Das Erbe der Zähringer
Die Stadt Bräunlingen ist auf den ersten Blick eine Kleinstadt - aber mit beeindruckender Wirtschaftsleistung. Und Sinn für Traditionen. Ein Econo-Standortporträt
diwe
10.04.2012 | 23:00
Foto: Michael Bode
Für diese Zeitreise braucht es nur einen Schritt: Eben noch steht man in einem modernen Empfangsbereich. Dann drückt man die Klinke einer hölzernen Tür hinunter, setzt den Fuß über die Schwelle – und ist schwups in einer anderen Epoche. Der Zeit um 1920 mit gediegenen Möbeln und schweren Teppichen und Aufbruchstimmung. Rainer Frei schmunzelt über den erstaunten Blick des Betrachters. Er kennt die Reaktion längst.
Frei ist Geschäftsführer von Frei Lacke, einem der führenden Hersteller industrieller Beschichtungen mit 400 Mitarbeitern, Kunden weltweit und dem Stammsitz in Bräunlingen-Döggingen. Und das heutige Besprechungszimmer war früher das Wohnzimmer seines Großvaters Emil Frei, dem Firmengründer. „Wir haben hier bewusst möglichst wenig verändert“, betont der Enkel. Dass damit das Erbe des Unternehmens klar sichtbar gepflegt wird, muss er gar nicht betonen. Man sieht es.
Die Szenerie im Besprechungszimmer kann man auf die Gesamtstadt übertragen: Die Bräunlinger leben das Erbe der Zähringer.
Rund zweihundert Jahre hatte das Fürstengeschlecht ab dem Jahr 1000 im Südwesten das Sagen. Dabei erwiesen sie sich als gewiefte Strategen und dachten wirtschaftlich. Unter anderem Silbervorkommen ermöglichten ihnen dabei manche Freiheit. Die Zähringer waren es auch, die quer durch den Schwarzwald Breschen schlugen: So durchs Höllental, die heutige B31. Und die unter ihrem Wappen mit dem roten Adler zahlreiche Städte gründeten und Weiler ausbauten, charakteristisch ist bei allen das prägnante Straßenkreuz.
Das ist auch in Bräunlingens Altstadt noch gut erkennbar. Überhaupt ist die historische Innenstadt prächtig, das Stadttor mächtig. Und der Sinn der Bürger für Eigenständigkeit ob der Historie ausgeprägt. Das lässt sich auch an einem Faktor festmachen: Die Stadt mit knapp 6000 Einwohnern bietet rund 2260 echte Arbeitsplätze. Ein bemerkenswerter Wert.
Mindestens ebenso bemerkenswert: In Bräunlingen stellt kein Konzern das Gros der Arbeitsplätze, sondern solider Mittelstand. „Im Grund geht unsere ganze Wirtschaftsvielfalt auf eine Mühle zurück“, erzählt Bürgermeister Jürgen Guse, der gerne im Heimatmuseum Besuchergruppen über die Zusammenhänge zwischen Landwirtschaft und produzierendem Gewerbe aufklärt: „Früher waren die Bauern die Auftraggeber für die Dienstleister, heute hat die Industrie diese Rolle.“ Der Anteil von 80 Prozent des produzierenden Gewerbes an den Arbeitsplätzen in der Stadt schreckt ihn deshalb nicht: „Ganz im Gegenteil.“
Zurück zur Mühle. Die klappert schon länger am Ufer der Breg, als 1825 die Familie Straub die Stadtmühle übernimmt. Zunächst wird Mehl gemahlen, ab 1905 Holzwolle gewonnen und 1925 startet die Wellpappen-Produktion. Seit 187 Jahren ist das Unternehmen in Familienhand, mit den Cousins Steffen P. Würth und Alexander Würth hat die siebte Generation das Sagen bei Straub Verpackungen.
Auch bei Straubs kann man die Zeitreise antreten, auch hier dominiert dunkles Holz das Besprechungszimmer und an den Wänden hängen die Ahnen. Auch hier kennt man seine Wurzeln.
Das hat aber nichts mit Rückständigkeit zu tun. Im Gegenteil. Straub Verpackungen zählt zu den innovativsten Firmen der Branche, hat 2011 die Umsatzmarke von 100 Millionen geknackt und mit 490 Mitarbeitern 170 Millionen Quadratmeter Wellpappe produziert. „Das ist knapp dreimal die Gemarkung Bräunlingens“, veranschaulicht Steffen Würth.
'Der leidenschaftliche Helikopterpilot denkt aber schon weiter. Mit seinem Cousin hat er Wellstar gegründet, ein Unternehmen, das sich auf Versandverpackungen spezialisiert hat und auch den Versandhändler Amazon beliefert. Aktuell baut Wellstar für zwölf Millionen Euro ein neues Werk, natürlich in Bräunlingen.
Die Innovationsfähigkeit zieht sich indes quer durch die Unternehmen. Beispiel Küpper-Weisser: Das 1931 gegründete Unternehmen zählt heute zu den führenden Zubehöranbietern in Sachen Winter- und Sommerdienst. 220 Mitarbeiter fertigen auf 16?000 Quadratmetern Schneeräumer, Kehrmaschinen und Salzsprühfahrzeuge – in einem Arbeitsgang befreien die eine Flughafen-Landebahn auf 70 Metern Breite vom Eis.
Ein anderes Beispiel: Griwecolor. Seit 1997 haben sich Franz Wehinger und Jörg Grieshaber auf das Mischen von Beschichtungen und Farben spezialisiert. Und mit „Antidröhn“ einen Volltreffer gelandet: In den ICE-Zügen dämpft die graue Masse die Schwingungen, ein angenehmer Effekt für Reisende. Daneben kommen ihre Spielfeldmarkierungsfarben selbst bei der Fußball-WM zum Einsatz.
Die Vorteile des Standortes Bräunlingen? Für Ludwig Kellner ist das klar: „Die Fachleute.“ Der Geschäftsführer des 1963 gegründeten Betriebs- und Werkstatteinrichters Bedrunka + Hirth setzt auf eine große Fertigungstiefe und innovative Produkte wie einen elektronischen Werkzeugschrank. „Durch die Bündelung der Fertigung an einem Ort sind wir flexibel“, so Kellner. Ein weiterer Vorteil: „Das Unternehmen ist bekannt und vernetzt.“ Bei der Suche nach Fachkräften und Auszubildenden das Argument.
Daneben gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Unternehmen wie Dynacast, Hersteller von Präzisions-Kleinteilen, den Druckluftspezialisten Blitz-Rotary oder Blenkle Fahrzeugbau, vor allem für Kranaufbauten für Lastwagen bekannt. Für Wirtschaftsförderer Jürgen Bertsche und Bürgermeister Guse ein echtes Pensum, denn beide halten engen Kontakt: „Die Bestandspflege hat oberste Priorität, deshalb hat man ständig das Ohr an den Firmen“, so Bertsche.Dass sich daneben immer wieder Firmen neu ansiedeln, so wie jüngst Titec, ist für den Wirtschaftsförderer ein Glücksgriff. Der Grund für den Erfolg? Bertsche: „Verkehrsanbindung und Lebensqualität stimmen.“
Dem stimmt auch Rainer Frei im Wohnzimmer-Besprechungszimmer zu. Deshalb enthält seine Strategie für 2026, dem Jahr des 100-jährigen Bestehens von Frei Lacke, zwei Kernpunkte: „Der Firmensitz wird Bräunlingen bleiben und das Unternehmen in Familienhand“, erläutert Frei. Das Erbe der Zähringer ist also gesichert.