Völlig verfahren

Die Bahn ist das ideale Verkehrsmittel. Nur dann nicht, wenn sie am eigenen Haus vorbeifährt. Econo-Herausgeber Klaus Kresse über Proteste und verpasste Gelegenheiten

 
 

Protest! Das ist die Antwort auf 1000 Fragen. Hartz IV? Protest. Längere Laufzeiten für Kernkraftwerke? Protest. Mehr Windräder? Protest. Neue Startbahn in Frankfurt? Protest. Vorratsdatenspeicherung? Protest. Gentechnik? Protest. Öffentliches Rauchverbot? Protest. Studiengebühren? Protest. Neuer Gefängnisbau? Protest. Egal, welches Thema – Protest, Protest, Protest!

Vor vielen Jahren, in den Anfängen des Baden-Airparks bei Söllingen, sollte eine wuchtige Antonow landen – das größte Frachtflugzeug der Welt. Pünktlich zum avisierten Landetermin wurde der Airport mit Protestanrufen bombardiert. Tenor der erregten Flugplatz-Gegner: „Dieser schreckliche Lärm ist nicht auszuhalten.“ – „Wel- cher Lärm?“, wäre zu fragen. Denn der Flug war ausgefallen.
Was sagt uns das?

Es sagt uns, dass Protest nicht zwingend rational sein muss. Und dass er häufig eine Eigendynamik bekommt, die bald in keinem Verhältnis mehr zum Anlass steht.
Die Deutsche Bahn ist derzeit bevorzugtes Ziel solcher Protestwellen. Startet sie das Projekt Stuttgart 21, wird ihr vorgeworfen, sie gebe zu viel Geld aus. Modernisiert sie die Rheintalbahn, lautet der Vorwurf, es werde zu sehr
gespart. Fast ist es wie in der griechischen Tragödie: Was sie auch macht, die Deutsche Bahn, es ist garantiert falsch.

Wo sind sie geblieben, all die Umweltschützer? Was ist mit den Rufen nach mehr Bahn und weniger Auto? Warum zählt es nichts mehr, dass kaum ein Verkehrsmittel sicherer ist und so wenig Energie verbraucht?

Inzwischen ist der Lärm das Reizthema. Da verblassen Sicherheit und sparsamer Umgang mit Energie zu Nebensächlichkeiten.

Wie konnte es so weit kommen? Was ist da passiert?

Wenn die IG Bohr, die Interessengemeinschaft Bahnprotest an Ober- und Hochrhein, mehr als 150?000 Menschen zu sogenannten Einwendungen gegen die Ausbaupläne motivieren kann, ist das ernst zu nehmen. Selbst wenn es unter den 150?000 schlimme Krakeeler und notorische Nörgler geben sollte (und die gibt es bestimmt) – bei der Mehrheit handelt es sich um vernünftige Männer und Frauen.

Nochmals also: Was ist schiefgelaufen?

Ein exemplarisches Beispiel erhellt das Dunkel. Nehmen wir die Trassenführung in Offenburg, also am Abzweig der Schwarzwaldbahn. Die Bahn fährt in einem tiefen Graben durch das Oberzentrum – was über viele Jahrzehnte ein Segen war, weil es die Stadt ans pulsierende Wirtschaftsleben knüpfte und viel Wohlstand brachte. Im Gegensatz zu Lahr etwa, wo die Bahn an der Stadt vorbeirauschte.

Inzwischen hat sich alles gedreht. Der einstige Vorteil wurde zur schweren Hypothek.

Dabei hätte es eine intelligente Lösung gegeben: Die Bahn raus aus der Stadt, die Trasse mit der Autobahn bündeln und in Appenweier – wo die Fernzüge aus Frankreich auf die Rheintalstrecke stoßen – einen großen Ortenau-Bahnhof bauen. Mit großzügigen Parkplätzen (gibt es in Offenburg nicht) und einer Shuttle-Anbindung ans Oberzentrum (besteht bereits). Der Haken dabei: Die problematische Trassenführung durch die Stadt erzwingt wegen einer scharfen Kurve eine drastische Drosselung der Geschwindigkeit – weshalb man den ICE gleich ganz stoppen kann. Und das beschert der Stadt einen ICE-Halt.

Und damit beginnt die Verkettung unglücklicher Umstände: Um den ICE-Halt zu sichern, will man die Bahn in der Stadt behalten – nur den Lärm, den will man nicht. Das ist Sankt Florian in Reinkultur. Dass inzwischen selbst Bahnan-
rainer den Lärm beklagen, ist nur noch ein Treppenwitz obendrauf. Sie hatten ja nicht ohne Grund direkt an der Bahn gebaut: Hier waren die Grundstücke billiger.
Wie geht’s weiter? Die Fronten sind verhärtet. Auch die Bahn ist nicht mit diplomatischen Gaben gesegnet. So bleibt es wohl dabei: Protest bis zum bitteren Ende.

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