Ganz schön außer Puste
Weil Beatmungsgeräte gebraucht werden, schnappt die Industrie neue Luft – in einer Region tummeln sich die Zulieferer
02.04.2020 | 16:30
Freiburg. Beatmungsgeräte haben Konjunktur. 10.000 Stück hat die Bundesregierung allein beim Lübecker Hersteller Dräger bestellt. Von diesen und anderen Großaufträgen bleibt auch etwas in Südbaden hängen. Mehrere Unternehmen aus dem Raum Freiburg zählen zu den Zulieferern von Dräger und anderen Herstellern. Und die verlangen ihren Partnern nun einiges ab.
Die Lage war nicht gut. Schon seit Januar gibt es bei Schurter in Endingen Kurzarbeit. „Jetzt fährt es langsam wieder hoch“, sagt Vertriebsleiter Thomas Helbling. Schurter entwickelt und baut kundenspezifische Eingabesysteme vor allem für industrielle Anwendungen, etwa in der Automatisierung – und auch in der Medizintechnik. „Wir sind der Zulieferer einer der wichtigsten Komponenten der Beatmungsgeräte“, sagt Helbling. „Bedieneinheit inklusive Touchscreens.“ Dräger und auch die Schweizer Firma Hamilton gehören zu den Schurter-Kunden – und haben nun kräftig nachgeordert. Vervierfacht habe sich die Stückzahl, die Schurter nun liefern soll – und zwar innerhalb der nächsten drei Monate. „Wir ordnen alle anderen Aufträge diesen Kunden unter“, so Helbling. Die anderen Kunden hätten nicht nur Verständnis, sie würden das Vorgehen sogar unterstützen.
Schurter ist seit 1970 in Endingen. Der Mutterkonzern sitzt in der Schweiz. Am Kaiserstuhl beschäftigt die Firma 180 Menschen, weltweit sind es 2000. Der Umsatz des hiesigen Werks lag zuletzt bei 61 Millionen Euro. Normalerweise macht die Medizintechnik nur ein Viertel des Umsatzes aus. Aktuell sei es durch den neuen Auftrag etwa die Hälfte.
MSC Technologies aus Freiburg ist ein Marktbegleiter von Schurter. Manchmal gehen die Unternehmen als Wettbewerber ins Rennen, manchmal auch als Partner. „Man trifft sich immer wieder neu“, sagt Dominik Reßing, Technologiechef bei MSC. Dass zwei konkurrierende Unternehmen gemeinsame Sache machen, ist nicht ungewöhnlich. Das Land Baden-Württemberg hat sogar ein Internetportal geschaltet, auf dem die Firmen sich gezielt vernetzen können. „In der aktuellen Krise kommt es gerade im medizinischen Bereich darauf an, möglichst schnell auf knapp werdende lebenswichtige Produkte reagieren zu können“, sagt Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut. Mehr als 1000 Unternehmen haben sich hier bereits eingetragen und bieten konkrete Produkte, Entwicklungen oder andere Dienstleistungen an. „Die Hilfsbereitschaft der Unternehmen ist beeindruckend und die Kooperationsbörse unterstützt uns maßgeblich“, so die Ministerin weiter.
Nicht nur Dräger habe nachgeordert, auch die Hersteller Löwenstein und Westfalen Medical schreiben neue Aufträge an MSC, verrät Reßing. Dräger das Vierfache, die anderen beiden das Doppelte. „Wir liefern das Gesicht des Beatmungsgeräts“, sagt Reßing. Für Dräger sind es statt 4000 Baugruppen im Jahr nun 16.000 – so schnell wie möglich. Die Kunst bestehe darin, die industriellen Prozesse zügig anzupassen und vor allem Bauteile und Rohstoffe zu beschaffen. Medizintechnik ist normalerweise ein Drittel des Geschäfts von MSC. Daneben liefert das Unternehmen Komponenten an die Automatisierungstechnik, an Hersteller von Bau- und Landmaschinen sowie für elektronische Spielautomaten.
Am Hochrhein hat der Schraubenkonzern Würth einen seiner elektronischen Ableger. Würth Elektronik (WE) ist mittlerweile zu einem Konzern im Konzern gewachsen – mit 7300 Mitarbeitern und einem Umsatz von 822 Millionen Euro. Zum Vergleich: Der gesamte Würth-Konzern spielt mehr als 14 Milliarden Euro ein. Im industriell geprägten Schopfheim sind es aktuell 450 Mitarbeiter. Sie zählen zur WE-Sparte CBT, einem Lohnfertiger von Leiterplatten. „Wir sind in der Lage, Aufträge kurzfristig anzunehmen, einzusteuern, reibungslos zu produzieren und zuverlässig zu liefern“, sagt Thomas Beck, Geschäftsführer Vertrieb und Marketing. Neben Schopfheim gibt es noch weitere Werke in Niedernhall und Rot am See, beides im Hohenlohekreis.
Nicht mit Elektronik sondern mit Polyurethan-Schaum verdient die Firma Toby Schaum aus Merdingen ihr Geld. Axel Riesterer ist Geschäftsführer des Unternehmens mit 40 Mitarbeitern. Hier werden Metallbügel mit dem Schaum überzogen, um dann als Griffe an Beatmungsgeräten verbaut werden. „Die Nachfrage hat sich mehr als verdoppelt“, sagt Riesterer. 4000 solcher Griffe hätte die Firma vom Tuniberg dieses Jahr liefern sollen. „Unsere Kunden haben nachgeordert“ , sagt Riesterer. „Aktuell sind es 10.000.“