Ohne die Großen
Die Berufsaufsicht bei Wirtschaftsprüfern wird künftig von kleinen Praxen dominiert. Diese feiern, Kritiker befürchten eine Schieflage.
insc
27.10.2011 | 12:29
Foto: Archiv
Georg Wengert will anfangs seinen Augen nicht trauen. Im Juli erhält der Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Vorstand der Wengert AG aus Singen ein Schreiben der Wirtschaftsprüferkammer (WPK). Darin steht, dass Wengerts Amtskollegen den Mann vom Bodensee in den Beirat der WPK gewählt haben. Was eigentlich harmlos klingt, ist für Wengert und die Branche eine echte Sensation.
Denn in den vergangenen 50 Jahren besetzten ausschließlich die vier größten Wirtschaftsprüfer PWC, KPMG, Ernst & Young und Deloitte den WPK-Beirat. Bei der Wahl im Juli aber erhielten plötzlich die Kandidaten der Liste mittelständischer Wirtschaftsprüfer „wp.net“ sämtliche Sitze. Von den „Big Four“ ist niemand mehr in der WPK vertreten, in der die mehr als 20 000 deutschen Wirtschaftsprüfer Zwangsmitglied sind und die die Berufsaufsicht über die Branche ausübt. Der Beirat bestimmt aus seinen Reihen den Vorstand und Aufsichtsrat, den zuletzt Ernst-&-Young-Vorstand Norbert Pfitzer geleitet hatte. Pfitzer wird nun durch den 59-jährigen Michael Gschrei ersetzt, der die „wp.net-Liste“ angeführt hatte.
Die Personalrochade möglich gemacht hat eine Änderung des Wahlrechts zum WPK-Beirat. Hatten die Großen Vier bisher die Mitgliederversammlungen dominiert und nach Meinung von Kritikern mithilfe von Blankovollmachten ihre eigenen Beschäftigten bei den Wahlen durchsetzen können, war dieses Mal die Abstimmung per Briefwahl möglich. „Nach 50 Jahren haben wir uns das demokratische Wahlrecht erkämpft“, feiert Michael Gschrei den Erfolg seiner Liste in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Georg Wengert setzt sogar noch einen oben drauf: „Die Missbilligung der seit vielen Jahren verfehlten Kammerpolitik gegen die Interessen der Mehrheit ihrer Mitglieder kommt klar zum Ausdruck: Der wahre Souverän hat gesprochen und das sind wir, nämlich die große Zahl der kleinen und mittelständischen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, deren Interessen die WPK schon immer zugunsten der „Big Four“ vernachlässigt hat“, schreibt Wengert an WPK-Geschäftsführer Peter Maxl.
Bei aller Zufriedenheit über den Erdrutschsieg sieht der neue WPK-Präsident Gschrei das Wahlergebnis aber auch kritisch: „Dass in den kommenden drei Jahren nur die Vertreter kleiner und mittlerer Praxen in den Führungsgremien vertreten sind, bedauern wir auch“, teilte er in einer Erklärung mit und schob sogleich nach, dass die WPK natürlich auch die Belange ihrer übrigen Mitglieder im Auge behalten müsse.
Die gehen bereits auf das neue Präsidium zu: „Wir wollen die Hand ausstrecken und der künftigen WPK-Spitze unsere Unterstützung anbieten“, erklärt PWC-Chef Norbert Winkeljohann gegenüber dem Handelsblatt. Und er gesteht Fehler ein: In der Vergangenheit seien die kleinen Praxen unterrepräsentiert gewesen, gibt er zu. Nun falle die Berufsaufsicht aber ins andere Extrem.
Genau darin sieht Georg Wengert die große Chance: „Dieses traumhafte und erdrutschartige Wahlergebnis lässt nach meiner Überzeugung eine Wende in der zukünftigen Kammerpolitik erwarten. Ein Paradigmenwechsel ist in unserem Berufsstand längst überfällig.“ Er vergleicht den Ausgang der Wahl in seiner Tragweite mit dem politischen Machtwechsel in Baden-Württemberg.
Was „wp.net“ mit seiner neuen Machtbasis ändern will, ist nichts Geringeres als die Prüfungspraxis selbst. „Wir werden die Industrialisierung der Abschlussprüfung eindämmen“, kündigt Präsident Gschrei an. Den Preisverfall für Prüfungen will er stoppen, sie sollen nicht länger durch Beratungen „quersubventioniert“ werden können. Die bisherige Praxis hat seiner Ansicht nach zu einer unzureichenden Berichterstattung über die geprüften Unternehmen und zu Unrecht nicht eingeschränkten Testaten geführt. Künftig soll der häufigere Wechsel des Prüfers eine solche Art der „Betriebsblindheit“ möglichst verhindern.
Für Georg Wengert ist damit klar: „Für die Wirtschaftsprüfer-Branche in Deutschland beginnt mit dieser Wahl des Beirats eine neue Zeitrechnung.“