Harte Landung
Das Nachtflugverbot in Frankfurt schreckt Logistiker auf. Aber die Unternehmen der Region nehmen es gelassen. Noch sind die Auswirkungen auf sie gering.
insc
25.06.2012 | 11:31
Foto: Archiv
Ralph Beisel schreit laut auf als er von dem Urteil erfährt. „Die Wettbewerbschancen des Frankfurter Flughafens und des gesamten Logistikstandortes Deutschland werden geschwächt!“ Was Deutschlands obersten Flughafen-Lobbyisten so auf die Palme bringt, ist das Verbot von Nachtflügen am Frankfurter Flughafen, durch den Bundesgerichtshof. Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) malt ein schwarzes Bild und sieht Fortschritt und Wohlstand in Deutschland gefährdet. „Der Wirtschaftsstandort braucht leistungsfähige Logistikketten – auch in der Nacht“, sagt Dieter Schweer, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung.
Die Unternehmen der Region nehmen das Verbot und das damit eingeschränkte Angebot gerade bei Luftfracht deutlich gelassener hin. Rüdiger Ertl, Manager Logistik bei der Pforzheimer Witzenmann-Gruppe, sieht keine Auswirkungen des Urteils auf sein Unternehmen. Witzenmann, ein alt eingesessener und nach eigenen Angaben weltweit führender Hersteller von flexiblen metallischen Elementen wie Metallschläuchen, Kompensatoren, Metallbälgen und Fahrzeugteilen mit einem Umsatz von 460 Millionen Euro, nutzt regelmäßig das Flugzeug, um eigene Produktionsstandorte oder Kunden zu beliefern.
Bei Herrenknecht sieht man hingegen schon erste Auswirkungen des Anti-Nachtflug-Urteils: „Teilweise haben sich Flexibilität und vorhandene Kapazitäten durch gecancelte Flüge verringert, teils müssen Ausweichrouten gebucht werden“, heißt es von dort. Der Hersteller von Tunnelbohrmaschinen versendet vor allem kurzfristig benötigte Ersatzteile mit dem Flugzeug zu seinen Baustellen.
Das Nachtflugverbot trifft den Frachtflug besonders hart, denn die Maschinen heben zumeist in den Abend- und Nachtstunden ab. Tagsüber reservieren die Flughäfen ihre Kapazitäten fast ausschließlich für den Passagierflug, wie Axel Grossmann, Geschäftsführer des Black Forest Airports in Lahr berichtet. „Aus diesem Mechanismus stammt auch die Sage, dass Luftfracht bei Nacht geflogen werden muss.“
Bedenkt man zusätzlich, dass etwa zwei Drittel des Luftfracht-Aufkommens in Deutschland am Frankfurter Flughafen abgewickelt werden, zeigt sich noch einmal die Bedeutung dieses Urteils. Denn in Baden-Württemberg gibt es nicht viele Flughäfen, die Fracht in nennenswertem Umfang umschlagen. Rund 21?000 Tonnen waren es am Flughafen in Stuttgart im vergangenen Jahr, hinzu kommen kleinere Mengen in Donaueschingen, am Baden-Airpark und in Lahr.
Dort hat Axel Grossmann ein spezielles Problem: „Wir verfügen zwar seit 2001 über eine rechtssichere Genehmigung als Frachtflughafen, konnten aber über Jahre hinaus nichts damit anfangen, da uns durch die Zollbehörden die Genehmigung zur Abfertigung von Luftfracht aus oder nach Nicht-EU-Ländern verweigert wurde.“ Das ist aber die Nische, in die Grossmann und der Lahrer Flugplatz stoßen wollen. Denn innerhalb der EU ist wegen der guten Verbindungen auf Straße und Schiene die Nachfrage nach Luftfracht nur gering. „Und dieser Bedarf wird nahezu vollständig durch die Beiladungsmöglichkeiten bei den an Großflughäfen bestehenden Linienverbindungen für Passagiere gedeckt“, sagt Grossmann.
Die Statistik unterstreicht seine Aussage eindrucksvoll. Transportierten im vergangenen Jahr Flugzeuge nur 4,4 Millionen Tonnen Güter, waren auf der Straße 3,3 Milliarden Tonnen unterwegs (siehe Tabelle auf Seite 81).Dennoch wird sich das Frachtaufkommen auch in der Luft in den kommenden Jahren zunehmen, da ist sich Grossmann sicher. „Der Bedarf hat sich stetig aufwärts entwickelt.“ Auch Rüdiger Ertl von Witzenmann glaubt wegen weltweit steigender Anforderungen an eine Zunahme.
Und das, obwohl es zum Flugzeug eine deutlich günstigere Alternative gibt: den Hochseefrachter. „Ja“, sagt Ertl, „aber Schnelligkeit geht eben vor.“ Das ist das große Plus des Luftversandes. Die Kunden wollen rasch beliefert werden, berichtet Ertl, und auch die Produktionsketten in Asien müssen sichergestellt werden. Vor allem hochwertige Güter sind es, die Unternehmen per Luftfracht transportieren lassen. Oder eben schnell benötigte Ersatzteile wie bei Herrenknecht. Die Maschinen selbst werden von Herrenknecht mit dem Schiff transportiert. Zumeist. 1997 landete extra der Riesen-Transporter Antonov 124 auf dem Lahrer Flugplatz, weil Herrenknecht ein 135 Tonnen schweres Tunnelschneidrad nach Madrid bringen musste.
Axel Grossmann hätte sicher gerne mehr davon. Bisher kann er nur gelegentliche Sondertransporte durchführen. Das soll sich bald ändern: Vor einiger Zeit einigten sich Grossmann und die Behörden auf eine Zollabfertigung auch in Lahr. Ein Nachtflugverbot hat Grossmann auch schon.