Reform-Rückzug
Aus Angst vor Steuerausfällen liegt die Reform der Unternehmenssteuer auf Eis. Konzerne müssen nun weiter auf Erleichterungen warten.
insc
08.12.2011 | 11:14
Foto: Bode
Brüssel ist schuld. Am 26. -Januar kippt die Europäische Kommission die deutsche Sanierungsklausel, nach der ein Unternehmen, das einen insolventen Betrieb übernimmt, dessen Verluste mit dem eigenen Gewinn verrechnen und auf diese Weise Steuern sparen kann. Die Kommission hält diese Regelung für unvereinbar mit dem europäischen Wettbewerbsrecht und entschied: Es handelt sich um eine unzulässige staatliche Subvention.
Daraufhin stoppt die Bundesregierung das Umsetzen der Klausel, erhebt gleichzeitig aber Klage gegen die Entscheidung der Kommission. Auch Unternehmen ziehen vor Gericht. Im August stellt sich das Finanzgericht Münster an die Seite der Bundesregierung (Az. 9 V 357/11, K, G) und äußert „erhebliche Zweifel“ an der Interpretation der Kommission. Noch ist aber über die Klage der Bundes-regierung nicht entschieden.
Immerhin: Der Streit um die Sanierungsklausel lenkt die Aufmerksamkeit auf die Frage, ob und wie Firmengruppen Gewinne und Verluste miteinander verrechnen dürfen. „Die Entscheidung aus Brüssel ist ein Signal an die Bundesregierung, den steuerlichen Verlustvortrag jetzt neu zu regeln“, fordert deshalb umgehend Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK).
Zwei Fragen stehen fortan im Mittelpunkt: Sollen Konzerne die Gewinne und Verluste ihrer Töchter im Ausland auch über Landesgrenzen hinweg miteinander verrechnen können? Bislang müssen sie für jede ausländische Tochtergesellschaft einzeln den Gewinn ermitteln und nach den Regeln des jeweiligen Landes versteuern. Die zweite Frage ist, ob Verluste aus den Vorjahren mit Gewinnen aus den Folgejahren verrechnet werden dürfen. Ein solches System gibt es in Deutschland, aber längst nicht in allen anderen Staaten.
Deshalb drängt die Europäische Kommission auf eine europaweit einheitliche Besteuerung von Konzernen, und auch die Bundesregierung will Verbesserungen. Oder besser: wollte.
Denn das Projekt liegt wohl erst einmal auf Eis. Der Grund: die Furcht vor hohen Steuerausfällen. Eine deutsche Arbeitsgruppe mit Experten von Bund und Ländern errechnet nach einem Bericht der Financial Times Deutschland mehr als 150 Milliarden Euro, die dem Staat bei einer Neuordnung des Verlustvortrags im Sinne der Konzerne entgehen würden. Die schwarz-gelbe Koalition will die Neuordnung hingegen aufkommensneutral gestalten. Und auch beim grenzüberschreitenden Verrechnen von Gewinnen und Verlusten empfiehlt die Kommission, alles beim Alten zu belassen.
Die Vertreter der deutschen Industrie haben sich dazu noch nicht öffentlich geäußert. Eine Stellungnahme liegt bislang weder vom DIHK noch von den regionalen IHKen vor.