Gefährlich!
Die Compliance-Regeln sind schärfer geworden und bedrohen auch traditionelle Marketing-Methoden. Die Branche ist verunsichert: Was ist heute überhaupt noch legal?
insc
03.05.2012 | 11:15
Foto: Michael Bode
Selten war die Suche nach Referenten für Michael Lampe so schwierig wie diesmal. „Kaum jemand wollte etwas sagen.“ Der Chef des Marketingclubs Karlsruhe organisierte zusammen mit seinem Mannheimer Kollegen Hans-Joachim Adler eine gemeinsame Veranstaltung der Marketingclubs aus dem Südwesten. Das Thema: Compliance.
Marketingleute aus 14 Clubs strömen zu der Veranstaltung nach Heidelberg. Es ist ein Indiz dafür, wie groß das Bedürfnis nach Information zu diesem Thema ist.
Denn der Umgang mit Compliance-Regeln ist längst zum Thema der Wirtschaft geworden, besonders auch der Mittelständler. „Begriffe wie Logendämmerung machen die Runde“, sagt Lampe und meint die Schwierigkeiten von Unternehmen, die in Stadien, Hallen oder großen Veranstaltungssälen Business-Logen angemietet haben und sich nun schwertun, Geschäftspartner dorthin einzuladen. „Wer eine solche Einladung annimmt, will nicht gesehen werden“, berichtet Lampe, „Nicht vom Chef, nicht vom Konkurrenten – und erst recht nicht vom Staatsanwalt.“
Bedrohen die Compliance-Vorschriften etwa klassische Marketingformen? „Es gibt eine sehr große Verunsicherung, insbesondere bei Marketingabteilungen“, hat Christine Gräve beobachtet. Sie ist Rechtsanwältin und Compliance-Expertin bei der Kanzlei Raupach & Wollert-Elmendorff aus Stuttgart.
Das liegt – wie so häufig – an unscharfen Formulierungen in den Gesetzen. „Die Rechtslage ist nicht eindeutig“, bestätigt Rechtsanwältin Verena Eisenlohr von der Mannheimer Kanzlei Rittershaus, die sich als Fachanwältin auf Handels- und Gesellschaftsrecht spezialisiert hat. „Die Tatbestände sind schon ziemlich weit gefasst, das ist vom Gesetzgeber so gewollt.“
Urteile, die in anderen Rechtsbereichen oftmals die Gesetzeslage konkretisieren, vermeiden beim Thema Compliance bisher noch die Definition dessen, was noch erlaubt ist und was nicht.
Beispiel Ticketaffäre: Kurz vor Weihnachten 2005 verschickte der damalige EnBW-Chef Utz Claassen Gutscheine für Eintrittskarten zur Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland. Empfänger der delikaten Weihnachtspost waren der baden-württembergische Ministerpräsident, fünf Landesminister und ein Staatssekretär im Bundesumweltministerium. Politiker also, die sich qua Amt immer wieder mit dem Energieversorger befassten und ohnehin freien Eintritt in die Stadien genossen.
Doch das Landgericht Karlsruhe spricht Claassen frei. Der EnBW-Chef habe beim Versenden der Gutscheine keine unlauteren Motive verfolgt, begründen die Richter ihre Entscheidung. Als „lebensfremd“ bezeichnen das ihre Richterkollegen vom Bundesgerichtshof und machen deutlich, dass man im konkreten Fall auch anders hätte entscheiden können. Gleichwohl bestätigen sie den Karlsruher Spruch – weil es ein Revisionsverfahren war und deshalb nur zu prüfen war, ob das Landgericht alle entscheidenden Kriterien berücksichtigt hatte. Klare Grenzen zwischen Korruption und Klimapflege ziehen sie nicht.
Damit lassen sie Scharen von Marketingspezialisten ratlos zurück. „Früher war Bestechung beziehungsweise Bestechlichkeit immer auf eine konkrete Amtshandlung bezogen“, klärt Fachanwältin Eisenlohr zumindest ein wenig auf. Aber diese Regelung hat häufig zu einer Beweisnot geführt. Deshalb beziehen sich beide Straftatbestände heute auf die Dienstausübung allgemein. Darunter fällt dann auch die Klimapflege. „Erfasst wird von den strafrechtlichen Begriffen jede Leistung, auf die der Empfänger kraft Amt keinen Anspruch hat“, erläutert Eisenlohr. „Das betrifft quasi alles.“
Doch es gibt Ausnahmen. „Sozialadäquate Zuwendungen“ heißt das in der Gesetzessprache. Voraussetzungen dafür: Diese Zuwendung muss ungeeignet sein, jemanden zu beeinflussen, und einen geringen Wert haben. Einladungen dürfen lediglich Repräsentationszwecken dienen und der Einladende muss auch anwesend sein.
Einen deutlichen Unterschied, erläutert Eisenlohr weiter, ergibt es auch, ob man einen Amtsträger vor sich hat oder nicht. Dazu zählen Bürgermeister, Beamte und andere Personen des öffentlichen Lebens wie etwa Gemeinderäte, sofern sie eine besondere Verwaltungsaufgabe haben, zum Beispiel im Aufsichtsrat eines Stadtwerks sitzen. „Bei Amtsträgern gelten deutlich strengere Maßstäbe als bei einfachen Angestellten.“
Auch die Stuttgarter Compliance-Expertin Christine Gräve rät Unternehmen zur Vorsicht. „Es muss immer der Einzelfall mit allen maßgeblichen Umständen betrachtet werden. Jeder Fall ist wirklich anders.“ Im Zweifel sollte man sich lieber an die Compliance-Abteilung oder einen externen Berater wenden.
An einem Beispiel macht sie das deutlich: Der Sponsor eines großen Tennisturniers am Produktionsstandort des Unternehmens wollte den örtlichen Oberbürgermeister und den Regierungspräsidenten zu der Sportveranstaltung einladen. Wert der Tickets: 90 Euro. Fünf Wochen zuvor hatte das Regierungspräsidium dem Unternehmen aber eine Genehmigung erteilt, an der der Präsident – vielleicht – beteiligt war.
Zwar sei die Einladung eine „vertretbare Geschäftsentscheidung“, wie Gräve ausführt, und auch ihr Wert bei höherrangigen Amtsträgern angemessen. „Dennoch würde ich von der Einladung des Regierungspräsidenten entschieden abraten.“ Es reicht oft schon aus, nur den Anschein eines unlauteren Vorteils zu erwecken, um unter Verdacht zu geraten.
Deshalb rät Gräve ihren Kunden immer zu größtmöglicher Transparenz: „Schicken Sie die Einladungen immer an die Firmenadresse, weisen Sie darin auf den Wert des Geschenkes hin und bitten Sie den Empfänger, zu prüfen, ob er das annehmen darf.“ Außerdem sollte das einladende Unternehmen alle Umstände der Einladung schriftlich festhalten und aufbewahren.
Geschenke, Einladungen, Veranstaltungen gemeinsam mit den Lebenspartnern: „Das wird immer wieder gern genommen vom Staatsanwalt“, berichtet Martin Auer, Bereichsleiter Konzernrecht, -Compliance und Materialwirtschaft beim Mannheimer Energieversorger MVV. „Ab 50 Euro haben Sie ein Strafrechtsrisiko.“
Die Logendämmerung kennt er aus Erfahrung, sein Konzern besitzt Logen in der SAP-Arena in Mannheim und im Hoffenheimer Bundesligastadion. „Was glauben Sie, wie oft die schon staatsanwaltschaftlich untersucht worden sind – von allen Staatsanwaltschaften der Region.“
Die MVV belegt daher jeden Geschäftspartner bei Sachgeschenken, Essen, Fremd- oder Eigenveranstaltungen mit einer eigenen Wertgrenze, die nicht überschritten werden darf. Denn Auers Erfahrung ist, dass das Beharren auf starren Grenzen nicht immer hilft: „Sozialadäquat ist das, was das einzelne Gericht oder die jeweilige Staatsanwaltschaft dafür hält.“
Keinesfalls dürften Compliance-Entscheidungen innerhalb der gleichen Abteilung getroffen werden. „Es ist ein Unding, wenn der Vertriebsleiter die Freigabe erteilt! Der steht doch selbst bei 80 Prozent der Fälle auf der Rechnung.“ Stattdessen sollte immer der Chief Compliance Officer eingeschaltet werden: „Es ist unsere Aufgabe, die Jungs nicht dem Staatsanwalt zum Fraß vorzuwerfen.“
Michael Lampe will sogar noch mehr. „Wir brauchen realistische Regeln, steuerlich wie gesellschaftsrechtlich.“ Zudem sollten die Selbstverpflichtungen der Unternehmen vereinheitlicht werden. Auch dürfe Sponsoring für Firmen nicht zum Risiko werden. „Sponsoring ist unerlässlich für Kunst, Kultur und Sport!“
Lampe fordert deshalb ein Aufweichen der strengen Regeln: „Es kann nicht sein, dass mein Finanzbeamter kommt und ich darf ihm nicht einmal einen kleinen Kaffee anbieten.“