„Die Stimmung ist extrem angespannt“

Jule Landenberger und Simon Waldenspuhl haben die Interessengemeinschaft Clubkultur Baden-Württemberg mitinitiiert. Im econo-Interview spricht das Duo über die aktuelle Lage der Branche und den Wirtschaftsfaktor Nachtökonomie, das Ziel einer Änderung der Bauordnung, das „Agent of Change“-Prinzip und die Hoffnung auf einen Phönix

 
Foto: oh/Felix Groteloh (r.)
 

Wie ist die Lage und die Stimmung in der Branche?

Simon Waldenspuhl:
Die Lage ist schwierig einzuschätzen, weil es ja auch noch überhaupt keine Perspektive für eine Öffnung gibt. Es gab zwar Förderprogramme von Land und Bund, die auch ein Stück weit trotz Auszahlungsschwierigkeiten gegriffen haben. Doch generell gilt: Die Stimmung ist nicht gut.

Jule Landenberger: Die Stimmung ist sogar extrem angespannt. Die Clubs konnten, auch im Gegensatz zu manch anderen Kultureinrichtungen, im vergangenen Jahr seit dem ersten Lockdown nicht einen Tag öffnen! Dafür sind Kosten entstanden, mit denen man nach einer Öffnung erst einmal umgehen muss: es wurden Gutscheine verkauft oder Mieten gestundet. Auf die Betreiber kommen damit schon jetzt neue Herausforderungen zu.

Waldenspuhl: Auch deshalb haben wir schon einige Rückmeldungen von Betreibern, die aufgegeben haben oder kurz davor sind. Viele machen ihre Entscheidung auch von den nächsten Öffnungsschritten der Politik abhängig.

Landenberger: Das kann ich nur bestätigen, es gibt gerade eine Art Lauerhaltung. Wie es wirklich in der Branche ausschaut wird man erst am Tag X sagen können, wenn die Läden wieder aufmachen dürfen - in welcher Form auch immer. Dann braucht es Antworten auf spannende Fragen: Gibt es noch Personal? Welche Acts und Bands oder auch Bookingagenturen gibt es noch? Und wie viele Menschen darf ich in den Laden lassen? Kommen die Leute überhaupt noch? Ich vermute, nach den Lockerungen rappelt es in der Branche noch mal gewaltig - und das ist auch der Grundtenor bei den Verantwortlichen.

Stichwort Branche: Was verbirgt sich eigentlich genau an Zahlen und Fakten hinter der Clubkultur?

Landenberger:
Einen solchen Überblick gibt es leider noch nicht. Das ist mit ein Grund, weshalb wir uns in der Interessengemeinschaft Clubkultur Baden-Württemberg zusammen gefunden haben. Teilweise haben nicht einmal die Städte eigene Daten zu Clubkultur oder Nachtökonomie vor Ort. Das wird für uns nach der Pandemie eine wichtige Aufgabe, hier für Fakten und damit Sichtbarkeit zu sorgen.

Wie viele Mitglieder hat die Interessengemeinschaft aktuell?

Landenberger:
Da wir noch keine festen Strukturen haben, haben wir auch noch keine Mitglieder, aber es gibt inzwischen gut 120 Unterzeichner*innen.

Warum ist es überhaupt wichtig, sich für die Clubkultur einzusetzen?

Waldenspuhl:
Wir sind davon überzeugt, dass Clubs mehr sind als Orte an denen getrunken und getanzt wird. Es sind Orte, an denen Kultur stattfindet! Vor allem in den Spielstätten, in denen sich Menschen ein Programm überlegen. Ein zweiter wichtiger Aspekt: Die Clubs und damit zusammenhängend die Kreativ- und Künstlerszene ist ein positiver Standortfaktor. Gerade für ein Land wie Baden-Württemberg mit seinen vielen Universitäten ist eine aktive Nachtlebenszene ein wichtiger Faktor. Nicht nur, weil sich dann junge Menschen dazu entscheiden dort zu studieren. Für das Rhein-Neckar-Gebiet gibt es dazu eine Studie, wonach sich Unternehmen bei der Suche nach Fachpersonal gerne in Städten mit einer lebendigen Kulturszene ansiedeln. Die Nachtökonomie ist damit also auch ein wichtiger Standortfaktor.

Vertretungen für die Clubkultur gibt es schon viele Jahre in Berlin, ebenfalls in Zürich. Warum braucht es das jetzt hier im Land?

Landenberger:
Wir haben nach dem ersten Lockdown in Kooperation das Angebot "United we Stream Upper Rhine" gestartet, um den Clubs entlang des Oberrheins diese Möglichkeit für eine Sichtbarkeit zu eröffnen. Es gab dann erste Vernetzungsansätze und so kam der logische Schritt, weitere Standorte im Land einzubeziehen. Auch weil wir gemerkt haben, wie die Berliner Initiative "United we Stream" aufgrund der gewachsenen Strukturen viel besser arbeiten konnte. Andererseits haben deren Strukturen nicht zu unseren Anforderungen gepasst. Das war der Aufhänger eine eigene Interessengemeinschaft zu initiieren, denn gerade in einer Krise ist der Austausch wichtig.

Waldenspuhl: Ein anderer Aspekt ist, dass eine Kommune alleine eine Clubszene nicht am Leben erhalten kann. Das Land wird als Partner gebraucht, nicht nur bei den Corona-Verordnungen, sondern bei Themen wie der Landesbauverordnung oder dem Öffentlichen Nahverkehr.

Corona war damit der Auslöser für die Gründung, ist aber nicht der entscheidende Faktor? In den bisherigen Statements wird herausgestellt, dass die Interessengemeinschaft auch Einfluss auf Themen wie die Bauverordnung nehmen will.

Landenberger:
Das ist definitiv richtig. Die Clubszene ist durch Einschränkungen schon seit längerer Zeit unter Druck.

Was sind die konkreten Vorstellungen – eine Bauverordnung zu ändern, wie es angeküdigt wurde,  ist ein ziemlich dickes Brett...

Waldenspuhl:
Richtig, das ist ein Riesenschritt. Der Bund müsste die Richtlinien ändern, damit Clubs nicht mehr Vergnügungsstätten, sondern Orte kultureller Nutzung sind. Das würde vieles vereinfachen. Das Land hat da über den Bundesrat einen entscheidenden Einfluss. Auch über die Landesbauverordnung kann eine Steuerung erfolgen. Parallel wollen wir die Festschreibung des in Deutschland noch zu wenig bekannten "Agent of Change"-Prinzips erreichen: Dann müssen sich nicht die Clubbetreiber um den Lärmschutz kümmern, sondern die Investoren und Bauherren, die neu in das Viertel kommen. Damit ist klar, dass eine Spielstätte, die bereits seit Jahren existiert, auch nach einer Nachverdichtung noch eine Zukunft haben kann. Für diesen Mentalitätswechsel setzen wir uns ebenfalls ein. Die Weichen könnten dafür durch das Land schon jetzt gestellt werden.

Aber die Wahrscheinlichkeit, dass es dazu kommt...

Landenberger:
Wir sind ja nicht die ersten, die das fordern. Es gibt Städte und Länder, die da schon weiter sind. Je geschlossener die Betroffenen dabei aufgetreten wird, desto wahrscheinlicher können sie es umsetzen. Dass dies aber nicht von heute auf morgen geht ist allen Beteiligten klar. In Hamburg ist man beispielsweise einen pragmatischen Weg gegangen: Mit den Hamburger Lärmschutzfonds wurden beispielsweise bei Beschwerden von Anwohnern vor Ort Messung gemacht - und dabei schon auch mal festgestellt, dass die S-Bahn viel lauter ist als der angeprangerte Club.

Die Interessengemeinschaft hat Wahlprüfsteine erarbeitet und die Parteien um Aussagen gebeten. Wie fällt das Fazit aus – wen sollte die Clubszene künftig wählen?

Landenberger:
(lacht) Wichtig ist, überhaupt wählen zu gehen. Insgesamt war die Resonanz sehr gut. Wir haben von allen Parteien bis auf die AfD Antworten erhalten, teilweise sehr ausführliche. Dabei gab es viel positives Feedback, auch für die Gründung der Interessengemeinschaft. Die Antworten kann man auf unserer Website ausführlich nachlesen.

Wie geht Ihr mit den Aussagen der Parteien um?

Waldenspuhl:
Wir werden mit allen Parteien weiterhin im Gespräch bleiben, außer mit der AfD, und sie auch an ihren Aussagen und Versprechen messen. Wobei wir uns grundsätzlich darüber freuen, dass auch Parteien, bei denen man grundsätzlich nicht unbedingt eine Offenheit für subkulturelle Themen erwarten würde, offen sind für unsere Ansätze. Man merkt, sie haben sich mit der Thematik auseinandergesetzt und sind interessiert an Lösungen. Das ist ein guter erster Schritt.

Wie geht es jetzt weiter mit der IG? Was sind die nächsten Meilensteine?

Landenberger:
Zunächst wollen wir einen Verband gründen und müssen uns damit befassen, wie wir attraktiv für Mitglieder werden. Dann wollen wir Kooperationen ausbauen und mit Politikern weiter ins Gespräch kommen sowie die Vernetzung vorantreiben. Und natürlich möchten wir auch unseren Forderungskatalog durchsetzen, den wir zusammen mit den Wahlprüfsteinen aufgestellt haben.

Und wann geht das Clubleben wieder los?

Landenberger:
Das ist eine sehr schwierige Frage, die auch innerhalb der Szene kontrovers diskutiert wird. Mir fällt eine Aussage schwer, auch weil im Sommer zwar Konzerte draußen sicher stattfinden können, wenn auch mit weniger Besuchern, aber ab Herbst dann wieder in den Clubs? In welcher Form soll das möglich sein? Die Booker jedenfalls planen bereits für 2022, teilweise 2023.

Steht damit ein wesentlicher Teil dieser Kulturszene vor dem Aus?

Waldenspuhl:
Auf jeden Fall. Das ganze Ausmaß wird sich erst zeigen, wenn es wieder los gehen kann. Man kennt das Phänomen: in der Krise mobilisiert man alle Kräfte und merkt erst hinterher wie erschöpft man ist. Dazu kommt: Die Szene war schon vor Corona unter Druck. Es gab ein Clubsterben, das beispielsweise in Freiburg ziemlich durchgeschlagen hat. Einen privatwirtschaftlichen Club zu betreiben war schon lange nicht mehr einfach. Wenn die Politik nicht auch den Neustart mit Förderprogrammen unterlegt, dann sehen wir schwarz.

Gibt es eine Art Phönix, der am Ende aus der Asche aufsteigen kann?

Waldenspuhl:
Den gibt es tatsächlich! Mich stimmt positiv, dass in der Krise klar wurde, wie wichtig auch unsere Kulturszene für das Wirtschaftsleben in Städten und Gemeinden ist. Und wir haben die Hoffnung, dass diese Erkenntnis erhalten bleibt und es eine verstärkte Förderung gibt. Auf politischer Ebene kommen wir durch die Krise voran, was sich auch in den Antworten auf die Wahlprüfsteinen spiegelt.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Jule Landenberger ist als Kommunikationsdesignerin geschäftsführende Gesellschafterin der Freiburger Agentur Punkt Komma Strich. Sie ist vielfältig kommunalpolitisch aktiv.

Simon Waldenspuhl arbeitet als Veranstaltungskaufmann beim Studierendenwerk in Freiburg und organisiert Veranstaltungen von der Party über Bälle bis zum Flohmarkt. Ebenfalls ist er Fraktionsgeschäftsführer der JUPI Fraktion im Freiburger Gemeinderat. Auch er ist in der Kommunalpolitik aktiv.

// Transparenz: Die IG Clubkultur Baden-Württemberg ist ein Kooperationspartner das Lost Place & Medienkunstfestivals "Instandsetzung#2" (4. - 6. Juni 2021), das econo zusammen mit verschiedenen Hochschulen und nationalen/internationalen Künstlern organisiert. //

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