Die große Welt der kleinen Teile

Von Schmuck und Stanzteilen: Der Nordschwarzwald bewältigt den Strukturwandel mit neuen Ideen und erfahrenen Pionieren. In drei Wochen trifft sich die Stanz-Branche in Pforzheim.

 
Foto: Archiv
 

Wenn es ein Problem gibt, schlägt die Stunde von Wolfgang Böhm, Chef des Schmucktechnologischen-Instituts (STI) der Hochschule Pforzheim. Denn wenn die Stanz-, Umform- oder Oberflächentechniker der Region wissenschaftlichen Beistand suchen, sei es wegen Problemen in der Fertigung oder für die Entwicklung neuer Technologien, wenden sie sich an ihn.

Schmuck und Stanzteile. Was auf den ersten Blick ein Widerspruch zu sein scheint, entpuppt sich beim zweiten als logisch. Die Apparate am STI analysieren nicht nur Gold, Silber, Platin. Böhms Rasterelektronenmikroskop, Funkenspektrometer oder 3-D-Lasermikroskope arbeiten sich auch durch die Oberflächen von Stanz- oder Drehteilen – bis ins kleinste Detail analysieren Böhm und seine Mitarbeiter dabei etwa die Zusammensetzungen von Schichten oder die Rautiefe von Oberflächen.

Mehr als 50 Prozent des Umsatzes erwirtschaftet das STI inzwischen mit Dienstleistungen für die regionale Stanztechnik, sagt Böhm. „Wir verstehen uns als Problemlöser“, so der Professor, der das Institut in den vergangenen 15 Jahren aufgebaut hat und derzeit gemeinsam mit diversen Unternehmen an Forschungs-Projekten arbeitet.

Das STI ist ein Paradebeispiel für den Strukturwandel der Wirtschaftsregion. Der Niedergang der Schmuck- und Uhrenindustrie hat die Region nicht nur schwer getroffen, sie hat auch den Boden bereitet für den Aufstieg der Stanz- und Oberflächentechniker. Das weiß auch Jens Mohrmann, Chef der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald (WFG): „Die Kompetenzen in der Präzisionstechnik sind in unserer Wirtschaftsregion aus dem klassischen Handwerk und der Schmuck- und Feinwerkindustrie heraus entstanden.“ Alle zwei Jahre trifft sich diese Branche inzwischen auf der Stanztec, der ultimativen Branchenmesse. Die Ausstellerzahlen steigen von Jahr zu Jahr. In diesem Jahr haben sich rund 150 Aussteller angemeldet, das Pforzheimer Kongresszentrum platzt erneut aus allen Nähten.

Dort treffen sich die „traditionsreichen und überregional erfolgreichen Familienunternehmen, die sich vom Pionier zum Weltmarktführer entwickelt haben“, wie WFG-Chef Mohrmann sagt. Ein Pionier in mehrfacher Hinsicht ist Wiestaw Kramski. 1978 gründet er sein Unternehmen mit einem Startkapital von 50?000 Mark. Ein Jahr später gewinnt er den Gründerwettbewerb der Zeitschrift Capital und weitere 30?000 Mark Kapital. Startschuss für eine ungewöhnliche Karriere. Zunächst konzentriert sich Kramski auf den Werkzeugbau. Inzwischen macht dieser nur rund zehn Prozent des Umsatzes aus. Den Großteil erwirtschaftet das Familienunternehmen mit hochkomplexen Kunststoff-Metall-Verbundteilen.

Kramski ist zudem ein Pionier in Sachen internationaler Ausrichtung. Schon 1993 wagt er den Schritt nach Sri Lanka, baut dort ein Werk – obwohl er damals nur etwas mehr als 40 Mitarbeiter in Pforzheim beschäftigt. „Schon damals war der Fachkräftemangel in der Region stark, deshalb haben wir den Schritt ins Ausland gewagt“, erzählt Kramski. Die Internationalisierung gibt – neben der Forcierung der Kunststoff-Metall-Verbund-Fertigung seit 2002 – einen enormen Wachstumsschub.

Derzeit beschäftigt Kramski rund 600 Mitarbeiter weltweit, 260 davon in Pforzheim. „Wir sind das beste Beispiel, dass Internationalisierung nicht das Verlagern von Arbeitsplätzen bedeutet, sondern Wachstum an deutschen Standorten.“ Gemeinsam mit vier weiteren Unternehmen – Bruderer, Härter, Kummer und der Sparkasse Pforzheim Calw – hat Kramski als Initiator zudem im Jahr 2009 eine Stiftungsprofessur für Stanztechnik ins Leben gerufen.

Matthias Golle ist seither Bindeglied zwischen Hochschule und Wirtschaft – und seine Professur natürlich ein Reservoir für die benötigten Fachkräfte in der Region. 20 Studenten betreut Golle pro Semester. „Das ist rund ein Viertel aller Studenten im jeweiligen Semester“, erklärt Golle stolz. Zwar unterrichtet der Professor zumeist Maschinenbauer und Wirtschaftsingenieure, „aber ab und an verirrt sich auch ein Betriebswirtschaftler in meine Vorlesung“, sagt Golle und lacht. Der gebürtige Oberpfälzer bildet aber nicht nur den potenziellen Nachwuchs für die Firmen aus. Derzeit forscht er etwa daran, die Effizienz von Hochleistungswerkzeugen zu steigern.

Dabei helfen soll eine neue Presse, die die Firmen Bruderer und Härter gestiftet haben. „Schwingungen und Dämpfungen auf die Schneidewerkzeuge der Presse sind entscheidend, um die Standzeit zu optimieren“, erklärt Golle. Mit der neuen Presse kann Golle nun die Schwingungseigenschaften systematisch in der Praxis untersuchen. Das Ziel: die Standzeit von Schneidewerkzeugen deutlich erhöhen. Die werden etwa bei der Herstellung von Bauteilen auf schnelllaufenden Pressen eingesetzt.

Golles Professur ist deutschlandweit einmalig – und dokumentiert die Bedeutung der Branche. Dabei sah es 2008 und 2009 alles andere als gut aus. Die Branche trifft die Wirtschaftskrise besonders hart. Doch die schweren Zeiten sind vorbei. Die Firmen sind längst zurück auf Wachstumskurs. Dieser Boom ist in der Region sicht- und greifbar. Bagger rollen allüberall. Meist bauen Stanz-, Blech- oder Oberflächentechniker, etwa Conttek und Hoffmann, die beide in Pforzheim neue Standorte bezogen haben. Der Präzisionstechniker Kummer hat in Ötisheim erweitert. Auch Kramski plant derzeit eine Erweiterung des Pforzheimer Standorts.

Manchmal führt die eigene Expansion wieder zurück zu den eigenen Wurzeln. Der Stanztechniker Kleiner aus Pforzheim ist so ein Beispiel. 1985 in Eisingen gegründet, ist man schnell zu groß für den Standort und siedelt deshalb nach Pforzheim über. Nun hat Kleiner den alten Stammsitz reaktiviert. „Hier fertigen wir auf bis zu acht Maschinen Steckverbinder in hoher Stückzahl“, sagt Prokurist Frank Chojinski. „Die Stückzahlen sind aktuell so hoch, dass Fertigung und Logistik an ihre Grenzen stoßen.“ Auch das ist ein Problem. Aber eines, bei dem selbst Wolfgang Böhm ausnahmsweise nicht helfen kann.

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