Quo vadis EnBW?
Die EnBW steckt in der Klemme: Aufgerieben von Energiewende, vergangenen Fehler und zerstrittenen Eigentümern sucht der Konzern nach seiner Identität - und einem Ausweg.
06.12.2011 | 17:20
Foto: Archiv
Jeder Monumentalschinken braucht einen zünftigen Schurken. In „Quo vadis?“ brennt der irre Kaiser Nero halb Rom nieder. In „Ben Hur“ traktiert der eifersüchtige Römer Messala den aufrechten Judah Ben-Hur. Dass es in der Wirtschaft manchmal nicht anders zugeht als in Hollywood-Schinken zeigt das Epos um die Zukunft des Energiekonzerns EnBW.
Nur sind Politik und Öffentlichkeit seit der Abwahl von Stefan Mappus, der das Land zum EnBW-Eigentümer gemacht hat, noch auf der Suche: Wer hat Schuld am Desaster des Energieriesen, der von einem Quartal ins nächste taumelt und in den ersten neun Monaten einen Verlust von mehr als einer halben Milliarde Euro eingefahren hat? Die Suche führt zurück ins Jahr 2007. Damals tritt Hans-Peter Villis seinen Posten als Chef der EnBW an.
Die Strategie der EnBW. Im Herbst 2007 stellt sich Villis zum ersten Mal als Vorstandschef der EnBW der Presse vor. Schnell macht er klar, dass die EnBW mit ihm auf absehbare Zeit ein Atom- und Kohlekonzern bleiben wird. Fukushima ist damals weit weg, die Energiewende auch. Villis findet einen Konzern mit fetter Cash-Cow vor: Die Atomkraftwerke in Neckarwestheim und Philippsburg werfen reichlich Gewinne ab. Villis formuliert entsprechend große Ziele: Die EnBW soll wachsen, ein Konzern mit europäischer Ausrichtung werden. „Die Energiemärkte in Europa werden sich drastisch verändern“, sagt Villis und: „Der deutschsprachige Raum und Osteuropa bieten uns große Wachstums-Chancen.“ Die Vision ist klar: Weg mit dem Image des regional beschränkten Konzernles, auf ins monumentale Konzert der Großen.
Die Weichen für das EnBW-Drama sind indes damals schon gestellt. „Der Atomausstieg wurde von Rot-Grün bereits vor mehr als zehn Jahren beschlossen. Der Emissionsrechtehandel läuft bereits seit 2005. Beide Ereignisse hat die EnBW nicht so verarbeitet, wie es nötig gewesen wäre“, sagt etwa Andreas Löschel, Professor und Energiemarktexperte am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim.
Statt den Konzern umzubauen, baut Villis lieber aus: Rund zwei Milliarden Euro zahlt er 2009 für 26 Prozent am Oldenburger Energieversorger EWE, 1,8 Milliarden Euro werden für den Kauf von Aktien des österreichischen Energieversorgers EVN fällig. Zu dieser Zeit durchaus sinnvolle Investments, die Villis heute auf die Füße fallen: Mit der EWE liegt man im Clinch, da die Oldenburger ihren an die Karlsruher abgegebenen Anteil zurückkaufen wollen - und sich dabei auf eine angebliche -Option berufen, die bei einem Besitzerwechsel bei der EnBW greifen würde. Problem: Sollten die Oldenburger recht bekommen, muss die EnBW ihren Anteil weit unter Einkaufspreis verkaufen.
Gleichzeitig pocht die EWE auf den angeblich vertraglich vereinbarten Einstieg der EnBW beim angeschlagenen Gasversorger VNG aus Ostdeutschland. Rund 1,5 Milliarden Euro beträgt der festgeschriebene Kaufpreis für 48 Prozent der Anteile. Problem: Die VNG ist heuer nicht mal ansatzweise so viel Wert. Allein für 2011 erwartet sie einen Verlust von mehr als 300 Millionen Euro.
Schon jetzt stürzen Wertberichtigungen auf die EWE- und EVN-Beteiligungen die Bilanz der EnBW ins Minus. Im aktuellen Quartalsbericht hat der Konzern die EWE-Beteiligung um 296,5 Millionen Euro abgewertet, bei der EVN waren Wertberichtigungen in Höhe von 245,4 Millionen Euro fällig. Das Beteiligungsergebnis weist laut EnBW einen Verlust von insgesamt 684,3 Millionen Euro auf - nach rund zehn Millionen Euro im vergangenen Jahr.
Gerne führt Villis den Atomausstieg, das Stilllegen von zwei der vier Atommeiler als Grund für die Misere an. Sicher fallen dadurch Gewinne in dreistelliger Millionenhöhe weg. Auch die Kernbrennstoffsteuer belastet das Ergebnis Es ist aber nur ein Teil der Wahrheit. „Die EnBW hat sich durch strategische Defizite in der Vergangenheit in diese Lage manövriert“, erklärt Manfred Mühlheim, Bereichsleiter Asset Management bei der Südwestbank im Interview mit Econo.
Das grüne Problem. Villis betont in diesen Tagen, viele Milliarden Euro in den Ausbau regenerativer Energien investiert zu haben, seit 2005 sind es laut EnBW rund 2,2 Milliarden Euro gewesen. Die Auswirkungen sind indes überschaubar: Der Anteil erneuerbarer Energien bei der Eigenerzeugung der EnBW ist sogar von 11,2 Prozent im Jahr 2008 auf 10,5 Prozent im vergangenen Jahr gesunken.
In den vergangenen Jahren hat der Konzern massiv in Beteiligungen an deutschen Kohlekraftwerken investiert. Energieexperte Löschel warnt vor weiteren Risiken: „Mit den laufenden Investitionen in neue Kohlekraftwerke lädt man sich angesichts des Emissionsrechtehandels eine zusätzliche Belastung auf, die schwer kalkulierbar sind.“ Zumal sich der Umbau des Kohlekraftwerks in Karlsruhe, wo die EnBW insgesamt eine Milliarde Euro investiert, weiter verzögert. Analyst Mühlheim kritisiert die Strategie scharf: „Die EnBW hat vor allem im Bereich der erneuerbaren Energien kein schlüssiges Konzept parat. Auch deshalb schmelzen die Erträge der EnBW wie Schnee in der Sonne.“
Klar ist angesichts der dramatischen Lage vor allem eins: Der Umbau der EnBW wird teuer. Der Konzern benötigt Kapital, muss aber gleichzeitig sparen. Schließlich ist die EnBW mit netto neun Milliarden Euro verschuldet. Die Investitionen, die so dringend nötig sind, hat Villis deshalb bereits 2010 massiv gekürzt. 2011 sanken sie von rund 1,6 Milliarden auf rund 900 Millionen Euro. Nur 17 Prozent davon hat die EnBW in erneuerbare Energien investiert.
Auch die mehr als 20 000 Mitarbeiter sollen helfen, die Krise zu bewältigen. Von 250 Millionen Euro ist die Rede. Bei Personalkosten in Höhe von rund 1,67 Milliarden Euro im Jahr 2010 ein schmerzhafter Einschnitt.
Die Karlsruher haben zudem eine Hybridanleihe zu 750 Millionen ausgegeben, die zum Teil als Eigenkapital geltend gemacht werden kann. Immer wieder steht ein Verkauf des Netzes zur Diskussion. Das könnte mehrere hundert Millionen Euro einbringen. Zudem will Villis massiv desinvestieren: Das Engagement bei der EVN steht auf der Kippe, auch wenn der Verkauf weitere Verluste mit sich bringt. Ein EnBW-Sprecher zählt die EVN „nicht mehr zum strategisch relevanten Beteiligungsportfolio“. Die GESO aus Dresden hat die EnBW bereits verkauft und 900 Millionen Euro damit erlöst.
Der Umbau ist eine Herkules-aufgabe für Villis. Nach dem Einstieg des Landes hat sich zudem eine unberechenbare Front ergeben. Nur: Ohne Zustimmung der Regierung wird’s die dringend nötige Kapitalerhöhung nicht geben.
Die Eigentümer. Für Politiker wie den SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel ist angesichts der desaströsen Lage des Konzerns schnell klar, wer der Schurke im EnBW-Monumentalfilm ist. Was jetzt fehlt, ist ein zünftiger Showdown. Schmiedel arbeitet auf diesen schon seit Monaten hin. Mal prangert er die Hybridanleihe an, mal ätzt er über die unglückliche Beteiligung an der EWE. Als Villis Mitte November während einer Energietagung erklärt, er wolle noch mehrere Jahre bei der EnBW bleiben, sagt Schmiedel nur ein Wort: „Interessant.“
Schmiedel und auch der grüne Umweltminister Franz Untersteller arbeiten Stück für Stück an der Demontage von Villis. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält sich auffällig zurück. Das Staatsministerium kommentiert offizielle Presseanfragen mit unverbindlichem Verweis auf die Hoheit des Aufsichtsrats, soll intern aber bereits die Suche nach einem Nachfolger eingeleitet haben.
Villis wankt. Doch der angeschlagene Konzernchef weiß wenigstens den anderen großen Anteilseigner, die Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW) hinter sich. Noch.
OEW-Geschäftsführerin Barbara Endriss will die Vorgänge um die EnBW zwar nicht offiziell kommentieren, nimmt Villis allerdings indirekt in Schutz. „Wenn man Entscheidungen jedweder Art fair beurteilen will, dann muss man sie in dem zeitlichen Kontext bewerten, in dem sie auch getroffen worden sind, ausschließlich mit den zu diesem Zeitpunkt bekannten Fakten“, erklärt sie etwas verklausuliert. Der Verbandsvorsitzende Kurt Widmaier, gleichzeitig Ravensburger Landrat, geht sogar noch einen Schritt weiter und erklärt die von der OEW befürwortete Kapitalerhöhung zum „Signal“ für die EnBW: „Wir wollen unser Unternehmen unterstützen, das unverschuldet in diese Situation geraten ist.“
Doch auch in der OEW-Phalanx zeigen sich die ersten Risse. Angeblich sollen mehrere Landräte Widmaier scharf kritisiert und eindringlich vor einer überstürzten Entscheidung für eine Kapitalerhöhung gewarnt haben. Glaubt man dem Analysten Mühlbach ist diese allerdings alternativlos. „Das Unternehmen braucht dringend frisches Kapital, um sich strategisch neu auszurichten. Die Anteilseigner sind gut beraten, eine maßvolle Kapitalerhöhung vorzunehmen.
Und das sollte zügig vollzogen werden.“
Die Landesregierung indes taktiert, will mit einem Votum noch bis zur Hauptversammlung im kommenden Jahr warten und verweist immer wieder auf das fehlende strategische Konzept der EnBW, das laut der OEW längst vorliege. Dieses ist die Voraussetzung für die Kapitalspritze. Mühlheim kann das Zögern und Zaudern des Landes nicht nachvollziehen. „Eine Entscheidung bei der Hauptversammlung der EnBW ist meines Erachtens zu spät.“
Die EnBW hängt nicht nur in den Seilen, sie sitzt fest. Aufgerieben zwischen zwei Anteilseignern, deren Interessen vor allem machtpolitischer Natur sind. Das Unternehmen ist zum Politikum geworden und verliert dadurch wertvolle Zeit. Das Problem: Auch im nationalen Konzert droht die EnBW den Anschluss zu verpassen. Eon und RWE plagen sich zwar ebenfalls mit der Energiewende und schlechten Ergebnissen herum, haben aber gegenüber der EnBW nicht nur wegen ihrer Größe klare Vorteile.
Die EnBW ist trotz Villis’ Bemühungen im Prinzip immer noch das Konzernle von früher. „Das ist ein Problem struktureller Art, das noch auf die Zeit zurückgeht, als die EdF (von der das Land die EnBW-Anteile übernommen hatte, die Red.) die EnBW geführt hat. Die EnBW ist im Kern ein regionaler Konzern.“ Das wird nun zum Bumerang, erklärt Löschel: „Während RWE und Eon durch ihre breitere Diversifizierung und internationale Aufstellung nun in den europäischen Märkten nach Chancen und neuen Projekten fahnden, sind der EnBW durch ihre regionale Ausrichtung weitgehend die Hände gebunden“.
Die Suche nach dem wahren Schurken im EnBW-Epos wird weiter gehen. Die Entscheidung über Villis’ Vertragsverlängerung könnte bereits im Dezember fallen. Denkbar ist zudem, dass das Land eine Kapitalerhöhung an eine Demission Villis’ knüpft. Die Landesregierung hätte dann ihren Schurken. Allerdings bleibt abzuwarten, ob dieser nicht doch zum Bauernopfer mutiert. Denn eines ist klar, sagt Analyst Manfred Mühlbach: „Die Landesregierung hat das Problem mit der EnBW von Anfang an unterschätzt.“
Robert Schwarz
rschwarz@econo.de