehr, ob man dies- oder jenseits der Grenze zur Schweiz unterwegs ist. Der Verlauf kennt hier nur eine Richtung: Zickzack.

Wenn man die Bergkirche St. Michael und damit das Wahrzeichen von Büsingen passiert, kann man sich wieder sicher sein, man ist in der Bundesrepublik, genauer im Landkreis Konstanz. Das Hoheitsschild zeigt das unmissverständlich.

Damit willkommen in Büsingen!

1429 Einwohner gab es Anfang 2017 laut Statistischem Landesamt in der einzigen Exklave der Bundesrepublik: Der Ort ist vollständig von der Schweiz umgeben, liegt vor den Toren von Schaffhausen. Das merkt man sofort beim Rundgang – beinahe alles ist Bi-National. Touristische Wegweiser sind schweizerisch, die Bushaltestelle wird von der deutschen Buslinie bedient, die Büsinger dürfen ein eigenes Kennzeichen verwenden – "BÜS" – und der Schweizer Franken ist das Zahlungsmittel der Wahl. Was man beim Besuch der Pizzeria mit ihrem herrlichem Rheinblick nach dem Essen zu spüren bekommt. 

Auf alle Fälle ist das alles geregelt in einem Staatsvertrag aus dem Jahr 1964. Fünf Jahre haben die Verhandlungen zu dem Dokument zwischen der Schweiz und Deutschland gedauert, das für Büsingen inzwischen Fluch und Segen zugleich ist. Penibel wird darin beispielsweise die Zahl der Polizisten und deren Kompetenzen geregelt. Und dass die Landwirte Subventionszahlungen aus der Schweiz erhalten (was ein Vorteil ist). Und dass das Schweizer Zoll- und Wirtschaftsrecht greift, aber die direkten Steuern an den deutschen Fiskus bezahlt werden müssen. 

Für Bürgermeister Markus Möll beginnen an dieser Stelle die Probleme. Denn: Die allermeisten Einwohner arbeiten in der Schweiz und erhalten den Lohn in Franken ausbezahlt. Das bedeutet vereinfacht ausgedrückt: Sie zahlen die hohen Einkommenssteuersätze der Bundesrepublik und berappen dann noch die hohen Lebenshaltungskosten der Schweiz. Die Wechselkursschwankungen seit 2011 und mehr noch nach der Freigabe des Wechselkurses Anfang 2015 haben die Situation deutlich verschärft. Das Dilemma umgehen und beispielsweise einfachen Deutschland einkaufen? Nur bedingt möglich. Es gelten immerhin die Sollbestimmungen der Schweiz zur Wareneinfuhr.

Die Folge? Laut Möll gibt es eine klare Abwanderungstendenz vor allem jüngerer Einwohner. Dank der Personenfreizügigkeit gibt's da keine großen Hürden mehr. Der Bürgermeister gibt die aktuelle Einwohnerzahl mit noch 1350 an. Also eine klare Tendenz – abwärts. Die Steuerlast macht den Ort eben nicht mehr attraktiv. Da mögen Landschaft und Rhein noch so lieblich sein.

Deshalb hat der Schultes eine klare Forderung: Weg mit der Einkommenssteuerpflicht für Büsinger, am liebsten ganz raus aus dem deutschen Steuersystem! Möll hat den Zeitpunkt für seinen neuerlichen Vorstoß bewusst gewählt: Die Finanzminister saßen in dieser Woche ohnehin zusammen, um über die Zukunft der Grundsteuer zu beraten. Auf die verzichtet die Exklave aufgrund des Steuerdrucks aber ohnehin schon – was einen absoluten Sonderfall darstellt und andere Kommunen in den Ruin stürzen würde! Und mehr noch drückt die schuldenfreie Kommune die Gebühren wo es nur geht nach unten, um ja die Attraktivität zu wahren. Zuweisungen aus der Schweiz machen es möglich.

Der prominente Vorstoß von Möll hat was von finalem Aufbegehren: "Bisher sind unsere Argumente in Berlin verpufft. Wir hoffen jetzt auf eine Lösung durch Finanzminister Olaf Scholz."  

Im Finanzministerium waren hingegen die ersten Reaktionen, positiv ausgedrückt, verhalten: In Berlin verweist man auf mögliche Forderungen anderer grenznahen Gemeinden, ergo eine Art Dominoeffekt. Zudem sei der steuerliche Freibetrag speziell für die Büsinger bereits 2015 um 50 Prozent erhöht worden. Ein kleines Zugeständnis gibt es indes: Das Finanzministerium hat eine Prüfung der Situation und eine eventuelle Anpassung für 2020 in Aussicht gestellt.

Den Bürgermeister ficht das indes nicht an. Er hält das Thema weiter am köcheln. Das hat nichts mit Starrsinn zu tun, sondern ist eine Art Überlebensstrategie für den Ort. Was die nackten Zahlen zu den Einwohnern nämlich nicht verraten: Hinter den hübsch renovierten Fassaden wohnen immer häufiger Senioren aus der Schweiz. Für die besteht die Steuerproblematik nämlich nicht. 

Der Altersdurchschnitt liegt aktuell laut Bürgermeister Möll bereits bei 56 Jahren, Tendenz steigend. Damit sichert sich der Ort einen Spitzenplatz in der Bundesrepublik.

Was das mit einem Ort macht, der ohnehin aufgrund der Lage und Größe beispielsweise nur über eine spärliche Infrastruktur verfügt, was es mit der Abhängigkeit von Schlüsselzuweisungen auf sich hat und für die Zukunft des kleinen Kindergartens und der Grundschule mit 44 Schülern in vier Klassen bedeutet, darüber kann man bei der Heimfahrt nachdenken. Empfohlen sei übrigens die Fahrt über die Höri gen Radolfzell. Mehr malerische Landschaft geht kaum.

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