Das Corona-Trio
Die Wirtschaft im Land befindet sich immer stärker im Krisenmodus. Flip, Physik Instrumente und Binder profitieren hingegen in einem positiven Sinne von der aktuellen Lage
red
19.03.2020 | 12:30
Stuttgart/Tuttlingen/Karlsruhe. "Es geht bei uns ab wie Schmidts Katze", fasst Benedikt Ilg die aktuelle Situation in seinem Unternehmen so unkonventionell wie knapp zusammen. Ilg hat mit Giacomo Kenner das Start-up Flip gegründet: Das Duo bietet verkürzt gesagt Unternehmen eine Art Whats-App für die interne Kommunikation und den Austausch von Daten. Da Homeoffice bei vielen Unternehmen bundesweit hoch im Kurs steht, wird der Flip-Dienst gerade mehr denn je gefragt: "Das Telefon steht nicht mehr still".
Ilg und Kenner haben das Unternehmen 2018 in den "Code_n_Spaces" im Umfeld des IT-Spezialisten GFT in Stuttgart gegründet – und eine Reihe großer Investoren überzeugt: Im Februar hat Flip 3,6 Millionen Euro an Gelden eingesammelt, darunter von Persönlichkeiten aus Konzernen wie BASF und Magna. Damit wollte man auch den weiteren Aufbau des Unternehmens finanzieren – die Zahl der Mitarbeiter sollte allmählich im Verlauf das Jahres von derzeit 30 auf 60 verdoppelt werden. Nun müsste es angesichts der Anfragen eigentlich viel schneller gehen.
Der Grund für den Erfolg von Flip liegt in der Abgrenzung zu Anbietern wie Microsoft mit Teams oder Slack und eben Whats-App. Die sind zwar allesamt deutlich größer und kapitalstärker, die Stuttgarter haben ihre Dienste aber streng gemäß der DGSVO aufgebaut und hosten zudem in Deutschland. Ilg: "So können wir den optimalen Datenschutz gewährleisten."
Damit hat Flip bereits Kunden wie Porsche, Edeka, Bauhaus und Wüstenrot oder auch die Sparkasse Schwarzwald-Baar überzeugt. Und dass dazu noch eine ganze Reihe weiterer auch abseits der Corona-Krise kommen könnten, dafür spricht ein Kontakt aus Zeiten der "Code_n_Spaces": Die direkte Büro-Nachbarin in diesem Co-Working-Space war Martina Merz – damals Berufs-Aufsichtsrätin, heute Chefin bei Thyssen-Krupp und in der Konzern-Landschaft bestens vernetzt.
Die Bauteile von Physik Instrumente (PI) aus Karlsruhe sind nicht nur für Laien schwer zu verstehen. Die rund 1300 Ingenieure, Physiker und anderen Spezialisten von PI haben sich in den vergangenen 50 Jahren zu echten Kennern im Segment der hoch präzisen Positioniertechnik gemausert. Kein Wunder, dass PI hier inzwischen als Markt- und Technologieführer gilt, 350 Patente sind angemeldet oder bereits erteilt.
Was das konket mit Corona zu tun hat? Piezoaktoren von PI arbeiten auch in einem speziellen Elektronenmikroskop eines Forschungsinstituts der University of Texas, mit dem Wissenschaftler nun Bestandteile des Virus analysiert haben, der sich an menschliche Zellen anheftet. Ein wichtiger Schritt, um Corona besser verstehen zu können.
Die Piezo-Elemente von PI übernehmen dabei eine elementare Funktion: "Die Elektronenmikroskope haben den Nachteil, dass sie extrem anfällig für Schwingungen sind", erläutert PI Geschäftsführer Markus Spanner: "Selbst die vom Forschungsinstitut 1,6 Kilometer entfernte Autobahn würde mit ihrem Schwingungen die Ergebnisse unbrauchbar machen." Die PI-Aktoren gleichen diese Schwingungen mit Bewegungen von "kleiner als ein millionstel Millimeter" aus. Auch in diesem Bereich gelten die Karlsruher als weltweit führend.
Hätte Peter Michael Binder Mitte der 1980er Jahre nicht das gleichnamige Familienunternehmen mit Sitz in Tuttlingen radikal umgebaut, wäre er heute nicht direkt in der Corona-Bekämpfung involviert. Aber der Reihe nach: Binder übernimmt die Verantwortung als sich eine alteingesessene Industrie in der Stadt auf Talfahrt befindet – die Schuhmacherei. Der heute 66-Jährige nutzt eine Chance, sammelt Kapital und trimmt das eigene Unternehmen auf einen komplett neuen Kurs: Fortan fertigt man bei Binder Klimaschränke.
Heute gelten die Kühlschränke und CO2-Inkubatoren mit dem charakteristischen roten Bedienfeld als Mercedes der Branche. Weltweit setzen Forschungszentren, aber auch Automobilhersteller auf die aus bis zu 800 Teilen bestehenden "Kästen" aus Tuttlingen: Viren werden im Innern ebenso gezüchtet wie Bedienelemente aus Fahrzeugen künstlicher Alterung unterzogen.
Im Jahr 2017 hat Binder am Stammsitz für zwölf Millionen Euro eine hochmoderne Fertigung etabliert, in der nun pro Jahr bis zu 22.000 Klimaschränke produziert und in alle Welt versendet werden. 74 Millionen Euro setzt Binder damit um.
Mehrere dieser Schränke stehen eben auch in einem Hochsicherheitslabor im Kanton Bern: Dort forschen und züchten Virologen auch an Coronaviren. Dabei vermeldeten sie aktuell einen besonderen Durchbruch – ihnen gelang im Innern von Binder Schränken die Züchtung eines synthetischen Klons des Virus. Diese Klone sind nach Angaben der Wissenschaftler aufgrund ihrer Struktur besser geeignet, um die DNA zu isolieren und anlysieren, um beispielsweise einen Impfstoff zu erhalten.