Eiszeit am Südpol
Die schillernde Agentur ist insolvent. Der Grund: Die Chefs Ralf Ganter und Jürgen Reiter machten einen Werber-Traum wahr.
diwe
27.10.2011 | 10:42
Foto: Michael Kienzler
Am Ende des Rundgangs sagt Ralf Ganter nur ein Wort: „Und?“ Was soll man darauf antworten? Eben ist man mit Ganter und Jürgen Reiter, den Geschäftsführern der Agentur Südpol, durch das neue Gebäude in Niedereschach gelaufen. Von oben, dem lichtdurchfluteten Besprechungsraum, durchs Fotostudio, die Büros bis hinab in die Kantine. Südpol hat die alte Uhrenfabrik umgekrempelt, daraus einen Werber-Traum machen lassen. Überall Glas, Stahl und Backsteinwände. Dazu Lichteffekte und Gimmicks wie das in Besprechungstische eingefräste Logo der Agentur: eine Windrose. Der ganze Bau soll an einen Eisbrecher erinnern. Sogar einen zwei Meter hohen Anker gibt’s auf dem Balkon.
Natürlich lässt Ganters herausforderndes „Und?“ nur eine Antwort zu: „Wow!“
Das ist knapp zwei Jahre her. Heute hat die Agentur Zahlungsschwierigkeiten, Gehälter konnten nicht überwiesen werden. Im Dezember soll das Insolvenzverfahren eröffnet werden. Doch was hat die Eiszeit am Südpol verursacht?
Auf diese Frage gibt es zwei Antwortmöglichkeiten. Die eine hängt direkt mit dem „Eisbrecher“ zusammen. Reiter und Ganter formulieren es beinahe treuherzig so: „Die Gründe für den Insolvenzantrag sind das Wegbrechen des größten Kunden sowie die hohen Kosten der Agentur-Immobilie.“ Das ist vielleicht eine schonungslose Offenheit!
In Zahlen kann man es so ausdrücken: 10 000 Euro Eigenkapital standen schon in der Bilanz 2009 rund 2,4 Millionen Euro an Verbindlichkeiten gegenüber. Da die Immobilie an eine Leasinggesellschaft ausgelagert wurde, tauchen dabei unter anderem die Umbaukosten gar nicht in der Bilanz auf.
Nun sagen diese Zahlen nicht wirklich viel, zumal der Überschuldungs-Begriff angepasst wurde: Wenn eine positive Prognose gegeben ist, dann darf man auch eine Durststrecke ohne Furcht vor juristischen Konsequenzen durchstehen. Solange die Banken mitziehen. Und die Kunden zufrieden sind. Man könnte es so ausdrücken: Südpol hatte über Jahre hinweg ein fein austariertes Einnahme- und Ausgabesystem.
Insider formulieren es härter: Ganter und Reiter seien fachlich sehr gut. Aber mit Zahlen haben es beide nicht so. In der Welt der Agenturen ist das nicht ungewöhnlich, es braucht eben nur die Selbsterkenntnis und damit einhergehend die Bereitschaft zu entsprechender Unterstützung.
Ende 2010 kommt der Südpol-Dampfer in ein Eisfeld: Ein wichtiger Kunde springt ab. Nach Informationen von Econo hatte sich das einige Zeit zuvor angekündigt. Besagter Kunde fragte bei verschiedenen Agenturen in der Region das Portfolio ab, wollte eine eigene Datenbank mit den jeweiligen Schwerpunkten anlegen. Für Branchenkenner ein eher ungewöhnliches Vorgehen, wenn man mit der Hausagentur zufrieden ist. Für Südpol ist es das, was der Eisberg für die Titanic ist: Das Finanzkonstrukt kommt ins Schlingern. Sinkt.
An der Stelle muss man auf die zweite Antwortmöglichkeit auf die Frage nach dem Grund für die Eiszeit am Südpol zu sprechen kommen: Jürgen Reiter und vor allem Ralf Ganter.
In der Branche genießt die Leistung Ganters Ansehen. Vom blutjungen Tageszeitungs-Knipser hat er sich autodidaktisch zum anerkannten Studio-Fotografen heraufgearbeitet. Seine Bildideen gelten als top, die Umsetzung ebenfalls.
Ebenso legendär ist aber auch seine Emotionalität. Überschwänglich kann er erzählen, mitreißen, begeistern. „Man muss brennen!“ „Man muss Gas geben!“ Das sind Lieblingssätze von ihm. Die er lebt, wenn er umschallt von lauter Musik furios durchs Studio saust, Anweisungen gibt und Einstellungen wieder und wieder durchspielt.
Doch Ganters Emotionalität und sein Hang zum Exzentrischen polarisieren, stark sogar. Ehemalige Kunden sagen manches über ihn, meist ist es nicht druckreif.
Mit Paris Hilton und der Kampagne für Rich Prosecco feierte die Agentur einen ihrer größten Coups. Das war 2006. Damals ließ sich aber eines bereits erkennen, was in der Branche allgemein als das größte Manko des Konstrukts angesehen wird: Südpol ist im Grunde das Anhängsel des Fotostudios. Fototechnisch bestens aufgestellt von der Idee bis zum Equipment, aber beim Ersinnen oder der Umsetzung einer Kampagne eher Durchschnitt. Das Fotostudio ist unter dem Namen Inspirations ohnehin getrennt von der Agentur, war lange eine GbR und ist jetzt in der Schieflage zur GmbH umfirmiert.
Die Trennung mag bilanzielle Gründe haben. In der Außenwahrnehmung ist sie indes nur schwierig vermittelbar.
Thorsten Schleich sind all die Umstände bekannt. Der vorläufige Insolvenzverwalter ist dennoch zuversichtlich: „Am Ende des Verfahrens wird es die Agentur noch geben.“ Auch die 27 Mitarbeiter sollen gehalten, der Schwerpunkt der Arbeit auf Technik und Sport fokussiert werden. Das sind bereits jetzt zwei wichtige Schwerpunkte. Der Grund für Schleichs Optimismus? „Die Kunden stehen zur Agentur und es wurde trotz der aktuellen Situation ein namhafter Auftrag neu akquiriert.“
Dazu kommt, dass Ganter und Reiter zwar spät, aber immerhin reagiert haben. Als ihr austariertes Konstrukt aus dem Ruder lief, nahmen sie einen Lotsen an Bord. Schleich: „Mithilfe eines externen Beraters wurden schon erste Restrukturierungen eingeleitet.“ Mitarbeiter mussten gehen, der Fuhrpark wurde verkleinert. Auch der Koch in der Kantine kam auf den Prüfstand.
Doch das sind alles Peanuts. Das ist Schleich nach dem Studium der Bilanzen klar: „Die Kosten für die Immobilie sind ein Riesenthema.“ Hier führt er mit den Gesellschaftern der für das „Sale and lease back“-Konstrukt gegründete Gesellschaft Gespräche. Nur: Was ist als Miete für ein derart individuelles Gebäude angemessen? Andererseits, lässt sich ein „Eisbrecher“ anders nutzen als von einer Agentur Südpol? Ein Dilemma. Am Ende wird die Agentur sich deutlich in Sachen Platz einschränken und neue „Passagiere“ dulden müssen. Anders sind die Kosten kaum zu senken.
Wie auch immer, schon im ersten Quartal 2012 will Schleich Südpol wieder aufgetaut haben.