Die neuen Herren

Der chinesische Baukonzern Sany übernimmt Putzmeister. Die Belegschaft protestiert - doch der einstige Weltmarktführer hat keine andere Wahl.

 
Foto: Michael Bode
 

Die Wut lässt Sieghard Benders Stimme zittern. Der Gewerkschaftssekretär der IG Metall Esslingen holt tief Luft, presst Wort für Wort seinen ganzen Zorn heraus. „Der Schlecht“, zischt Bender, „der Schlecht kann seine Betonpumpen in Zukunft selbst bauen!“

Der Schlecht, das ist Karl Schlecht, bald 80, Gründer des Betonpumpenherstellers Putzmeister. Jetzt hat er sein Unternehmen für rund 525 Millionen Euro an den Baukonzern Sany verkauft. Ein schwäbisches Traditionsunternehmen in der Hand von Chinesen? Undenkbar. Auch für Bender. Bis Ende Januar, als alles ganz schnell ging – und der Maschinenbauer aus Aichtal plötzlich neue Herren aus China hatte.

Gewerkschaft und Betriebsrat laufen seither Sturm. Es herrscht dicke Luft in Aichtal, wo Putzmeister rund 900 Menschen beschäftigt. Das Klima zwischen Belegschaft und Geschäftsführung ist vergiftet. „Nur noch Dienst nach Vorschrift“ werde verrichtet, sagt Bender. Überstunden gebe es vorerst keine mehr, „und das, obwohl die Auftragsbücher voll sind.“ Gewerkschaft und Betriebsrat werfen dem Gründer Schlecht Habgier, der Geschäftsführung mangelnden Anstand vor. Von einer „Demütigung“ ist die Rede, von „Frechheit“ und einer „Katastrophe“.

Norbert Scheuch kommt gerade aus China. Der CEO von Putzmeister hat sich in den vergangenen Wochen die Standorte von Sany angeschaut. Scheuch ist in Eile, eine Besprechung jagt die nächte. Auf die martialische Rhetorik von Gewerkschaft und Betriebsrat ist er nicht gut zu sprechen. Scheuch ist ein erfahrener Sanierer, mit dem Widerstand hat er gerechnet. Dennoch, sagt Scheuch im Econo-Interview, sei der Verkauf an Sany die einzig sinnvolle Option.


Herr Scheuch, der Verkauf von Putzmeister an den Konzern Sany hat hohe Wellen geschlagen. Der Aufschrei war groß. Können Sie das nachvollziehen?

Norbert Scheuch: Der wesentliche Faktor war sicher die Überraschung. Jeder war überrascht. Es gab keine Gerüchte in der Firma. Dass wir den Betriebsrat vorher nicht informiert haben, liegt daran, dass Sany an der Börse notiert ist und wir deshalb Rücksicht auf die Bestimmungen der chinesischen Börsenaufsicht nehmen mussten. Vielleicht wäre die Reaktion bei einem anderen Investor, einem aus Europa oder den USA, weniger emotional ausgefallen.

Die Sorgen sind in Aichtal und an anderen Standorten in Deutschland seit der Bekannt­gabe nicht kleiner geworden?…

Scheuch: Ich kann nachvollziehen, dass es diese Sorgen gibt. Es gibt bislang einfach keinen ähnlich gelagerten Fall, in dem ein erfolgreicher deutscher Mittelständler und Maschinenbauer von einem chinesischen Konzern übernommen wurde. Das ist interkulturell ein hochspannendes Projekt. Für die Mitarbeiter ist es aber auch die Berührung mit dem Unbekannten. Ich kenne die Sorgen und ich kann versichern, dass sie völlig unbegründet sind.
 

Groß und stark. Für das Putzmeister-Logo wählt Karl Schlecht vor Jahren einen Elefanten. Das passt. Putzmeister, 1958 von Schlecht als Student gegründet, gilt jahrzehntelang als Inbegriff deutscher Wertarbeit. Immer neue Rekorde stellt Putzmeister mit seinen Betonpumpen auf. Die Devise: höher, schneller, weiter.

1977 ist es erstmals so weit: Eine Betonpumpe aus Aichtal überwindet beim Bau des Frankfurter Fernmeldeturms zum ersten Mal eine Höhendifferenz von 310 Metern. Weltrekord. Nur einer von vielen. Ehrensache, dass Putzmeister-Pumpen auch beim höchsten Bauwerk der Welt, dem Burj Khalifa in Dubai, zum Einsatz kommen – der neue Rekord von 606 Meter Pumphöhe inklusive. Als das Atomkraftwerk in Fukushima havariert, schickt Putzmeister eine Pumpe nach Japan, um Wasser in den beschädigten Reaktor zu pumpen. Der Öffentlichkeit ist klar: Putzmeister, ein schwäbischer Mustermaschinenbauer mit Weltformat. Die können was!


Warum haben Sie sich für einen Verkauf an einen chinesischen Konzern entschieden?

Scheuch: Das ist eine strategische Überlegung. Wir sind 2006 und 2007 in einen Boom hineingelaufen, sind tief abgestürzt, haben uns mühsam operativ erfolgreich ausgerichtet. Mittel- bis langfristig besteht die Gefahr, dass einer der großen chinesischen Anbieter aggressiv in den europäischen Markt eintritt. Eine solche Attacke können wir angesichts unserer Ertragssituation nicht parieren. Zur Veranschaulichung: Das Ebit von Sany ist zwei- bis dreimal so hoch wie unser gesamter Umsatz. Wir erwirtschaften derzeit eine Ebit-Marge von zehn Prozent, Sany kommt auf mindestens das Doppelte. Auf Dauer ist es ein Kampf David gegen Goliath, den wir nicht gewinnen können.


Wer die Metamorphose von Putzmeister vom starken Elefanten zum demütigen David nachvollziehen will, muss einige Jahre zurückgehen. 2007 ist die Welt in Aichtal noch in Ordnung. Putzmeister durchbricht erstmals die magische Grenze von einer Milliarde Euro Umsatz. In Aichtal brummt der Betrieb. Fast 4000 Menschen arbeiten für Putzmeister. Die Stimmung ist prächtig.

Doch die Feierlaune hält nicht lange an. Bereits 2008 gibt es in der Jahresbilanz die erste Wachstumsdelle. Ende des Jahres geht dann Lehman pleite, die Immobilienblasen platzen, in den USA, in Spanien. Der Bauboom ist jäh zu Ende. Für Putzmeister ist das fast der K.o.-Schlag.

Der Umsatz bricht innert eines Jahres auf 440 Millionen Euro ein. Die Verluste sind massiv. Allein 2009 schreiben die Aichtaler einen Verlust von 141 Millionen Euro. Dazu bleibt Putzmeister auf Maschinen im Wert von rund einer halben Milliarde Euro sitzen. Totes Kapital. Die Banken, die Putzmeisters Wachstum über die Jahre finanziert haben, werden nervös und reagieren – sie installieren Sanierer Scheuch als CEO.


Sie sind seit 2009 bei Putzmeister, 2008 war das Krisenjahr. Wie war der Zustand der Firma?

Scheuch: Der Betrieb befand sich in einer Schockstarre. Krise war bis dahin nur was für andere. Putzmeister kannte diese Situation gar nicht. Es ging 50 Jahre lang immer nur vorwärts, pausenloses Wachstum. Und plötzlich ging es nicht mehr darum, das Wachstum zu managen, sondern zu sparen und umzustrukturieren. Das ist natürlich eine fundamental andere Herangehensweise – und eine große Herausforderung.

Der Putzmeister-Gründer Karl Schlecht sagte in einem Interview, dass Putzmeister Fehler gemacht habe, nicht ausreichend diversifiziert sei und der Volatilität der globalen Märkte schutzlos ausgeliefert sei. Was wiegt am schwersten?

Scheuch: Das ist schwer zu sagen. Eine Diversifizierung ist für Putzmeister fast unmöglich. Da fehlt uns schlicht die Finanzkraft. Wir erwirtschaften 75 Prozent des Umsatzes im Geschäftsfeld Betonpumpen. Mit dieser Strategie ist Putzmeister lange gut gefahren. Und in dieser Zeit war man vornehmlich mit dem eigenen Wachstum beschäftigt. Sie müssen wissen: Betonpumpen waren bis vor einigen Jahren ein absoluter Nischenmarkt. Deutsche Mittelständler wie Schwing und Putzmeister haben ihn unter sich ausgemacht. Für die Baumaschinenkonzerne war er schlicht nicht interessant. In einer solchen Nische lässt sich gut existieren. Über den enormen Bauboom haben die chinesischen Anbieter den Markt aus dieser Nische geholt und in einen Massenmarkt verwandelt, an dem andere teilhaben wollen. Das hat den Wettbewerb drastisch verschärft.

Durch die enorme Nachfrage hat Putzmeister aber 2007 erstmals mehr als eine Milliarde Euro Umsatz erwirtschaftet. Die Eigenkapitalrendite lag bei sensationellen 26 Prozent. Das Unternehmen boomte wie nie zuvor. Ist man zu schnell gewachsen?

Scheuch: Zu schnell nicht. Aber vielleicht ist Putzmeister an der falschen Stelle gewachsen. Wir waren in China vor einigen Jahren einmal Marktführer. Das Unternehmen war aber so ausgelastet mit dem Wachstum in den Märkten der Alten Welt, also zum Beispiel Spanien und den USA, dass man China nicht mit der letzten Entschlossenheit angegangen ist. Durch die Krise infolge der Lehman-Pleite sind die alten Märkte weggebrochen. Sicher wäre eine stärkere Akzentuierung Richtung China besser gewesen, aber Putzmeister ist ein Mittelständler. Wir hatten nicht die Kapazitäten. Ein Konzern wie Sany kann dieses atemberaubende Wachstum anders bewältigen.

Gewerkschaft und Betriebsrat pochen darauf, dass Putzmeister seit der Sanierung ein gesundes Unternehmen sei. Ein Verkauf sei nicht notwendig gewesen?...

Scheuch: Das mag bezogen auf die aktuelle, jetzige Situation richtig sein. Mittel- bis langfristig besteht aber Handlungsbedarf. Putzmeister war jahrzehntelang Weltmarktführer. Das steht zwar noch heute in der Zeitung, aber das sind wir nicht mehr. Während wir 2008 mit den Folgen der Krise gekämpft haben, ist die Konkurrenz in China weiter gewachsen. Diese Entwicklung, diese Erkenntnis, nicht mehr die Nummer eins in der ganzen Welt zu sein, war für Putzmeister völlig neu. Und viele sind sich dessen noch immer nicht bewusst. Im Endeffekt ist der Verkauf daher keine Überraschung. Überraschend war nur, dass es so schnell ging und vielleicht noch die Tatsache, dass der Käufer aus China kommt.


Es sind unbequeme Fakten, die Scheuch anspricht. Der einstige Weltmarktführer ist gestürzt – und sucht nun die Nähe zu den neuen Herren der Branche. Sany beschäftigt weltweit 70?000 Mitarbeiter, der Umsatz liegt bei mehr als zehn Milliarden Euro. Eigentümer Liang Wengen gilt als der reichste Mann Chinas. Scheuch: „Die Dimensionen, in denen sich Putzmeister und Sany bewegen, sind gänzlich andere. Sany produziert jedes Jahr 5000 Betonpumpen. In einer chinesischen Fabrik von Sany arbeiten alleine 30?000 Menschen. Wir beschäftigen etwas mehr als ein Zehntel davon – weltweit.“ Der stolze Elefant ist nur noch eine Maus in der Branche.

Auch deshalb geht in Aichtal die Angst um. Scheuch versucht zu beruhigen: „Sany weiß um die Unterschiede. Sie wissen um unsere Stärken, wir um ihre. Wie gesagt: Sany ist in China die Nummer eins, wir im Rest der Welt. Und für Sany sind wir das Tor zum Markt außerhalb Chinas.“

Das ist Gewerkschafter Bender nicht genug. Er kämpft mit dem Betriebsrat um einen Standortsicherungsvertrag bis 2020 und dafür, dass die Belegschaft am Verkauf beteiligt wird. Forderungen, auf die sich weder Sany noch Putzmeister einlassen dürften. Doch Bender wird weiterkämpfen. Er weiß um die Signalwirkung, die von dieser Übernahme ausgeht. „Der Verkauf hat eine industriepolitische Dimension. Es ist ein Angriff auf die deutsche Baumaschinenindustrie.“

Ein Angriff, den er aus Sicht von Sany sogar nachvollziehen kann. „Wenn ich Sany wäre, hätte ich es genauso gemacht“, erklärt er. „Aber ich bin nicht Sany. Ich wohne im Landkreis Esslingen. Das ist der Unterschied.“

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