„Wir brauchen einen Mentalitätswandel!“
Der FDP-Tourismusexperte Ernst Burgbacher über die Freizeitindustrie als Jobmotor, die Zukunft des Schwarzwald-Tourismus und den Ruf der Arbeitsplätze in der Branche.
diwe
29.05.2012 | 10:55
Herr Burgbacher, Sie bezeichnen den Tourismus als „Jobmotor für Deutschland“. Woran machen Sie das fest?
Ernst Burgbacher: Das Wirtschaftsministerium hat die neue Studie „Wirtschaftsfaktor Tourismus“ veröffentlicht, aus der das klar hervorgeht. Die Branche steht für eine Bruttowertschöpfung von fast 100 Milliarden Euro und beschäftigt 2,9 Millionen Menschen, die ganz überwiegend im Mittelstand angesiedelt sind. Das sind sieben Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland. Die Branche ist damit tatsächlich ein Jobmotor.
Die Branche ist damit prozentual bedeutender als die Automobilindustrie, deren Anteil Erwerbstätiger in Deutschland bei 2,3 Prozent liegt.
Burgbacher: Das stimmt. Laut der Studie liegt die Bedeutung des Tourismus bei der Beschäftigung aber noch höher: Zusammen mit den inländischen Vorleistungsanbietern entlang der touristischen Wertschöpfungskette, vom Bäcker bis zum Handwerk, löst der Tourismus eine Gesamtbeschäftigung von insgesamt 4,9 Millionen Erwerbstätigen aus. Das entspricht einem Anteil von 12 Prozent! Damit ist der Tourismus ein ökonomisches Schwergewicht.
Sie sagen, mit der Studie gebe es nun eine verlässliche und aktuelle Datengrundlage. Von wann stammten denn die bisherigen Zahlen?
Burgbacher: Die erste Untersuchung, die ich kenne, stammt aus dem Jahr 1998. Eine zweite Studie basierte auf Zahlen aus dem Jahr 2000. Das habe ich schon bemängelt, als ich ins Wirtschaftsministerium kam. Scherzhaft habe ich gesagt: Der Tourismus ist der einzige statische Wirtschaftszweig, weil sich an den Zahlen nie etwas ändert. Es wurde immer mit den selben Zahlen operiert. Deshalb haben wir jetzt eine neue Studie auf der Grundlage einer international anerkannten Erhebungsmethode erstellen lassen. Das ermöglicht uns auch internationale Vergleichsmöglichkeiten.
Was ist an der neuen Methode anders?
Burgbacher: Die Methode ist nicht neu, aber sie wurde inzwischen weiter entwickelt. Wir haben im Tourismus gegenüber anderen Wirtschaftszweigen einen Nachteil. In der Automobilindustrie kann man beispielsweise klar fragen: Was verkaufen die Unternehmen an Fahrzeugen? Daraus lassen sich dann von der direkten Wertschöpfung bis zu den Zulieferern auf alles Rückschlüsse ziehen. Das gibt es im Tourismus so nicht. Denn wie soll man ein Einzelhandelsgeschäft, in dem Einheimische und Touristen einkaufen, bewerten? Deshalb gehen die in der Studie angewandten Tourismus-Satelliten-Konten von der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung aus und ordnen die ermittelten Zahlen den einzelnen Bereichen zu. Das ist eine relativ komplizierte, aber sehr aussagekräftige Methode.
Auffallend an den Zahlen ist: 87 Prozent der touristischen Konsumausgaben stammen von den Deutschen selbst. Die Wahrnehmung ist eine andere…
Burgbacher: Wir sprechen gerne von den Deutschen als Reiseweltmeister- das betrifft tatsächlich Reisen in das Aus- und das Inland. Mit Abstand das beliebtestes Reiseland der Deutschen ist Deutschland selbst. 241,7 Milliarden Euro gaben wir Deutschen 2010 im eigenen Land aus, von ausländischen Gästen stammten 36,6 Milliarden Euro. Dieser Wirtschaftsfaktor der Inlandsreisen der Deutschen wird oft unterschätzt!
Das bedeutet andererseits: Bei ausländischen Gästen gibt es noch Reserven?
Burgbacher: Wir haben enorme Zuwächse. Wir hatten immer eine magische Grenze von 60 Millionen Übernachtungen von Ausländern in Deutschland. Die haben wir 2010 durchbrochen. Und bis 2020 soll die Marke von 80 Millionen geknackt werden. Ich bin mir sicher, dass wir das schaffen. Wir haben teilweise zweistellige Zuwachsraten, allerdings hauptsächlich im Städtetourismus. Berlin, München und Stuttgart boomen.
Das sind aber auch die Selbstläufer, für Berlin oder München muss man kaum werben. Für einen Ort im Schwarzwald schon…
Burgbacher: Da haben Sie durchaus Recht, hier sind natürlich die Bundesländer gefragt. Von Seiten des Ministeriums geben wir in anderer Form Hilfestellung: Beispielsweise haben wir Studien zum Gesundheits-, Wasser-, Rad- und Wandertourismus durchgeführt, an deren Ende Leitfäden mit Best-Practice-Beispielen und Handlungsempfehlungen entwickelt wurden. Ganz aktuell erstellen wir einen Leitfaden „Tourismus im ländlichen Raum“. Wir sind jetzt in der ersten Phase, in der wir bundesweit gute und schlechte Beispiele suchen.
Im Ministerium haben Sie den Überblick: Wo stehen wir in Baden-Württemberg in Sachen Tourismus im Vergleich zu anderen Bundesländern?
Burgbacher: Das große Tourismusland ist aus Bundessicht natürlich Bayern. Baden-Württemberg hat sich immer als Industrieland verstanden und erst in den vergangenen 10 bis15 Jahren wird das Land deutlich als Tourismusdestination positioniert. Innerhalb des Landes gibt es zwei große Marken: Bodensee und Schwarzwald. Beide sind weltweit bekannt, während andere hervorragende Gebiete wie die Schwäbische Alb eher noch unbekannt sind. Hier gilt es nun, entsprechende Infrastrukturen und Marketing aufzubauen. Dennoch: Baden-Württemberg ist ganz klar die Nummer zwei hinter Bayern mit sehr guten Zuwächsen.
Viel hängt dabei von den Tourismus-Organisationen in den jeweiligen Regionen ab. Sind die aus Ihrer Sicht gut aufgestellt?
Burgbacher: Sie sprechen auf die Gründungswehen der Schwarzwald Tourismus GmbH an. Das war ein Kampf, den ich auch begleitet habe. Aber es war ein notwendiger Kampf. Lassen Sie mich dazu eine Anekdote erzählen: Auf einer Tagung im Erzgebirge habe ich vor Jahren gefragt, wer den Schwarzwald kenne. Damals war die Organisation noch in Nord-, Mitte- und Süd-Schwarzwald geteilt. Drei Leute haben sich damals gemeldet. Und auf Nachfrage wurde klar: Die kamen aus dem Schwarzwald. Wir haben damals mit Begriff gearbeitet, die kein Mensch kannte.
Die Gründung der Schwarzwald-Tourismus GmbH war ein echter Quantensprung und sie hat eminent Wichtiges geleistet! Zwar gibt es noch immer interne Konkurrenzkämpfe, das ist aber nach so kurzer Zeit nichts Ungewöhnliches. Generell ist die Organisation aber zukunftsfähig aufgestellt.
Am Bodensee gab es in der Vergangenheit immer wieder Schwierigkeiten. Aber das ist erklärbar, denn immerhin sind hier zwei deutsche Bundesländer und drei Staaten betroffen. Auch da ist man inzwischen auf einem guten Weg. Generell müssen wir aber erreichen, eine großräumige Vermarktung zu schaffen und darunter dann regionale Schwerpunkte zu setzen. Das gemeinsame Dach muss aber sein.
Dabei darf man die Menschen an der Basis nicht vergessen. Wenn man mit Hoteliers spricht, dann fühlen sie sich von der Schwarzwald Tourismus GmbH nicht richtig mitgenommen…
Burgbacher: Diese Diskussion kenne ich natürlich. Die Hoteliers sehen die Effekte eines Schwarzwald-Marketings weniger. Dennoch hat der Schwarzwald nur als Einheit überhaupt eine Chance, auch international wahrgenommen zu werden. Hier geht es schließlich auch um hohe finanzielle Beträge. Natürlich muss dann das Schwarzwald-Dachmarketing auf die einzelnen Regionen heruntergezoomt werden. Hier kann man natürlich noch erheblich besser werden. Aber in der kurzen Zeit, in der es die Schwarzwald Tourismus GmbH jetzt gibt, ist schon viel erreicht worden.
Zurück zur Studie. Die Zahlen sind eines, dennoch wird der Tourismus nicht als derart wertvoll wahrgenommen. Hat der Tourismus ein Imageproblem?
Burgbacher: Das ist schwer zu sagen. Vielleicht kann man es so ausdrücken: Wir brauchen einen Mentalitätswandel! An einer Maschine zu dienen ist bei uns als Arbeit positiv besetzt – Menschen zu dienen eher negativ. Das halte ich für prinzipiell falsch.
Was kann die Politik, was kann ein Ministerium da bewirken?
Burgbacher: Das ist schwierig, zumal für ein Wirtschaftsministerium. Wir versuchen es von einer anderen Seite: Wir haben das Berufsbild des Reiseverkehrskaufmann in Kaufmann/Kauffrau für Tourismus geändert und die Anforderungen deutlich modernisiert.
Prinzipielle Dinge wie Saisonarbeit, unkomfortable Arbeitszeiten und ähnliches ändern Sie damit aber nicht…
Burgbacher: Das ist natürlich richtig. Dennoch arbeiten wir auch an diesen Themen, zum Beispiel sind Ansätze für eine Saisonverlängerung gefragt. Anderes, wie die Wetterunabhängigkeit beispielsweise am Bodensee, lässt sich nicht ändern.
Vielleicht sollte man auch den Servicegedanken noch stärken: „Draußen nur Kännchen“ gilt an vielen Orten noch immer.
Burgbacher: Natürlich gibt es auch eine Reihe Herausforderungen, die die Politik nicht verändern kann. Aber aus meiner Sicht hat sich hier in den vergangenen Jahren viel getan und viele Betriebe sind professioneller geworden.
Der Umgang mit dem Gast ist die eine Seite, die mit den Angestellten eine andere. Dem Tourismus, speziell der Gastronomie, werden als Arbeitgeber immer wieder schlechte Noten gegeben.
Burgbacher: Das ist in der Tat ein Problem, beim Umgang mit den Mitarbeitern gibt es in vielen Betrieben noch einiges zu tun. Aber das Problem wird der Markt angesichts des demografischen Wandels mit einer Verknappung an Arbeitskräften selbst regeln.
Die Branche kämpft doch schon seit Jahren mit einem Auszubildenden- und Fachkräftemangel?
Burgbacher: Die Branche weiß das sehr gut und es wird viel in Imagekampagnen investiert. Man muss es aber auch einmal von einer anderen Seite sehen: Einerseits ist Deutschland zum Glück ein Hochtechnologieland, das gilt auch für Teile des Tourismus, hier werden sehr hochqualifizierte Mitarbeiter eingesetzt. Andererseits gibt es Arbeitskräfte, die nicht beliebig qualifizierbar sind und hier bietet der Tourismus Möglichkeiten von unschätzbarem Wert für den Arbeitsmarkt.
Gerade in Grenzregionen kämpft die Branche aber auch an einer anderen Front: Die Betriebe in den angrenzenden Ländern sind moderner aufgestellt. Beim Dehoga im Land spricht man von einem riesigen Investitionsstau.
Burgbacher: Das ist richtig. Investitionen waren aber in den vergangenen Jahren schwierig, weil beispielsweise die Banken bei den Hotels und Gaststätten relativ stark geblockt haben. Auch deshalb habe ich mich für den reduzierten Mehrwertsteuersatz eingesetzt.
Hinter vorgehaltener Hand sagen aber Dehoga-Verantwortliche: Für die Häuser, die es tatsächlich nötig hätten, bringt die Reduzierung nichts, weil die trotzdem keine Kredite erhalten.
Burgbacher: Das kann ich nicht nachvollziehen, wurde mir auch von Dehoga-Seite so noch nicht gesagt. Es ist flächendeckend zu sehen, dass die Banken wieder Kredite vergeben und investiert wird. Und gerade auch in Baden-Württemberg können wir nun ein konkurrenzfähiges Preis-/Leistungs-Niveau erreichen.
Wäre es im Sinne der Konkurrenzfähigkeit und in Zeiten leerer Kassen nicht besser, man würde einzelne touristische Leuchttürme stärken?
Burgbacher: Man muss das Eine tun und das Andere nicht lassen. Schon die früheren Landesregierungen haben das mit dem Ausbau des Skifahrens auf dem Feldberg oder mit Badeparadiesen getan. Privatwirtschaftlich sei nur der Europapark erwähnt. Am Ende ist aber nicht entscheidend, ob man einen Leuchtturm hat oder nicht. Am Ende zählen zwei Dinge: Hat man ein vermarktbares Produkt? Und stimmt das Preis-/Leistungsverhältnis? Wer mit seinem schönen Hotel wartet, bis die Gäste kommen, der hat schon verloren. Da ist noch einiges zu tun, damit die Branche ein Jobmotor bleibt!
Herr Burgbacher, herzlichen Dank für das Interview.
ZUR PERSON:
Der FDP-Politiker Ernst Burgbacher ist seit 1998 Bundestagsbgeordneter des Wahlkreises Tuttlingen-Rottweil und seit 2009 parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Zudem ist er Beauftragter der Bundesregierung für Mittelstand und Tourismus. Der verheiratete Trossinger war zuvor als Oberstudienrat Lehrer für Gemeinschaftskunde und Mathematik.