Das vernetzte Auto
Knight Rider war gestern. Das Auto der Zukunft wird in Baden-Württemberg entwickelt. Auch deshalb zieht es den US-Chipkonzern Intel nach Karlsruhe.
rosc
24.04.2012 | 09:05
Paul S. Otellini ist sprachlos. Der CEO des weltgrößten Chipherstellers Intel ist eigens zur Eröffnung eines Innovationszentrums nach Karlsruhe gereist und ausgerechnet jetzt bleibt die Stimme weg. Ein schlichter grippaler Infekt hat den Amerikaner ausgebremst. Vor Ort ist er dennoch. Schließlich will Intel mit dem „Automotive Innovation & Product Development Center” im Technologiepark Karlsruhe eine neue Ära einläuten. Was sich hinter Intels großen Plänen verbirgt, ,müssen nun andere erklären.
„Karlsruhe“, setzt Deutschlands Intel-Chef Christian Lamprechter feierlich an. „Karlsruhe ist der Schlüssel für die Erschließung eines für Intel neuen Marktes.“ Aus aller Welt hat der Konzern Presse und Branchenvertreter nach Karlsruhe eingeladen, um die Konzernoffensive in der Automobilbranche zu verkünden. Oder wie Europa-Chef Christian Morales nicht weniger feierlich verkündet: „Das Auto der Zukunft ist das vernetzte Auto“, erklärt er. Und der Halbleiter-Pionier Intel – klar – will ein Teil dieser Zukunft sein.
Seit Jahrzehnten wird darüber geredet, nun wird’s ernst: Das vernetzte Auto ist ein Megatrend. Ein paar Hundert Kilometer südlich von Karlsruhe, beim Automobilsalon in Genf etwa hat Daimler die neue A-Klasse vorgestellt, ein Smartphone auf Rädern, wie Daimler-Boss Dieter Zetsche stolz erklärt. Sie soll erst der Anfang sein. Die Zukunft gehört Autos, die miteinander kommunizieren, die zu rollenden Datenbanken werden, Stauenden hinter Kurven erkennen und wissen, wo Staus sind, und im Fall der Fälle automatisch Notrufe absetzen.
„Das Auto wird künftig zur mobilen Kommunikationszentrale“, frohlockt Matthias Wissmann, Chef des Verbands der Automobilindustrie. „Die Herausforderung ist es, IT und Auto sinnvoll zusammenzubringen“, erklärt Zetsche. Mehr noch: Für ihn entscheidet die Technologieführerschaft bei den Themen grüne Mobilität und Digitalisierung über die Zukunft der Automobilindustrie. Nur wer die Nase vorn hat, also Mobilitätslösungen und intelligente Fahrzeuge bieten kann, kann künftig bei den Autokäufern punkten. Den IT-Unternehmen und Zulieferern winken Milliardenumsätze.
Logisch, dass auch ein Konzern wie Intel an diesem riesigen Zukunftsmarkt höchstinteressiert ist. Die Devise ist ehrgeizig: „Unser Ziel ist eine Kombination der besten Autos mit der besten Soft- und Hardware“, so Morales. An Deutschland als Standort führt kein Weg vorbei. Morales: „Dieses Land ist konkurrenzlos im Automobilbau.“ In Karlsruhe liegen die Schwerpunkte von Intel auf den Bereichen Infotainment und Telematik. Dafür hat man ein abgesichertes Parkhaus eingerichtet, wo die Autos von morgen rollen sollen. 100 Millionen Dollar stehen in einem Venture-Fund bereit, um in neue Technologien und Firmen zu investieren.
Intels Offensive kommt nicht von ungefähr. Die Kalifornier sind vor allem für ihre PC-Mikroprozessoren bekannt, halten hier einen Marktanteil von 80 Prozent. Aber die PC-Ära befindet sich in Zeiten von Tablets und Smartphones auf dem absteigenden Ast. Neue Geschäftsfelder müssen her – respektive alte neu belebt werden. Intel hat jahrzehntelange Erfahrungen in der Automobilelektronik. Neu geschlossene Kooperationen gibt es bislang vorrangig mit asiatischen Herstellern. Seit 2005 arbeitet man mit BMW zusammen.
Viele europäische Autobauer setzen traditionell auf Chips von Infineon, der VW-Konzern wiederum favorisiert die Tegra-Halbleiter von Nvidia. Zudem hat etwa der weltgrößte Zulieferer Bosch erst vor einigen Jahren eine eigene Chipfabrik in Reutlingen aufgebaut. Der Kuchen ist groß, die Konkurrenz jedoch hart. Bei Bosch gibt man sich ob der Intel-Ansiedlung in Karlsruhe eher zurückhaltend – obwohl man vor einem Vierteljahrhundert schon einmal kooperiert hatte. Um die bis zu zwei Kilometer langen Kabelbäume in den Fahrzeugen zu reduzieren, hatte Bosch den Controller-Area-Network-Bus (CAN) entwickelt und ihn 1987 zusammen mit Intel vorgestellt.
Bei Intel in Karlsruhe gibt man sich offen. „Wir wollen nicht nur mit den Herstellern, sondern auch mit den Zulieferern kooperieren. Unser Ziel ist es, viele Partner an Bord zu haben“, sagt Lamprechter. Auch Intels Automotive-Chefin Staci Palmer setzt sich trotz der Konkurrenz ehrgeizige Ziele. „Wir wollen führend sein. Und wenn wir führend sein wollen, müssen wir die spezifischen Bedingungen der Industrie verstehen.“
Einer der regional-internationalen Partner von Intel ist Harman Becker mit Deutschland-Sitz in Karlsbad. Laut Kommunikationschefin Nicole Mehr pflegt der Konzern mit Intel eine strategische Partnerschaft. „Entwicklungsprojekte mit Intel-Technik laufen derzeit zum Beispiel für unsere Kunden BMW und Daimler“, sagt sie. Harman entwickelt etwa Navis und Infotainment-Systeme für den Einbau ab Werk. Diese wiederum sind mit Atom-Prozessoren von Intel ausgestattet. Auch Mittelständler wie der Elektronik-Distributor Rutronik aus Ispringen gehören zu den Partnern von Intel. Was genau, wie und für wen entwickelt wird, darüber hüllt man sich derzeit noch in Schweigen. Denn manchmal ist Sprachlosigkeit nicht die Folge eines Infekts, sondern die Voraussetzung für Innovation.