Das Tiefpreis-Drama

Der Elektroeinzelhandel hat ein hartes Jahr hinter sich. Vor allem die Online-Shops werden zu einer immer größeren Gefahr. Das drängt sogar den Branchenprimus Media-Saturn in die Defensive.

 
Foto: Archiv
 

VON ROBERT SCHWARZ UND ANDREAS DÖRNFELDER

China!“, ruft Holger Haberstroh und zeigt auf den Flachbildfernseher ganz oben links im Supermarktprospekt. „China, China!“ Sein Finger wandert weiter. „Und der hier: Türkei!“ Dabei klingen die Marken, die hier zwischen Tiefkühlpizza und Barbiepuppen angeboten werden, ganz und gar nicht nach Fernost. Telefunken steht da. Und Grundig. Klangvolle Namen aus der deutschen Wirtschaftswunderzeit. Jetzt werden sie als „Sonderposten“ verschleudert. Rot und groß leuchten einen die Preise an.

Als Haberstroh noch sein großes Elektrogeschäft in der Freiburger Innenstadt hatte und der Laden brummte, erschien so etwas undenkbar. Doch längst ist Haberstrohs Traditionsgeschäft aus der City weggezogen. Haberstroh hat sich verkleinert. In seinem Fachgeschäft gehen fast nur noch Stammkunden ein und aus. „Früher hatten wir viel Laufkundschaft. Doch das hat sich irgendwann nicht mehr gelohnt“, sagt der Unternehmer. Haberstroh ist in die Nische gegangen. Und dort ist er erfolgreich.

Das Massengeschäft spielt sich indes woanders ab. Media-Markt, Saturn, Pro-Markt, Medimax heißen die großen Ketten, die gerade vor den Festtagen aggressiv um Kunden werben. „Weihnachten wird unterm Baum entschieden“, kreischt Media-Markt seit Wochen durch die Lande. Die Konkurrenz im Elektroeinzelhandel ist hart. Der Preis macht die Musik. Entsprechend purzeln jene für Fernseher, Computer und Blu-Ray-Player selbst vor Weihnachten. Tiefpreisgarantie heißt das auf neudeutsch. Händler wie Haberstroh haben das Tiefpreis-Drama schon hinter sich. Neu ist: Auch Media-Markt, Saturn und Co. haben enorm zu kämpfen.

„Welches Weihnachtsgeschäft?”, fragt Ulf Pooch und seufzt. Pooch ist Geschäftsführer von Octomedia, einem mittelständischen Elektronikhändler mit Sitz in Rastatt und Filiale in Bühl. Der dritte Advent ist vorüber und so wirklich in Schwung kommen will das Geschäft nicht. Aber nicht nur das sorgt Pooch. Fast die Hälfte des Umsatzes erwirtschaftet er mit Unterhaltungselektronik, also Fernsehern und Co. „Letztes Jahr hatten wir noch die WM, dieses Jahr nur die Frauen-Fußball-WM. Die hat nichts gebracht.“ Sportereignisse kurbeln die Nachfrage nach den neuen, immer moderneren Flatscreen-TVs an. Doch dieses Jahr ist nur eines in Bewegung: der Preis. Der fällt und fällt. Auf 20 Prozent schätzt Pooch die Preiserosion etwa bei Fernsehern. Laut der Branchenvereinigung Bundesverband Technik des Einzelhandels (BVT) sind die Umsätze im Bereich Unterhaltungselektronik um mehr als fünf Prozent gesunken. Harte Zeiten also für die Einzelhändler vor Ort.

Schuld ist nicht nur der harte Wettbewerb zwischen den deutschlandweit etwas weniger als 1000 Fachmärkten, sondern die Konkurrenz aus dem Internet, die die Preise gnadenlos immer tiefer in den Keller drückt. „Die Umsätze im Elektroeinzelhandel werden im Jahr 2011 zwar voraussichtlich um fünf Prozent steigen“, erklärt etwa Jürgen Boyny, Global Director Consumer Electronics beim Konsumforschungsinstitut GfK in Nürnberg. Beim stationären Handel vor Ort kommt davon aber kaum was an. „Das Gros des Wachstums wird über das Internet generiert“, sagt Boyny. Inzwischen erwirtschaften Internethändler mehr als 20 Prozent des Gesamtumsatzes. Tendenz weiter steigend.

Das wirkt sich auf die Fachmärkte aus. Jahrelang ist deren Zahl kontinuierlich gestiegen. Das ist Geschichte, sagt Boyny. „Die Zeiten der großen Expansion sind vorbei.“ Das liegt auch den Kunden. „Die Märkte haben es verstärkt mit einer neuen Art Konsument zu tun, der sich schon vorab im Internet informiert. Wenn er im Fachmarkt durch die Beratung keinen Mehrwert erkennt, kauft er halt im Internet.“ Das besonders Prekäre: Das gilt nicht nur für Unterhaltungselektronik und den PC-Bereich, sondern auch immer stärker für die sogenannte weiße Ware, Kühlschränke und Waschmaschinen etwa.

Die Konsequenzen für den stationären Handel erlebt Rainer Flösch täglich. „Die Margen sinken beträchtlich“, sagt der Mann, der in Lahr, Emmendingen und Müllheim drei Filialen betreibt und 2011 den 80. Geburtstag seines Unternehmens gefeiert hat. „Wir müssen mehr tun, viel mehr verkaufen als früher, um denselben Umsatz zu erreichen.“ 2010 hat es so für eine Umsatzrendite von 0,9 Prozent gereicht. Wirklich zufrieden ist er damit nicht, klagen will der Handels-Veteran aber auch nicht. Schließlich ist er, wie er mit einem Lächeln bemerkt, „der letzte Mohikaner“ unter den traditionellen Einzelhändlern zwischen Offenburg und Freiburg.

Doch selbst der Branchenkrösus Media-Markt hat unter der Preiserosion und der damit verbundenen Internetkonkurrenz zu leiden. Mit den Margen, mit denen Internethändler kalkulieren, kann selbst Media-Saturn nicht immer mithalten: Ein Internetshop rechnet etwa mit zwei bis fünf Prozent Marge pro Produkt. Heißt: Bei einem 1000 Euro teuren TV sind gerade mal 20 bis 50 Euro Gewinn eingerechnet. Ein stationärer Händler muss mit Margen jenseits der zehn Prozent operieren, um Mitarbeiter, Miete und so weiter zu finanzieren.

Der harte Preiskampf schlägt sich in Zahlen nieder: Im zweiten Quartal des laufenden Geschäftsjahres hat die Media-Saturn-Holding zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten einen Verlust ausgewiesen: rund 44 Millionen Euro Minus. Aus der Cash-Cow des Metro-Konzerns ist das Sorgenkind geworden. Die Auslandsexpansion läuft schleppend. Aus Frankreich hat sich etwa Saturn komplett zurückgezogen. Das Geschäft mit dem Internet hat man lange verschlafen, aus Angst die Filialen zu verprellen. Die sind als eigenständige GmbHs mit organisiert. Die Geschäftsführer sind daran beteiligt und fürchteten die Konkurrenz aus dem Netz. Erst in diesem Jahr hat Saturn seinen Online-Shop gestartet. Zudem hat Media-Saturn den expandierenden Internetshop Redcoon aus Aschaffenburg übernommen, der für das aktuelle Geschäftsjahr 400 Millionen Euro Umsatz erwartet. Der Druck auf das Stammgeschäft in den Filialen ist zu groß geworden. Der breite Einstieg ins Internet war unausweichlich.

Auch im Südwesten sind die goldenen Zeiten vorbei. Rund die Hälfte der Media- und Saturn-Märkte hat inzwischen mit sinkenden oder stagnierenden Umsätzen und Erträgen zu kämpfen. Die Wachstumszahlen, sofern vorhanden, fallen bescheiden aus. Die jahrelange Expansion hat an Schwung verloren. Alle Ballungsgebiete sind besetzt. Deshalb ändert man am Stammsitz in Ingolstadt nun die Strategie: „2011 haben wir zehn neue Märkte in Deutschland eröffnet“, sagt eine Sprecherin der Media-Saturn-Holding. „Und wir wollen auch hierzulande weiter expandieren.“

Die Holding hat nun kaufkraftschwächere Regionen im Visier. „Wir haben begonnen, Verdichtungsmärkte zu eröffnen“, so die Sprecherin weiter. „Das sind kleinere Märkte abseits der Großstädte mit weniger Verkaufsfläche aber mit vollem Sortiment.“

Balingen ist einer dieser Märkte, die so erschlossen werden. Hier will sich ein Media-Markt in den noch zu bauenden Eyach-Arkaden niederlassen. Aber nicht überall läuft es rund bei der Suche nach neuen Standorten. Eine mögliche Ansiedlung etwa südlich von Freiburg, einem weißen Flecken auf der Media-Saturn-Landkarte zieht sich weiter hin. In Villingen-Schwenningen zum Beispiel, mit mehr als 80 000 Einwohnern immerhin Oberzentrum, sind weder Media-Markt noch Saturn vertreten. Stattdessen ist der Mittelständler Hoerco, der zur Expert-Gruppe gehört, der Platzhirsch.

Den nächsten Media-Markt findet man in Bad Dürrheim, mit einem Umsatz von mehr als 32 Millionen Euro immerhin die Nummer drei im Südwesten. Die Expansion in diese Randgebiete ist allerdings nicht nur für die dort ansässigen Einzelhändler eine Gefahr: Die Märkte könnten sich auch gegenseitig kannibalisieren. Beispiel: Während in Freiburg eine Media-Markt-Filiale alleine rund 43 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet, teilen sich in Karlsruhe zwei Niederlassungen einen Umsatz von 48 Millionen Euro.

Entscheidend wird sein, wie stark die Internetshops noch zulegen - und wie der Einzelhändler vor Ort reagiert. GfK-Mann Jürgen Boyny rät dem stationären Handel, seine spezifischen Kompetenzen zu stärken. „Die Märkte müssen sich ihrer Stärken bewusst sein. Das ist etwa der persönliche Kontakt oder das Vorführen der neusten Technik, der Vermittlung dieser Faszination“, sagt Boyny. „Das bekommt der Konsument im Internet nämlich nicht.”

Holger Haberstroh ist diesen Weg bereits vor Jahren gegangen.

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