Das Schild der Hoffnung
Mal heißen sie Gesichtsschild, mal Panorama-Visier – der Spuckschutz steht in Corona-Zeiten hoch im Kurs. Fab-Labs wie im Hubwerk01, Partnerschaften wie der Campus Schwarzwald und Unternehmen wie Hans Fleig zeigen: So lässt sich schnell auf Herausforderungen reagieren
anka & diwe
17.06.2020 | 11:30
Bruchsal, Tettnang, Freudenstadt, Lahr, Villingen-Schwenningen. Der Laserstrahl brennt sich durch das Plexiglas. Schnell. Präzise. Immer wieder. Wenige Meter weiter surrt ein 3D-Drucker, in ihm entsteht Bahn für Bahn ein Gestell. Von Hand werden Plexiglas und Gestell mit einem Lochband aus Gummi versehen zusammengefügt – fertig ist das "Behelfsgesichtsschild".
Die Mitglieder des technisch bestens ausgetatteten "Fab-Lab" im Bruchsaler Hubwerk01 haben dieses Schild als besonderen Schutz vor der Tröpfcheninfektion durch Corona-Viren ersonnen: "Die Sache ließ mir keine Ruhe, ich rief meine Vereinskollegen an und schon ging es los", beschreibt Lukas Wingerberg. Keine vier Tage nach dem Anruf waren 225 Schilde fertiggestellt, Bestellungen über weitere 500 Stück liegen bereits vor. 50 Ehrenamtliche unterstützen mit privaten 3D-Druckern zusätzlich das Engagement, bis zu 230 Schilde können nun pro Tag hergestellt werden. Die Schilde werden kostenlos an Kliniken, Ärzte und Rettungsdienst verteilt und sollen die Helfer als zusätzliche Maßnahme vor Tröpfeninfektionen schützen.
Damit willkommen in einem besonderen Teilbereich der Corona-Auswirkungen: In den ersten Wochen der Pandemie wurde vor allem textiler Mund-Nase-Schutz händeringend gesucht. Diese Stoffbahnen mit Gummiband sind recht schlicht herzustellen, was wiederum viele Unternehmen zum Einstieg in die Produktion verleitete. Wolfgang Grupp, Inhaber des Textilherstellers Trigema, brachte es schlicht auf den Punkt: "Das können wir locker zusammennähen." Wobei diese Lockerheit auch für Kontroversen sorgte, Stichwort Wirksamkeit.
Inzwischen sind derlei Mund-Nase-Bedeckungen in vielen Farben und Formen erhältlich und auf dem besten Weg, zum Modestatement der Saison zu werden. Nun rücken verstärkt weitere Hilfsmittel zur Eindämmung der Pandemie in den Mittelpunkt – und die sind von den Denkansätzen sowie technisch zumeist um einiges anspruchsvoller. So hat der Student Fabian Fleischer mit Doc-Door in seiner Studentenbude nicht nur einen speziellen Aufsatz für Türklinken entwickelt, sondern auf Basis seiner Idee auch gleich noch ein Unternehmen gegründet.
Und der Student Tim Mauch traf mit seinem Geistesblitz eines "Paper-Shield" bei der Druckerei Baur-Offset in Villingen-Schwenningen auf offene Türen: Gemeinsam entwickelte man das Konzept weiter zu einem fertigen Produkt – einem einfachen Schutz, der auf ökologischen und lebensmittelechten Papier gedruckt wird und vorgestanzt ausgeliefert wird. Der Kunde muss den Spuckschutz nur noch aus dem Bogen lösen, falten und mit einem Gummiband versehen. Fertig. Diese Lösung scheint aktuell die einfachste und wohl auch ökologischste zu sein.
Stärker im Fokus stehen aber "echte" Face-Shilds oder Gesichtsschutz-Schilde, wie sie am "Fab-Lab" im Hubwerk01 entstehen. Auch an der Elektronikschule in Tettnang im Bodenseekreis wird an diesen Hilfsmitteln getüftelt. "Spuckschutzhalter" heißen die Teile dort, von denen die Lehrer auf Basis von Open Source-Daten beispielsweise von HP Deutschland pro Tag rund 50 auf den 3D-Druckern der kreiseigenen Schule herstellen können – und die Teile sind gefragt: 100 "Spuckschutzhalter" gingen bereits im März an das Klinikum Friedrichshafen, zusätzlich orderte die Kreisärzteschaft im ersten Aufschlag 500 Stück.
Derlei Initiativen gibt es viele im Land, gefühlt beinahe jeder verfügbare 3D-Drucker ist in die Produktion von Hilfsmitteln eingespannt – ein Trend, den Branchenkenner durchaus kritisch sehen: So warnt Gerhard Duda von 3D-Labs im econo-Interview: "Am Ende sterben die Menschen nicht am Corona-Virus, dafür möglicherweise an den Ausdünstungen der Supplements."
Zwei andere Anbieter gehen das Vorhaben Gesichtsschild auch deshalb anders an:
# Bei der Hans Fleig, einem Kunststoffspezialisten aus Lahr, entwickelte man ein Hilfsmittel, das nun als "Fleigs Panorama-Visier" angeboten wird. Dabei haben die Tüftler des Mittelständlers eben besondere Sorgfalt bei der Auswahl des Materials walten lassen. Denn es kommt für Kopfbügel und Visier ein Kunststoff zum Einsatz, den man bei Fleig nach eigenen Angaben bislang für Kunden aus der Medizin- und Lebensmittelbranche verwendet und der mit den Bestimmungen der US-Behörde für Lebensmittelüberwachung und Arzneimittel konform ist.
Der Grund für das Engagement des Unternehmens ist für Thorsten Braun, Mitglied der Fleig-Geschäftsführung, schnell erzählt: "Wir haben selbst erlebt, wie schwer es derzeit ist, an Schutzartikel zu kommen." Also wollte man einen Beitrag zur Eindämmung leisten – nur 14 Tage brauchte es von der ersten Idee über die Konstruktion und den Formenbau bis zum Start der Produktion. Bis zu 25.000 Schilde kann das Unternehmen mit seinen 40 Mitarbeitern pro Woche herstellen, die ersten 1000 der "Panorama-Visiere" sind bereits im Einsatz, in der Gastronomie ebenso wie in Privathaushalten.
# Noch einen Schritt weiter gingen die Beteiligten am Campus Schwarzwald mit Sitz in Freudenstadt: Dort entwickelte man innerhalb der Partnerschaft nicht nur ein Gesichtsschild, sondern brachte auch gleich noch die Zertifizierung auf den Weg, die in Kürze abgeschlossen sein dürfte.
Doch der Reihe nach. "Wir wollten ein Produkt, das auf einfache, aber effektive Weise vor Ansteckung und Corona schützt", erklärt Stefan Bogenrieder, Geschäftsführer des Campus. Im Fokus stand dabei, schnell und kostengünstig eine Produktion in großer Stückzahl anlaufen lassen zu können – typische Zulieferdenke eben. Aktuell stehen Kapazitäten zur Verfügung, um 100.000 dieser Schilde pro Woche herstellen zu können.
Möglich macht das Vorgehen die besondere Ausrichtung des Campus: Das Institut für Industrielle Fertigung und Fabrikation (IFF) der Uni Stuttgart, dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) bildet die theoretische Basis, während der Verpackungsexperte Koch Pac-Systeme und der Vakuum Spezialist Schmalz die industrielle Realität einbrachten. So ist ein Gesichtsschild entstanden, das nicht nur von der Fertigung her optimiert wurde, sondern dem Träger aufgrund des Designs zugleich Komfort verspricht. Unter anderem sind die Auflageflächen auf der Stirn so gering wie möglich gehalten, um das Schwitzen zu minimieren. Sogar der Faktor Nachhaltigkeit fand Beachtung: alle Bauteile sind sortenrein und getrennt recyclebar. Und IFF und IPA sorgen eben für den Wettbewerbsvorteil Zertifizierung. Aktuell scheint das Gesichtsschild aus dem Nordschwarzwald das einzige Hilfsmittel dieser Art mit Siegel zu sein.
Damit zeigt sich, was im Verbund alles möglich ist. Dieses Aufzeigen von Möglichkeiten ist auch ein Antrieb von Lukas Wingerberg mit seiner "Fab-Lab"-Crew: "Wir wollen zeigen, dass die Fab-Lab-Szene einen wertwollen Beitrag für unsere Gesellschaft leisten kann. Ich finde es mega, dass sich so schnell so viele Leute bereit erklärt haben, mitzumachen. Das spornt uns an."
Dem ist nichts hinzuzufügen.