Unitex: "schlicht verfassungswidrig"
Der Modehandelsverbund, ebenso Breuninger und Händler in verschiedenen Orten, ja sogar Fahrlehrer klagen per Eilantrag gegen die Verlängerung des Lockdowns – jetzt gab es ein erstes Urteil
red
11.02.2021 | 13:30Letztes Update:
18.02.2021 | 13:30
Ulm/Villingen-Schwenningen/Karlsruhe. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat den Eilantrag des Modehändlers Breuninger abgewiesen. Das hat zuerst die "Textilwirtschaft" berichtet. Demnach sprach sich das Gericht gegen regionale Einzelregelungen aus. Der Grund: ein möglicher Shopping-Tourismus könne zur Verschärfung der Pandemie beitragen. Eine Reaktion von Breuninger liegt noch nicht vor.
// Gegen den Lockdown und die verschiedenen Corona-Maßnahmen der Politik regt sich immer mehr Widerstand. Der prominenteste Vertreter: Der Modehandelskonzern Breuninger hat einen Eilantrag auf Öffnung seiner Kaufhäuser beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg eingereicht. Ein Sprecher der Stuttgarter sagte dazu: "Wir fordern eine Öffnungsperspektive unter strengen Hygienekonzepten, eine Gleichstellung bei Öffnungen zum Lebensmitteleinzelhandel sowie eine Entschädigung für die verordneten Schließungen."
Auch an anderen Stellen beschreitet man den Klageweg. So hat beispielsweise der Handels- und Gewerbeverband St. Georgen ebenfalls Klage eingereicht, in Waldshut-Tiengen kommt es zum Schulterschluss zwischen Handel und Gastronomie, unterstrichen von der Forderung nach Konzepten für Lockerungen. Und auch die Fahrlehrer im Land haben per Eilantrag Klage vorm Verwaltungsgerichtshof eingereicht.
Die Aussichten für diese Klageflut wird von Experten recht unterschiedlich eingestuft. Beim Handeslverband des Landes zeigt man sich indes positiv gestimmt: Die Schließung der Geschäfte müsse überprüft werden und man hält den Erfolg der Klage für greifbar.
Von Seiten der Politik gibt es inzwischen versöhnliche Töne: Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat Lockerungen zugesagt, wenn die Inzidenzwerte von 35 mehrere Tage hintereinander erreicht werden.
// Die Kritik an den neu gefassten Maßnahmen der Bundesregierung zur Bekämpfung der Pandemie wird immer lauter. Nun prescht der Modehandelsverbund Unitex vor: Die Gruppe wird zusammen mit mehreren Mitgliedern nach eigener Aussage per Eilantrag gegen die Verlängerung der Maßnahmen klagen. Dazu habe man die Kanzlei Nieding + Barth entsprechend beauftragt.
Dabei will man nicht nur eine Öffnung der Ladengeschäfte erreichen, sondern auch eine Entschädigung der betroffenen Modehändler thematisieren, wie der Verbund mitteilt. Das Ziel sei "ein Ausgleich des erlittenen finanziellen Schadens aufgrund der Betriebsschließungen" seit dem Frühjahr 2020.
Bei der Kanzlei zeigt man sich laut Mitteilung siegessicher: "Die Zwangsschließungen der Bekleidungshändler einfach fortzuschreiben, ist rechtlich weder verhältnismäßig noch angemessen", wird Klaus Nieding von der gleichnamigen Kanzlei zitiert. Und sein Kollege Andreas Lang ergänzt: "Ohne jeden Beleg für eine erhöhte Ansteckungsgefahr – etwa im Vergleich zum verarbeitenden Gewerbe – eine ganze Branche in Sippenhaft zu nehmen und an den Rand des Ruins zu drängend, ist schlicht verfassungswidrig."
Von Seiten des Handelsverbandes Baden-Württemberg (HBW) werden die Beschlüsse ebenfalls harsch kritisiert: "Die neuesten Beschlüsse von Bund und Ländern sind gegenüber dem Nonfood-Handel ungerecht und unverantwortlich, vor allem vor dem Hintergrund, dass er laut Untersuchungen der Berufsgenossenschaft Handel selbst unter Einbeziehung des Lebensmitteleinzelhandels, der im vergangenen Jahr sogar noch lange ohne Maske gearbeitet hat, deutlich unter dem Durchschnitt anderer Branchen liegt, was auch ein Gutachten der Uni Bonn bestätigt" so HBW-Hauptgeschäftsführerin Sabine Hagmann.
HBW-Präsident Hermann Hutter ergänzt: "Die Beschlüsse sind eine Ohrfeige ins Gesicht jedes Händlers, der bisher alle Corona-Maßnahmen und Lockdown-Verlängerungen klaglos hingenommen hat. Wenn der Handel schließen muss, obwohl er zum Infektionsgeschehen nicht beiträgt, sondern nur, um anderen Wirtschaftsbranchen eine Weiterarbeit zu ermöglichen, dann muss er für den dadurch entstehenden Schaden entschädigt werden. Einzig der teilweise Ersatz von Betriebskosten, wo man um jeden Cent ringen muss sowie Kredite, ist keine adäquate Entschädigung. In Baden-Württemberg erwarten wir daher auch eine hohe Zahl von Betriebsschließungen sowie eine Entlassungswelle im Handel."
Ganz ähnlich Töne sind auch von Seiten der IHK'n im Land zu hören: "Tausende geschlossene oder indirekt betroffene Unternehmen erbringen seit Wochen, ja gar seit Monaten, ein Sonderopfer stellvertretend für die gesamte Wirtschaft. Dazu zählen etwa der stationäre Einzelhandel, körpernahe Dienstleistungen, das komplette Gastgewerbe, die Reise- und Freizeitwirtschaft sowie Kultureinrichtungen. Die Politik ist jetzt gefordert, den Weg aus dem Lockdown aufzuzeigen, es gilt keine Zeit mehr zu verlieren. Das zeigen die dramatischen Anrufe, Briefe und E-Mails, die jede einzelne unserer IHKs täglich erreichen," so Wolfgang Grenke, Präsident der IHK Karlsruhe und des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages.
Und Thomas Albiez, Hauptgeschäftsführer der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg ergänzt: "Dieser Lockdown dauert für viele Betriebe schon viel zu lange – sie werden durch die andauernden Beschränkungen in akute Existenznöte gebracht – auch weil die die von der Politik versprochenen Hilfen ausbleiben. Liquidität ist wie die Luft zum Atmen und langsam geht sie zur Neige. Es wird Zeit für eine langfristige Perspektive und ein sukzessives Anfahren des gesellschaftlichen Lebens."
Und Albiez geht noch einen Schritt weiter: "Es liegen seit langem verschiedene Vorschläge für Öffnungsszenarien vor; die Politik muss diese nur aufgreifen und umsetzen." Die IHK erneuert deshalb ihren Appell an die Politik: Ein Stufenplan zur Öffnung der geschlossenen Betriebe vorzulegen und allen betroffenen Unternehmen unverzüglichen Zugang zu den Corona-Unterstützungsprogrammen zu ermöglichen. Der jetzige Beschluss, nach dem Öffnungsschritte erst ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 35 erfolgen können, wird die notwendigen Öffnungen auf absehbare Zeit voraussichtlich unmöglich machen, fürchtet man bei den Kammer-Verantwortlichen.
Und auch der Industrieverband WVIB zeigt sich von den getroffenen Maßnahmen enttäuscht. Präsident Thomas Burger drückt es so aus: "Auch nach dem gestrigen Corona-Gipfel fragt sich die Industrie, warum die Politik selbst nach einem Jahr Corona noch immer kein konsistentes Konzept mit transparenten und dynamischen Kriterien für eine schrittweise Öffnung vorlegen kann. Umsicht ist sicher wichtig, aber ein Jahr ohne klare Perspektiven ist irritierend. Derzeit bedient die Politik eher Stimmungen und Wählerstimmen, als dass sie vorausschauend führt."