Pkw-Maut: Ja, aber ...
Die Straßen sind jenseits der Belastungsgrenze. Kann eine Pkw-Maut helfen? Die Wirtschaft im Südwesten ist dafür – unter einer Bedingung.
insc
30.03.2012 | 09:49
Manchmal hilft auch Radiohören nichts: „Und weil so viel los ist, hier nur die Staus ab fünf Kilometer Länge“, flötet die freundliche Stimme dann viertel- bis halbstündlich im öffentlich-rechtlichen Rundfunk frühmorgens. Wer also Pech hat, landet in einem Stau, der schon gar nicht mehr durchgesagt wird – weil er schlicht zu kurz ist.
Die großen Fernstraßen im Land sind oft gnadenlos überlastet: A5, A6, A8, A81. Nicht nur zur Rushhour geht nichts mehr. Aber nicht nur auf den Autobahnen rund um Stuttgart oder Karlsruhe wird es dann eng. Die vielen engen Ortsdurchfahrten auf Bundes- und Landstraßen tun ihr Übriges. Kurz: Wer durch Baden-Württemberg fährt, wird in schöner Regelmäßigkeit auf eine Geduldsprobe gestellt. Staus kosten Zeit, Nerven – und Geld.
Doch Straßenbau ist teuer und das Geld dafür ist aus politischen Gründen nicht vorhanden. Von den 53 Milliarden Euro, die der Staat aus der Kfz- und Mineralölsteuer sowie der Lkw-Maut einnimmt, kommen gerade einmal 17 Milliarden wieder dem Verkehr zugute. Längst begeben sich Politiker aller Couleur auf die Suche nach neuen Einnahmequellen. Und stoßen auf – die Maut für alle. Auch für Pkws. Ist sie wirklich die Lösung aller Stau- und Standprobleme?
Nähern wir uns der Antwort zunächst aus einer anderen Richtung, nämlich der Frage, was uns denn die Staus an sich jährlich so kosten. Viel, das ist klar. Die genaue Summe zu beziffern ist hingegen nicht ganz so einfach. Je nach politischer Ausrichtung des Forschungsinstituts fällt das Ergebnis mal höher, mal niedriger aus. Zwölf Milliarden Euro sagen diejenigen, die lieber vorsichtig schätzen. Bis zu 100 Milliarden Euro, schreiben wirtschaftsnahe Einrichtungen. Doch die Tendenz ist immer eindeutig: Es geht um richtig viel Geld.
Rund 4,7 Milliarden Stunden verbringen die Deutschen jedes Jahr im Stau, verbrauchen im stockenden Verkehr etwa zwölf Milliarden Liter Kraftstoff zusätzlich. Legt man einen Staatsanteil an den Kraftstoffpreisen von 80 Cent pro Liter zugrunde, sind Staus sogar eine gute Geldquelle für die öffentlichen Haushalte: Rund zehn Milliarden Euro nehmen sie allein durch diesen Mehrverbrauch ein.
Und doch reicht das Geld nicht, um Straßen auszubessern oder auszubauen. Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann ist da ein Mann der klaren Worte: „Wir haben nichts, wir geben nichts, wir machen nichts.“ Sein Ministerium hat Kassensturz gemacht, der nichts als leere Taschen zeigt. Allein für die Reparatur und Instandhaltung von Autobahnen und Bundesstraßen müssten 350 Millionen Euro pro Jahr ausgegeben werden, rechnet das Ministerium aus. Das Problem: Der Bund überweist nur 286 Millionen.
Nicht anders sieht es beim Ausbau und Neubau aus. Schon die derzeit laufenden Baustellen, wie der sechsspurige Ausbau der A8 zwischen Karlsruhe und Pforzheim, verschlingen insgesamt rund 900 Millionen Euro. Hermann rechnet weiter: Allein um die laufenden Projekte abzuarbeiten, sind vier bis acht Jahre nötig. Die 20 anderen Projekte im Südwesten, die auf der Prioritätenliste des Bundes weit oben stehen, dauern weitere 20 bis 38 Jahre. „Wenn ich das weiß, brauche ich andere Straßen gar nicht weiterplanen“, sagt Hermann.
Bei den Landstraßen sieht es kaum besser aus: 69 Baustellen zählt der Verkehrsminister in Baden-Württemberg. Kosten alleine dafür: 167 Millionen Euro. Sein Fazit: Vor 2015 braucht man mit neuen Projekten erst gar nicht anfangen. Dann ist es längst zu spät.
„Die alte Regierung hat sich nicht im notwendigen Maße um den Erhalt der Straßen, die einen enormen Wert darstellen, gekümmert“, pflichtet Thomas Marwein dem Verkehrsminister bei. Der grüne Verkehrsexperte sitzt für den Wahlkreis Offenburg im Landtag. „Wir werden alle angefangenen Projekte zu Ende bauen“, verspricht er, „und gleichzeitig die bestehenden Landstraßen werterhaltend instand setzen.“ 76,6 Millionen Euro will die Landesregierung in diesem Jahr in die Straßen stecken. Dabei geht Erhalt vor Neubau.
Das fordert Kritik heraus: „Seit Jahren stellen Bund und Land zu wenig Mittel für den Erhalt, Ausbau und Neubau von Bundes- und Landstraßen zur Verfügung“, beklagt der Rottweiler Landrat Wolf-Rüdiger Michel. So blieben wichtige Verkehrsprojekte unerledigt, zum Beispiel die aus Michels Sicht dringend benötigte Talstadtumfahrung für Schramberg.
Auch die Industrie- und Handelskammern des Landes halten das Geldargument für vorgeschoben. „Der grüne Teil der Landesregierung nutzt den angeblichen Geldmangel aus Sicht der Wirtschaft nur als Vorwand“, schimpft Axel Nitschke, Hauptgeschäftsführer der IHK Rhein-Neckar, die das Thema Verkehr für die Südwest-IHKs federführend bearbeitet. „Erstens“, zählt Nitschke auf, „braucht gerade Baden-Württemberg als Transitland und als exportintensiver Produktionsstandort beste Straßen für den Transport von Personen und Gütern. Zweitens sprudeln die Steuereinnahmen kräftig, sodass genügend Mittel für den Erhalt und den Neubau von Straßen vorhanden wären – wenn denn entsprechende Prioritäten politisch gewollt sind.“ Sein Fazit: „Es fehlt nicht am Geld, sondern am politischen Willen.“
Und auch der Geschäftsführer der Kirchhofener Spedition Dischinger, Karlhubert Dischinger, bemerkt süffisant: „Jeder vernünftige Kaufmann bringt begonnene Projekte zu Ende. Will er jedoch überleben, so denkt er auch an die Zukunft und investiert in diese Richtung.“
Ein Neubau von Straßen sei auch gar nicht per se ausgeschlossen, hält der Grüne Marwein diesen Kritikern entgegen. „Aber die Entscheidungskriterien werden anders gewichtet.“ Ohnehin könne man wirklich nicht behaupten, dass es einen Mangel an Straßen gebe. „Ob es tatsächlich an einem weiteren Ausbau fehlt, ist zu hinterfragen.“
Für IHK-Hauptgeschäftsführer Nitschke ist genau das eben keine Frage. Gerade die exportorientierte Wirtschaft des Landes brauche einen guten Anschluss an die überregionalen, europäischen und weltweiten Absatz- und Beschaffungsmärkte. Auch die Nahversorgung in den einzelnen Regionen könne nur mit einer gut ausgebauten Infrastruktur bewältigt werden. „Heute reichen die Kapazitäten auf vielen Verkehrswegen und in vielen Verkehrsknoten nicht mehr aus“, erklärt Nitschke.
Spediteur Dischinger pflichtet ihm bei: „Schon in der Vergangenheit wurde die Verkehrsinfrastruktur in Baden-Württemberg stiefmütterlich behandelt. Um nicht noch mehr ins Hintertreffen zu geraten, ist es höchste Zeit, auch in diesem Bereich noch offensiver zu werden.“
Nur wie? Und: Woher soll das Geld denn nun kommen?
4,6 Milliarden Euro überweisen die Speditionen im Jahr 2011 an den Bundeshaushalt, damit sie ihre Lastwagen mit über zwölf Tonnen über deutsche Autobahnen schicken dürfen. Weitere rund 70 Millionen dürfte von August an das Ausdehnen der Mautpflicht auf weitere 1000 Kilometer Bundesstraßen bringen.
Anfangs hatten die Speditionen damit zu kämpfen, denn so einfach ließen sich die höheren Kosten nicht an die Kunden weitergeben. Jetzt aber, berichtet Karlhubert Dischinger, sei dies nahezu allen gelungen. Die Verlader wiederum reichen die Mehrausgaben über höhere Preise ihrer Produkte weiter. Nur wo dies nicht gelinge, verschlechtere sich die Wettbewerbsposition der Unternehmen, sagt Axel Nitschke von der IHK.
Aber die Diskussion, ob nicht besser alle, auch Pkws, und nicht nur die schweren Lkws, zahlen sollten, wird immer lauter geführt. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer ist dafür, Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann ebenfalls. Nur die Ausgestaltung der Abgabe ist zwischen beiden noch umstritten. Ramsauer bevorzugt zunächst die Vignette, Kretschmann ist für eine streckenbezogene Maut. „Eine Abgabe zur Benutzung der Straßen wird spätestens in der nächsten Legislaturperiode kommen“, prophezeit der Grünen-Abgeordnete Marwein. „Ich halte diese Abgabe für unausweichlich, denn die Kosten zum Beispiel für den Erhalt der Straßeninfrastruktur und die Sicherheit auf den Straßen sind so immens, dass das mit den bisherigen Steuermitteln nicht mehr möglich ist.“
Das Handwerk läuft dagegen Sturm. „Da könnte man auch gleich nur die Handwerker zur Kasse bitten“, lässt sich Landeshandwerkspräsident Joachim Möhrle zitieren. Der baden-württembergische Handwerkstag schätzt, dass seine Mitgliedsbetriebe rund 140?000 Sprinter im Einsatz haben. „Egal in welcher Höhe die Maut käme, da geht es um richtig viel Geld.“ Diese Kosten könnten die Handwerker wohl kaum in voller Höhe an ihre Kunden weiterreichen.
Die IHK Rhein-Neckar sieht die Maut für alle nicht so kritisch, auch wenn sich die Kosten für die Nutzer zunächst erhöhen. Der Staat müsste sie dann eben an anderer Stelle entlasten. Außerdem erhielten die Nutzer etwas Wichtiges für ihr Geld: Kapazitätsengpässe würden schneller beseitigt, die Straßen besser erhalten, Staus reduziert, Zeit gewonnen.
Rottweils Landrat Wolf-Rüdiger Michel kann dem nichts abgewinnen. „Eine allgemeine Maut würde die Wirtschaft und die Pendler im ländlichen Raum zu stark und einseitig belasten. Bei uns sind eben die Wege weiter.“
Aber die Ablehnungsfront bröckelt. Immer wieder wird deutlich, dass die Akzeptanz einer allgemeinen Maut steigt, wenn die Einnahmen vollständig und zweckgebunden in den Bau und den Erhalt von Straßen fließen. Einen solchen „geschlossenen Finanzierungskreislauf“ befürworten auch die Industrie- und Handelskammern. „So würden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Finanzmittel für den Fernstraßenbau vollkommen unabhängig von der Lage des allgemeinen Staatshaushalts zur Verfügung stünden“, sagt der Mannheimer Nitschke. „Die Zweckbindung der Mauteinnahmen ist zwingende Bedingung für eine Zustimmung der Wirtschaft und müsste seitens der Politik garantiert werden.
Allein: Der Glaube, dass dies aber wirklich so kommt, ist derzeit gering. Spediteur Dischinger spricht von einem „gesetzlichen Webfehler“, der eben dazu führe, dass die Gelder in den Haushalt fließen und damit trotz Maut am Ende nicht mehr Gelder zur Verfügung stünden als vorher. Landrat Michel bringt es schließlich auf den Punkt: „Egal ob Maut oder Vignette, die Politik hat es in der Hand, diese Abgaben zweckgebunden zu erheben.“