Verblödet Deutschland?

Wir haben wieder mal eine Lehrstellenmisere. Aber diesmal sind nicht die bösen Unternehmer schuld. Econo-Herausgeber Klaus Kresse nennt die Gründe

 
 

Was willst Du werden? Hartz-IV-Empfänger. Unglaublich, aber wahr: Diese Antwort ist ernst gemeint. Kein Schnokus. Kein satirischer Unterton. Sondern bittere Wahrheit im Deutschland 2010.

Nicht alle haben dieses Lebensziel. Aber viele. Zu viele. Denn wir haben wieder mal eine Lehrstellenmisere. Und die Lage ist wieder mal bedrohlich. Doch eines ist anders: Nicht böse Kapitalisten verbauen jungen Menschen die Zukunft. Der Nachwuchs legt sich selbst die Steine in den Weg. Oder sind es andere?
Sagen wir mal so. Wie haben drei Schuldige. Die Jungen selbst (weil jeder bekanntlich seines Glückes Schmied ist). Die Schulen. Und die Eltern. Der Apfel fällt wirklich nicht weit vom Stamm.

Aber der Reihe nach. Schauen wir uns zunächst an, weshalb wir erneut eine Lehrstellenmisere haben. Anders als in zurückliegenden Jahren gibt es keinen Mangel an Lehrstellen. Im Gegenteil. Rund 50?000 Ausbildungsplätze können nicht besetzt werden.

Das allein wäre schlimm genug. Doch noch schlimmer ist der Grund für die Misere: die mangelhafte Qualifikation vieler Bewerber. Sie können nicht richtig lesen und schreiben. Sie scheitern an einfachen Rechenaufgaben – von Mathematik wollen wir gar nicht erst reden. Und es fehlen ihnen jene Tugenden, ohne die menschliches Miteinander schwierig und Erfolg im Berufsleben unmöglich wird: Höflichkeit, Pünktlichkeit, Disziplin, Teamgeist.

Hier die schwarzbrotigen Zahlen. Rund acht Prozent aller Schulabgänger haben keinen Abschluss. An der Berufsschule scheitern gar 23 Prozent (Stand 2004). Tendenz steigend. Und die Zahl der De-facto-Analphabeten nähert sich in Deutschland der Sieben-Millionen-Grenze. Weshalb schon die II. Pisa-Studie belegte: 24 Prozent eines Hauptschuljahrgangs sind nicht in der Lage, sich ins normale gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben einzufügen. Und der Zentralverband des Deutschen Handwerks beklagt mittlerweile im Jahresturnus, dass 25 von 100 Schulabgängern nicht reif für eine Ausbildung seien.
Da klingt es dann nur noch wie bittere Realsatire, dass Bildungsexperten vom Bulimie-Lernen sprechen. Was den Umstand erklärt, dass viele Hauptschüler in den großen Ferien 90 Prozent des gelernten Stoffes vergessen.

Warum tragen die Schulen und die Bildungsbürokratie eine Mitschuld? Weil die seit Jahrzehnten bekannten Probleme nicht gelöst, sondern mit plumper Kosmetik kaschiert werden.

In diesem Punkt sind sich Politik, Schulämter und viele Schulleitungen einig: Sie reden ihre pädagogische Welt schön. Sie verteufeln jeden, der den salzigen Finger in die Wunde legt. Sie denken sich immer neue Konstruktionen aus, deren Namen gut klingen (Stichwort Werkrealschule), die aber wenig oder nichts bringen.
Und der trübe Alltag an vielen Schulen? Weil den Lehrern so gut wie alle Instrumentarien zur Disziplinierung genommen sind, herrscht vielerorts Tohuwabohu. Aber die Lehrer selbst setzen noch eines drauf und schaffen es in vielen Schulen nicht einmal, selbst bei simplen Fragen Einigkeit zu erzielen. Bei Lehrer A darf im Unterricht ständig getrunken und eine Baseballkappe getragen werden, bei Lehrer B geht das nicht. Wer Chaos schaffen wollte, müsste genau so beginnen.

Die Hauptschuldigen freilich sind woanders zu orten. Es sind die Eltern. Die leisten immer häufiger den erzieherischen Offenbarungseid, erwarten von der Schule, diese Lücke zu schließen. Und jagen jedem Lehrer den Anwalt auf den Hals, der das dann versucht.

Bei den bildungsarm genannten Haushalten kommt hinzu: 52,3 Prozent der Mütter und 45,9 Prozent der Väter haben weder Hauptschul- noch Realschulabschluss, in jeder vierten Familie wird nicht deutsch gesprochen, in fast jedem zweiten Haushalt gibt es weniger als 25 Bücher, in 85 von 100 keinerlei klassische Literatur.

Wie soll da etwas gedeihen?

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