Der Markt, der keiner ist

Seit Mai ist der Arbeitsmarkt für acht weitere EU-Länder geöffnet. Der Arbeitsmarkt? Econo-Herausgeber Klaus Kresse hat Zweifel – an der Terminologie und an Mindestlöhnen

 
 

Schizophren. Ein schlimmer Befund. Aber auf viele Menschen trifft er zu. Auf alle nämlich, die sich im Alltag wie gespaltene Persönlichkeiten verhalten – je nachdem, ob sie sich gerade in der Rolle des Käufers oder der des Verkäufers sehen.

Geiz ist geil! Kein anderer Werbe-Claim hat das Käuferverhalten stärker geprägt. Prozente rausschinden, Schnäppchen machen, Preise drücken sind seither Volkssport. Wohlgefühl stellt sich erst ein, wenn der Verkäufer erkennbar leiden muss.

So ticken viele Menschen. Doch kaum wechseln sie ihre Rolle, sehen sie die Welt ganz anders. Zum Beispiel als Arbeitnehmer. Weil sie dann Verkäufer sind. Sie verkaufen Arbeitsleistung und wollen einen möglichst hohen Preis. Schlagartig ist von Geiz keine Rede mehr – allenfalls von Mindestlöhnen.

In der Wirtschaftslehre geht das aber nicht zusammen. Das „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“ funktioniert nicht. Oder sagen wir so: Es würde nicht funktionieren, hätten wir intakte Märkte. Nur – die haben wir nicht. Alle reden in Deutschland vom Arbeitsmarkt – doch den gibt es nur als Fata Morgana.

Hätten wir einen Markt, würden Angebot und Nachfrage die Preise regeln. Die Praxis sieht ganz anders aus.

Tarifverträge, Mindestlohn-Regelungen, Zumutbarkeits-Vorschriften, Kündigungsschutz und ein nur schwierig nachvollziehbares Arbeitsrecht hebeln die Marktmechanismen aus. Weshalb sich immer mehr Menschen wie Schizophrene verhalten. Und von Linken und Gewerkschaftern auch noch ermutigt werden.

Dabei müsste jedem Arbeitnehmer klar sein, dass sich ein Kaufverhalten nach dem Motto „Geiz ist geil“ auch auf seinem Gehaltszettel niederschlagen muss.
Was wäre die Konsequenz?

Wer Mindestlöhne fordert, müsste spiegelbildlich auch Mindestpreise verlangen. Oder er dürfte sich nicht wundern, wenn immer mehr Wertschöpfung in andere Teile dieser Erde abwandert.

Der vielfach geschmähte, aber messerscharf argumentierende Thilo Sarrazin hat das leidenschaftslos dargestellt. „So wie es in der globalisierten Welt den Welteinheitszins als Grenzentlohnung des Kapitals gibt“, schreibt er, „so gibt es tendenziell auch eine einheitliche Entlohnung des Produktionsfaktors Arbeit. Es ist ganz folgerichtig, dass die realen Stundenlöhne in Deutschland – genau wie beispielsweise in den USA und in Italien – heute nicht höher sind als 1990. Sie werden auch nicht mehr steigen, bis Staaten wie China, Indien und Thailand das westliche Lohnniveau erreicht haben.“

So einfach ist das.

Sicher, andere hätten es charmanter formuliert als der völlig unsentimentale Sarrazin. Die SPD-Ikone Willy Brandt etwa, die – Genosse hin, Genosse her – den schönen Satz geprägt hat: „Nichts kommt von selbst, und nur wenig ist von Dauer.“

Weniger literarisch formuliert, heißt das: Nur wer mehr oder besser arbeitet, bekommt auch mehr.

Menschen mit besserer Qualifikation haben damit kein Problem. Für sie bedeutet die Globalisierung sogar eine zusätzliche Chance. Womit sich erklärt, dass immer mehr hoch qualifizierte Deutsche unser Land verlassen.

Schwierigkeiten gibt es am anderen Ende der Skala. Bei denen, die schlecht oder gar nicht ausgebildet sind. Und bei denen, die Leistungen gern empfangen, aber selbst keine bringen möchten.

Würden nur die Gesetze des Marktes gelten, fielen sie in ein tiefes Loch. Das wäre gnadenlos und würde sich mit unserem Menschenbild nicht vertragen.

Aber helfen da Mindestlöhne? Deren Nutzen ist bei den Ökonomen umstritten. Einer von ihnen, Lewis F. Abbott, hält sie gar für ineffizient und sagt, Firmen seien keine Wohlfahrtseinrichtungen. Wenn schon, müsse der Staat helfen. Also die Steuerzahler.

Und wer zahlt Steuern? Alle, deren Leistung so gut ist, dass andere dafür freiwillig bezahlen.

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