"Viele Probleme entstehen aus dem Begriff Management heraus"
Sponsored Post: Im Rahmen der Serie "Der Erfolgsfaktor Mensch" hat Dr.-Ing. Katharina Knaisch, Geschäftsführerin von Knaisch Consulting, mit Igor Haschke, Gründer B.I.G. Gruppe, ein Gespräch über agiles Arbeiten, die Entbehrlichkeit von Management und sinnstiftende Zusammenarbeit geführt
red
10.07.2020 | 08:00
Igor Haschke hat vor rund 20 Jahren die Berlin Industrial Group (B.I.G.) gegründet. Die B.I.G. vereint zwischenzeitlich sechs hoch innovative Technologieunternehmen:
# Scansonic (Weltmarktführer bei laserbasierten Fügesystemen im Karosseriebau)
# Power Generation Seals (Labyrinthdichtungen für Turbinen)
# GEFERTEC und flying-parts (3D-Metalldruck-Maschinen)
# Lumics (Diodenlaser)
# Metrolux (optische Messtechnik).
Mit rund 300 Mitarbeitenden sowie einer F&E-Quote von über 17 Prozent erwirtschaftete die Gruppe in 2019 einen Umsatz von etwa 41 Millionen Euro rund 25 Millionen davon im Ausland. Igor Haschke ist alleiniger Gesellschafter der B.I.G Gruppe.
An einigen Gesellschaften sind Minderheitsgesellschafter beteiligt. So hat beispielsweise die EMAG Gruppe, Werkzeugmaschinenhersteller aus Baden-Württemberg, in 2018 eine Minderheitsbeteiligung an GEFERTEC zur additiven Fertigung von Metallwerkstoffen erworben.
Beim Besuch der B.I.G. auf dem Campus in Berlin-Marzahn wird deutlich, dass die Kultur eines modernen Start-Ups gelebt wird: Es wird in interdisziplinären Teams agil, vernetzt und flexibel mit flachen Hierarchien gearbeitet. Das "Du" ist im gesamten Unternehmen selbstverständlich. Den Mitarbeitenden stehen ein voll ausgestatteter Fitnessraum, ein Beachvolleyballplatz und diverse Outdoorsportmöglichkeiten zur Verfügung.
Herr Haschke, Sie haben sich bereits während des Studiums mit einem Ingenieurbüro selbstständig gemacht und nur ein Jahr nach dem Studium die Scansonic GmbH gegründet. Woher kam der Drang, Unternehmer zu sein?
Igor Haschke: Ich bin in der DDR aufgewachsen und für mich war bereits während des Studiums klar, dass ich mich selbstständig machen möchte - die Mauer war gefallen, die Armeezeit lag hinter mir und für mich waren Freiheit und Selbstbestimmung sehr wichtig. Ich wollte selbst bestimmen, wann ich was tue und was ich nicht tue. Und ich wollte, dass Arbeit etwas Wertvolles, etwas Sinnstiftendes ist. Arbeit soll Spaß machen und nicht etwas sein, das man hinter sich bringen muss.
Inwiefern gilt Ihre Haltung auch für Ihre Mitarbeitenden?
Igor Haschke: Arbeitszeit ist Lebenszeit. Das Leben ist zu kurz, um es zu mit sinnloser Arbeit zu vergeuden. Diesen Wert vermittle ich auch stetig meinem gesamten Team.
Die konkrete Umsetzung Ihrer Vorstellungen ist in der täglichen Umsetzung sicherlich nicht einfach, oder?
Igor Haschke: Ja, das stimmt. Der Beginn als Unternehmer war für mich auch gleichzeitig der Beginn einer jahrelangen Suche nach den für uns richtigen Arbeitsweisen und Organisationsstrukturen. Und dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen.Wir waren zwar wirtschaftlich sehr erfolgreich und sind beispielsweise innerhalb der ersten drei Jahre von null auf siebzig Mitarbeiter gewachsen. Aber wir hatten zu dieser Zeit noch keine Unternehmenskultur, in der weitgehend selbstbestimmt und hierarchiefrei gearbeitet werden konnte.
Mein Gedanke damals war, dass es vielleicht daran liegen könnte, dass wir als Start-Up noch keine Prozesse und Strukturen etabliert hatten. Alle Entscheidungen liefen über meinen Tisch. Deshalb haben wir dann begonnen, uns intensiv mit der Etablierung von Geschäftsprozessen und Strukturen zu beschäftigen.
War die Einführung eines Geschäftsprozessmanagements aus Ihrer Sicht erfolgreich?
Igor Haschke: Zunächst hat das Geschäftsprozessmanagement gut funktioniert. Doch mit der Zeit stellte sich insbesondere in der Entwicklung heraus, dass die Projekte immer langsamer liefen. Nach zehn Jahren intensivem Geschäftsprozessmanagement ist gefühlt die Anzahl abgeschlossener Projekte auf ein Viertel zurückgegangen.
Ich hatte das Gefühl, dass einzelne Kollegen immer weniger selbst nachdenken, sondern vielmehr die Prozesse einfach stur befolgt werden. Keiner hat mehr gerne Verantwortung übernommen und Entscheidungen getroffen, so dass viele Themen im Endeffekt dann doch wieder über meinen Tisch liefen.Wir mussten feststellen, dass der Mensch doch mehr ist als nur "kluge Hände". Die Einsicht war, dass unser Unternehmen mehr als nur gute Mitarbeiter und gute Prozesse benötigt.
Was braucht ein Unternehmen dann aus Ihrer Sicht, neben guten Mitarbeitern und guten Prozessen, darüber hinaus genau?
Igor Haschke: Ich konnte mir damals glücklicherweise eine Auszeit nehmen, um Antworten auf diese Frage zu finden. Während dieser Auszeit bin ich auf die Theorie der Organisation, auf neue Organisationsformen und auf das Thema "agiles Arbeiten" gestoßen. Das war zu dieser Zeit ja alles nicht neu, aber ich hatte erst dann endlich einmal Zeit, mich intensiv damit zu befassen.
Ich habe erkannt, dass diese Themen sehr gut zu dem passen, was ich mir vorgestellt hatte und bin immer mehr zu der Überzeugung gelangt, dass man hier etwas probieren muss. Wir haben dann in einem der Unternehmen der Gruppe das System umgestellt und eine neue Organisation eingeführt.Aus meiner Sicht sind für diese neue Organisation drei Elemente wesentlich: Agiles Arbeiten, Selbstorganisation und Teamzusammensetzung. Alle drei Elemente sind eng miteinander verbunden und bedingen sich gegenseitig.
Der Begriff "agiles Arbeiten" ist ja zwischenzeitlich ein regelrechtes Modewort geworden. Was bedeutet agil für Sie?
Igor Haschke: Agil heißt für mich, iterativ und inkrementell vorzugehen. Man erstellt nicht mehr einen umfassenden Plan und arbeitet diesen dann von Anfang bis Ende auch genauso ab. Sondern man geht schrittweise vor und passt den Plan durch stetiges Dazulernen immer wieder an. Das Ganze in möglichst enger Zusammenarbeit mit dem Kunden.
Und was verstehen Sie unter Selbstorganisation und Teamzusammensetzung?
Igor Haschke: Meiner Meinung nach kommen viele Probleme, die wir im Arbeitsalltag kennen, aus dem Begriff Management und wie er verstanden und gelebt wird. Vereinfacht gesagt ist ein Manager jemand, der Entscheidungen trifft. Damit gibt es zwei Gruppen in Unternehmen: auf der einen Seite Personen, die etwas tun, und auf der anderen Seite Personen, die Entscheidungen treffen, also das Management.Das mag in einer relativ einfachen Organisation noch funktionieren. In einer komplexen Organisation aber geht das nicht mehr. Derjenige, der Entscheidungen trifft, muss auf das Wissen vieler Wissensträger zurückgreifen. Und mit größer werdender Komplexität und zunehmenden Hierarchiestufen ist das eigentliche Wissen immer weiter von dem Entscheidungsträger entfernt.
Aus diesem Grund haben wir komplette Hierarchien abgeschafft und Entscheidungen werden nun von einzelnen, wertstromorientierten Teams mit sechs bis sieben Personen gefällt. Die Geschäftsführung steht beratend zur Seite und unterstützt das Team, die Entscheidung schlussendlich selbst treffen zu können.
Diese Selbstorganisation funktioniert aber nur so gut, wie das Team ist. Deshalb ist die Teamzusammensetzung als drittes Kernelement wichtig. Basis für ein gutes, echtes Team ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Dies erreicht man zum einen, indem ein gemeinsames Werteverständnis im Team entwickelt wird. Dieses Werteverständnis kann über regelmäßige Rituale erreicht werden. Hier kann man sich sehr gut an Ritualen aus dem Bereich agile development orientierten, zum Beispiel Scrum. Zum anderen muss ein sozusagen angstfreier Raum für das Team geschaffen werden. Das bedeutet für mich, dass das Management um das Team herum abgeschafft wird. Wenn es jemanden gibt, der über mich persönlich richten kann, dann gibt es keinen angstfreien Raum. Und damit wird die Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit schwierig.
Sie haben 2016 mit der Transformation in einem der Unternehmen, Scansonic MI, begonnen. Wie weit ist der Kulturwandel heute in der gesamten B.I.G.-Unternehmensgruppe?
Igor Haschke: Wir haben zunächst bei Scansonic MI mit dem Pilotprojekt gestartet. Seit der erfolgreichen Implementierung bei Scansonic MI arbeiten wir derzeit mit großen Anstrengungen daran, um das Mindset weiter in der gesamten Unternehmensgruppe zu verankern. Wir setzen agiles Arbeiten mit Augenmaß ein – insbesondere dort, wo wir projekthaft arbeiten, findet Agilität Anwendung. In Bereichen wie der Montage oder der Qualitätssicherung macht agiles Arbeiten nur in einzelnen Fällen Sinn. Das Mindset wird aktuell sukzessive in die einzelnen Gesellschaften getragen und zwar punktuell in den Bereichen, in denen es gerade angebracht oder von Nöten ist. Aber natürlich dauert die Einführung dieses Mindsets länger als die Einführung von Prozessen, da sich die Einstellung und das Verhalten jedes Einzelnen ändern müssen.
Welche Tipps können Sie Unternehmen geben, die am Beginn einer solchen Veränderung stehen?
Igor Haschke: Als ich am Beginn dieser Veränderung stand hat mich besonders das Buch "Reinventing Organisations" von Frédéric Laloux inspiriert. Dort wird eine Vision solcher Organisationsformen und daraus abgeleitet eine Ausrichtung der Arbeit an den Bedürfnissen der Menschen skizziert. Die konkrete Umsetzung dieser Vision kann dann allerdings nicht über eine Blaupause erfolgen, sondern muss individuell für jedes Unternehmen erfolgen. Man kann sich jedoch Impulse und Ideen von Unternehmen holen, die diesen Weg bereits ein Stück gegangen sind.
Haben Sie ein Lebensmotto?
Igor Haschke: Ein spezifisches Motto habe ich nicht. Mir ist wichtig, neugierig zu bleiben, das Leben – und auch die Arbeit – zu genießen und das Beste daraus zu machen.
Inwieweit spüren Sie die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie und welchen Blick haben Sie auf die Zukunft von B.I.G?
Igor Haschke: Das Bild bei uns in der B.I.G-Gruppe ist gemischt. Natürlich haben wir mit unseren Produkten im Bereich des Karosseriebaus aktuell mit der Krise in der Automobilbranche zu kämpfen, die es ja aber auch bereits vor der Covid-19-Pandemie gab. Die anderen Bereiche sind jedoch geringer von der Covid-19-Pandemie betroffen. Wir hatten zu Beginn des Jahres aufgrund der Situation der Automobilbranche einen Umsatz von 35 Millionen Euro prognostiziert. Trotz der Pandemie werden wir diesen Umsatz voraussichtlich auch realisieren. Und damit sind wir vor dem Hintergrund der Krise nicht unzufrieden.
Herr Haschke, wir danken Ihnen für das Gespräch!