Die Rüberflieger
Drei Tage Zeit, 24 Unternehmen, 59 Arbeitsstellen, 100 Spanier, 1500 Stunden Vorbereitung – die „Fachkräfteallianz Gewinnerregion“ gleicht einem Marathon.
09.07.2012 | 10:19
Im Erdgeschoss der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg in VS-Villingen herrscht gelöste Stimmung. Menschen in Kostüm und Anzug plappern und albern, fotografieren und tauschen Adressen. Die 100 Frauen und Männer stammen aus allen Teilen Spaniens, sie sind zwischen 23 und 40 Jahren alt und suchen Arbeit. Die „Fachkräfteallianz“ sehen sie als Chance, mancher als letzte. Die Arbeitslosenquote liegt in Spanien jenseits der 40 Prozent, gerade unter den gut Ausgebildeten.
Deshalb haben sie in den vergangenen drei Tagen wenig geschlafen, viele Gespräche geführt, haben Unternehmen angeschaut.
Jetzt warten sie hier auf das offizielle Gruppenfoto. Es bildet den Schlusspunkt der Aktion, dann geht es mit dem Bus zum Flughafen und zurück nach Barcelona. Im Gepäck haben die meisten neben vielen Eindrücken, einer Scheibe Schwarzwälder Schinken aus Marzipan auch Zusagen zu Probearbeiten in den kommenden Wochen. „Unser Ziel sind 20 Arbeitsverträge bis Ende September“, betont Erika Faust Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Rottweil und Villingen-Schwenningen.
Im ersten Stock des IHK-Gebäudes ziehen zeitgleich die Initiatoren der Aktion Bilanz. Mehr Einigkeit war nie in der Region: „Die Visitenkarten, die hier angegeben wurde, ist aller Ehren wert“, so Thomas Albiez, Hauptgeschäftsführer der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg. Mehr Lob war auch nie für Wirtschaftsförderer Link, es sind eher ungewohnte Töne für ihn. Mehr Euphorie kann ohnehin kaum sein: Die Gespräche seien durch die Bank sehr gut gewesen, die Spanier bestens ausgebildet.
Mehr Druck war aber auch noch nie: In diesem Jahr fehlen bereits 4000 Fachkräfte in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg. „Darunter sind 710 Ingenieursstellen, an denen am Ende weitere Arbeitsplätze in den Unternehmen hängen“, betont Rolf Böning, Geschäftsführer der Südwestmetall Bezirksgruppe Schwarzwald-Hegau. Und die Prognosen sind düster: Bis 2020 gibt es bei den Fachkräften eine Lücke von 40.000 Menschen. Allein in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg.
Drei Tage zuvor, kurz vor 6 Uhr in Barcelona. Auf dem Flughafen kommt die „Fachkräfteallianz“ auf Touren. Abgesandte der Wirtschaftsförderung Schwarzwald-Baar-Heuberg nehmen die 100 Spanier in Empfang und werden sie am Ende auch hier wieder abliefern. Die Spanier sind teilweise bereits seit Stunden unterwegs, treffen von überall aus dem Land hier ein. Das Einchecken beginnt um 7:10 Uhr. „Das war einerseits organisatorisch nicht anders möglich. Andererseits ist es so etwas wie eine Hürde: Wer die Maschine nimmt, der meint es auch ernst, gerade als Südländer“, formuliert es Wirtschaftsförderer Link gewohnt locker.
Am Ende fehlt keiner der Anmeldeten.
Für die Mitarbeiter der Arbeitsagentur ist mit dem Einchecken ein Gutteil der Arbeit erledigt. Erika Faust: „Wir haben 1500 Arbeitsstunden in die Vorbereitung der Fachkräfteallianz investiert.“ Die Agentur hat zusammen mit IHK und Südwestmetall die Unternehmen angeschrieben, den Bedarf ermittelt. 24 Firmen mit 59 freien Stellen im Ingenieursbereich haben sich gemeldet. Für Link kein schlechter Wert, zumal bei der ersten Aktion dieser Art im ländlichen Raum. Bei der Erstauflage der Fachkräfteallianz Ende 2011 in Stuttgart wurden „nur“ 40 freie Stellen gemeldet.
Die Agentur glich anschließend die Stellenprofile mit Bewerbern in Spanien ab, leitete deren Profile an die Firmen weiter.
Als das Flugzeug aus Barcelona um 11:10 Uhr in Stuttgart landet, wissen die Spanier damit, wer und was sie erwartet. Den Personalverantwortlichen aus der Region geht es ähnlich. Bei der offiziellen Begrüßung im Franziskaner-Konzerthaus in VS-Villingen gibt es ein erstes Beschnuppern. Ein Gitarrenspieler zupft spanische Klassiker.
Spannend bliebt das direkte Aufeinandertreffen am folgenden Tag dennoch. Denn Profile im Internet sind eines. Der reale Mensch, das reale Unternehmen etwas anderes. Beide Seiten wissen das gut. Und so ist die Neue Tonhalle in VS-Villingen schon früh morgens voll gefüllt. Im Innenraum stehen mehr als 40 Tische mit jeweils drei Stühlen. Dazwischen ungezählte Trennwände. Ab 9 Uhr werden bis in den Nachmittag hinein Bewerbungsgespräche geführt, für jedes ist eine Stunde Zeit. Mehr als 300 Gespräche werden es am Ende sein, viele waren zuvor nicht geplant.
„Eigentlich wollten wir drei Gespräche führen, dann haben wir aber noch vier spontan geführt“, sagt Ingrid Weiss, Prokuristin bei DDM Hopt+Schuler. Der Grund: „Die Bewerber sind einfach alle sehr gut.“ Auch der BDT-Personalreferent Alexander Metz führt mehr Gespräche als geplant: „Das Niveau der Bewerber ist sehr gut.“
Die rübergeflogenen Spanier, so der Tenor am Ende der Gespräche, sind offensichtlich Überflieger.
Also ein Fortführung der „Fachkräfteallianz“? „Eins zu eins werden wir das frühestens in anderthalb Jahren wiederholen“, so Wirtschaftsförderer Link. Dafür plant er aktuell ähnliche Aktionen fürs Handwerk oder auch die Gewinnung von Auszubildenden aus anderen Ländern.
Die Pause hat indes auch mit dem Budget zu tun: Auf bis zu 90.000 Euro schätzt Link die Kosten. Das Land Baden-Württemberg unterstützt die Aktion mit 20.000 Euro. Auch die Partner wie Südwestmetall geben Beträge. Dazu kommen insgesamt 12.000 Euro von den teilnehmenden Firmen. Das Delta zwischen 30.000 und 40.000 Euro bleibt bei der regionalen Wirtschaftsförderung hängen. Die ist ohnehin finanziell nicht auf Rosen gebetet.
Deshalb hofft auch Link auf möglichst viele Arbeitsverträge: Als Erfolgsprämie zahlen die Unternehmen 1500 Euro pro Vertrag. Bei der von der Agentur angestrebten Anzahl von 20 Verträgen käme die Wirtschaftsförderung vielleicht glatt raus. Doch Südwestmetall-Chef Böning will mehr: „Ich bin überzeugt, es werden mehr Verträge.“
Den Eindruck vermitteln auch die Spanier. Jedenfalls freunden sie sich sehr rasch mit den hiesigen Gebräuchen an. Denn Wirtschaftsförderer Link will ihnen mit der „Fachkräfteallianz“ ohnehin mehr bieten: „Tolle Gespräche allein nützen nichts. Die Atmosphäre in der Region soll auch im Gedächtnis bleiben.“ Also geht es für die Spanier nach dem Gesprächsmarathon in eine urige Hütte, dort schmurgelt ein Spanferkel. Trachtenträger füllen Gläschen mit Kirschwasser. Akkordeonspieler sorgen für Stimmung. Innerhalb kürzester Zeit wird auf den Tischen getanzt, die Weise „Zicke-Zacke-Heu-Heu-Heu“ als Dauerschleife gegrölt. Offiziell ist um 22 Uhr Schluss.
Am nächsten Morgen besuchen die Spanier nach Absprache die beteiligten Unternehmen. Die Stimmung ist noch immer beinahe euphorisch. Die meisten kommen mit Zusagen für eine Probearbeit in das IHK-Gebäude zum Gruppenbild zurück. Es kann der Beginn einer besonderen europäischen Union sein.
Dirk Werner