Solarindustrie: Das Haifischbecken
Die einst boomende Solarindustrie ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Hersteller liefern sich einen ruinösen Preiskampf. Ausgerechnet jetzt wagt ein Neuling aus dem Schwarzwald den Sprung ins kalte Wasser.
ando
29.12.2011 | 16:38
Die Nachricht schlägt Wellen. Und sie macht Beobachter fassungslos: „Ich habe mir an den Kopf gegriffen“, sagt der frühere Manager eines Solarmodulherstellers aus dem Süden. „Wir fragen uns, wie das gutgehen soll“, heißt es aus der Pressestelle eines badischen Anlagenbauers.
Für diese Reaktionen sorgt Ende November der Schramberger Leiterplattenhersteller Schweizer Electronic. Dessen Vorstandschef Marc Schweizer kündigt den Einstieg in die Photovoltaikproduktion an: Sein Unternehmen errichte in China ein Werk für Zellen und Module. Bis zu vier Produktionslinien mit jeweils 100 Megawatt Kapazität seien geplant.
40 Millionen Euro soll allein die erste kosten. Für eine Firma mit 105 Millionen Euro Umsatz erscheint das als äußerst gewagt.
Denn die Schramberger begeben sich in ein wahres Haifischbecken: Sinkende Förderprogramme für Solarstrom sowie weltweit gigantische Überkapazitäten machen das Geschäft vor allem für deutsche Photovoltaik-Hersteller zu einem Kampf ums Überleben. Längst hat der ruinöse Preiswettbewerb etliche Solarfirmen in Schieflage gebracht. In den USA sind sogar schon mehrere Unternehmen abgesoffen.
Der Markt ist brutal: Allein 2011 fallen die Modulpreise um rund ein Drittel. Im Herbst bleibt der erhoffte Umschwung aus. Stattdessen zieht es die Preise wie in einem Strudel weiter nach unten. Mit fatalen Folgen.
Die Basler Bank Sarasin sieht die Photovoltaikindustrie vor einer „schmerzhaften Marktbereinigung“. Das Institut stuft in seiner Solarstudie 2011 vier deutsche Unternehmen als „gefährdet“ ein: Darunter die Solar-Fabrik mit Sitz in Freiburg sowie den Konstanzer Modulhersteller Sunways. Letzterer hat nach einem katastrophalen dritten Quartal mit zwölf Millionen Euro Verlust bereits offen angekündigt, sein Geschäftsmodell zu überdenken (Econo 12/2011).
Auf dem Weltmarkt sind Solar-Fabrik und Sunways kleine Fische. Doch sie schwimmen mit dem Strom: Während selbst der deutsche Branchenprimus Solarworld im dritten Quartal rote Zahlen schreibt, drosseln weltweit Photovoltaikhersteller ihre Produktion. Die Solar-Fabrik macht ihr Werk in Singapur dicht und nimmt neuerdings Fabrikate fremder Produzenten in ihr Sortiment auf. Vertriebsdirektor Karl-Heinz Dernbecher will so „alle Marktsegmente aus einer Hand“ bedienen. Nach Ansicht von Experten riskiert sein Unternehmen dabei aber, eigene Premium-Module zu verdrängen.
Welche Auswüchse der Preiswettbewerb annimmt, bekam ein Solarprojekt-Planer aus Balingen zu spüren: Ein insolventer Lieferant verkauft bestellte und bezahlte Module kurzerhand für ein paar Euro mehr an einen anderen Kunden. Im Solarpark stehen monatelang unbestückte Gestelle herum.
Auf etwa 80 Cent pro Watt-Peak summieren sich die Herstellungskosten für ein Massenmodul, rechnet der Berater eines Großhändlers aus Baden-Württemberg vor. Beim derzeitigen Verkaufspreis sei der Boden damit noch nicht erreicht: „Denn ich weiß, wie Chinas Hersteller kalkulieren.“
Dagmar Metzger versteht, was der Berater meint. Sie ist Produktmanagerin beim Freudenstädter Maschinenbauer Robert Bürkle. Das Unternehmen hat weltweit mehr als 100 Laminatoren für die Photovoltaikproduktion verkauft. „Chinesische Firmen bekommen von ihrer Regierung kostenloses Land und sogar ganze Produktionshallen zur Verfügung gestellt. Sie müssen nur noch die Maschinen kaufen und können loslegen“, berichtet Metzger.
Nicht nur der Maschinenbauer Bürkle hofft auf ein Ende des Preiskampfs in der Photovoltaikindus-trie. Überall sind die Lager voll mit Zellen und Modulen, kaum einer zweifelt an der bevorstehenden Konsolidierung. Deshalb herrscht auch bei den Anbietern von Produktionsmaschinen Flaute.
Beispiel Rena in Gütenbach: Der Hersteller von Anlagen für nass-chemische Prozesse hat sich von 300 Leiharbeitern getrennt und Kurzarbeit eingeführt. Bei der neuen Unternehmensanleihe, mit der Rena 40 Millionen Euro einsammeln will, fordern die Investoren deutliche Risikoaufschläge.
Der Reutlinger Maschinenbauer Manz korrigiert Ende Oktober die Jahresprognose nach unten. Statt fünf Prozent Ebit-Marge hofft das Unternehmen auf ein ausgeglichenes Ergebnis. Grund: die schwache Nachfrage der Photovoltaik-industrie. Jetzt will Manz selbst nach neuen Modulen forschen, mit denen man im Haifischbecken überleben kann.
Die Schweizer Electronic AG glaubt das schon geschafft zu haben. Als Neuling. Gemeinsam mit dem Maschinenbauer Schmid aus Freudenstadt führe man eine bisher nicht verfügbare Technologie ein, so Vorstandschef Schweizer selbstbewusst. Schmid hat ein neues Verfahren zur Herstellung von Poly-silizium entwickelt. Damit soll sich das Basismaterial für Solarzellen um bis zu 40 Prozent billiger herstellen lassen als bisher.
Ob die Rechnung aufgeht, bleibt abzuwarten. Sicher ist: Im Ozean der Modulhersteller wird es erstmal weiter rau zugehen. Die Branche durchläuft einen Reifeprozess, wie ihn Autobauer oder die Unterhaltungselektronik schon hinter sich haben. Wer überlebt, darf in den kommenden Jahren mit Ebit-Margen zwischen sechs und zehn Prozent rechnen, orakeln die Analysten der Bank Sarasin.
Bei der Schweizer Electronic AG waren zuletzt zweistellige Ebit-Margen an der Tagesordnung. Vorstandschef Marc Schweizer plant für die neue Photovoltaik-Sparte mit einer Startphase von eineinhalb Jahren. In dieser Zeit will sein Unternehmen zusätzliche Investoren gewinnen, selbst aber die Mehrheit halten. Und dann? „Danach möchte ich eine Veräußerung nicht ausschließen“, so Schweizer.