Zeit zum Aufhübschen

Gut ausgebildete Fachkräfte sind rar. Das spüren auch die Personaldienstleister. Wie sich eine Branche für Bewerber attraktiv macht.

 
Foto: Archiv
 

Aus den Büros dringen Stimmen von Kindern. Anders als sonst wird hier heute gespielt, gemalt und werden Hausaufgaben gemacht. „Wir sind für einen Mitarbeiter in die Bresche gesprungen“, erzählt Marion Lahmidi, die Geschäftsführerin von Unikat Personal in Offenburg.

Zwischen dem Schichtende des Mannes, einem Mitarbeiter von Unikat, und dem Arbeitsende seiner Frau hätte niemand auf die Kinder der beiden aufpassen können. Also nimmt Unikat selbst die Kinder bei sich auf, bis die Frau sie schließlich abholen kann. Der Einsatz lohnt sich: „Der Mitarbeiter wurde von unserem Kunden übernommen – und besucht uns seither aus Dankbarkeit immer wieder“, berichtet Lahmidi.

Solche ungewöhnlichen Aktionen nehmen künftig deutlich zu. Der allseits beklagte oder befürchtete Mangel an Fachkräften macht sich längst auch in der Zeitarbeitsbranche bemerkbar. Deshalb berichtet auch nicht jeder Chef eines Personaldienstleisters so offen wie Lahmidi darüber, wie sich die Unternehmen aufhübschen, um für Bewerber attraktiv zu sein. Gerade für Fachkräfte.

„Seien Sie sicher, dass wir genug Neues in der Pipeline haben“, lächelt etwa Sylvia Selinger, Geschäftsführerin beim Personaldienstleister Acrobat aus Achern die Frage nach besonders ungewöhnlichem Handeln in ihrem Unternehmen einfach weg. Beredtes Schweigen auch bei anderen Firmen. So recht möchte sich niemand in die Karten schauen lassen. Wo und wie Personaldienstleister auf Bewerber­suche gehen, fällt oft unter das gut gehütete Betriebsgeheimnis.

Die Zurückhaltung hat ihre Gründe: Die Zeitarbeitsbranche muss zunehmend um gut ausgebildete Bewerber kämpfen. „Zeitarbeit ist generell ein wichtiger Indikator für erhöhten Fachkräftebedarf sowie den darauf folgenden Fachkräftemangel“, sagt Lahmidi. Mehr als jede dritte offene Stelle, die 2011 in den Statistiken der Arbeitsagenturen auftaucht, wurde von einem Personaldienstleister gemeldet. Im März 2012 waren bundesweit knapp 500?000 Stellen offen und blieben im Schnitt 70 Tage unbesetzt.

„Das ist vor allem für uns Personaldienstleister eine hohe Dauer, da unsere Kunden von uns in der Regel sehr kurzfristig Personal anfordern“, ordnet Nicole Munk, Geschäftsführerin der Karlsruher GMW, diese Zahlen ein. 410 offene Stellen weist Munks Unternehmen für den April aus, davon sind rund 300 länger als zwei Wochen unbesetzt. In dieser Branche fast schon eine kleine Ewigkeit.

Auch Jürgen Hoffmann, Chef der Get2gether Personal- und Unternehmensberatung aus Radolfzell, macht diese Erfahrung: „Die ‚Durchlaufzeiten‘ eines Auftrages haben sich erhöht.“ Im schlimmsten Fall, ergänzt Sylvia Selinger von Acrobat, könnten Aufträge sogar überhaupt nicht besetzt werden. Zugleich verschärft sich der Wettbewerb durch den Mangel spürbar. „Unsere Kunden geraten teilweise in Lieferverzug oder müssen sogar auf Fremdfirmen ausweichen, um ihre Aufträge abzuwickeln“, berichtet Unikat-Managerin Lahmidi.

Besonders augenfällig ist der Mangel bereits bei technischen Fachkräften. „Das sind die eigentlichen Engpassberufe“, sagt Nicole Munk von GMW. Im November 2011 waren pro gemeldeter offener Stelle als Elektroinstallateur oder -monteur nur 0,41 arbeitslos gemeldete Fachkräfte vorhanden – bundesweit. Ähnlich schlecht sieht es bei Maschinenbauern, Fräsern, Krankenschwestern oder Schweißern aus. „Besonders die ursprünglich ‚klassischen‘ Handwerksberufe sind äußerst selten, aber gefragt und können oft erst verspätet besetzt werden“, sagt Munk.

Der Aufwand, geeignete Mitarbeiter im Kundenauftrag zu finden, wird deutlich aufwendiger, prophezeien die Personaldienstleister unisono. Ein Problem, das aber nicht nur die Zeitarbeitsbranche hat: „Wenn es für uns schwierig wird, eine Stelle zu besetzen, dann haben unsere Kunden die gleichen Probleme“, sagt Acrobat-Geschäftsführerin Selinger.

Genau hier liegt eine Chance für die Personaldienstleister. Weil die Suche nach geeigneten Bewerbern künftig deutlich mehr Zeit in Anspruch nimmt, lagern Unternehmen das Rekrutieren verstärkt an spezialisierte Firmen aus. Schon jetzt schreibt so manche Firma ihre Stellen nur noch über Personaldienstleister und nicht mehr direkt aus, um den Aufwand der Kandidatensuche zu minimieren.

Auf diese Weise könnte sich eine neue Arbeitsteilung zwischen den Personalabteilungen und den Personaldienstleistern ergeben: Während Letztere geeignete Kandidaten für die Unternehmen suchen und vermitteln, kümmern sich Erstere darum, die neuen Mitarbeiter möglichst lange an das Unternehmen zu binden.

Der Mangel an Fachkräften wird jedenfalls keine vorüber­gehende Erscheinung sein. Matthias Kopp vom gleichnamigen Dettenheimer Personaldienstleister erwartet sogar das Gegenteil: „Ich persönlich gehe davon aus, dass sich der Fachkräftemangel in einigen Bereichen noch verstärken wird, was vor allem mit dem demografischen Wandel zu tun hat.“ Vier bis fünf Jahre werde uns das Thema sicherlich noch beschäftigen, schätzt auch Jürgen Hoffmann. Denn die Unternehmen sind nach Ansicht von Marion Lahmidi weiter zu lethargisch: „Es werden derzeit immer noch zu wenige Fachkräfte ausgebildet, um den Bedarf mittel- und langfristig abzudecken.“ Die Position der Bewerber gegenüber den Unternehmen wird sich daher nach Einschätzung von GMW-Chefin Munk in den kommenden Jahren sogar noch einmal deutlich verbessern.

Das heißt aber auch: Um in dem schärfer werdenden Wettbewerb bestehen zu können, müssen sich die Zeitarbeitsfirmen selbst für Bewerber attraktiv machen. Über­tarifliche Bezahlung, heißt es dann meist wie aus der Pistole geschossen. Munk nennt außerdem zwei weitere Punkte, die für sie beim Rekrutieren von Mitarbeitern wichtig sind: „Der eine ist, durch außergewöhnliche, sympathische Aktionen sich selbst auf Basis eines guten Employer Branding als Arbeitgeber attraktiv zu machen. Das zweite ist, sehr zielgruppengerecht vorzugehen und bei jeder einzelnen Stelle die erfolgversprechendsten Rekrutierungskanäle auszuwählen und zu bearbeiten.“

Zudem werden Bewerber von den Personaldienstleistern gezielt betreut, berichtet Sylvia Selinger: „Das erstreckt sich von der Wohnungssuche über gemeinsame Behördengänge bis hin zu einer komplett arbeitgeberfinanzierten betrieblichen Altersvorsorge.“ Außerdem hat sich Acrobat daran­gemacht, neue Bewerbermärkte zu erschließen: „Wir rekrutieren in Frankreich und Polen und bieten hier jeweils eine muttersprachliche Unterstützung.“ Hinzu kämen Deutschkurse, falls nötig.

Und natürlich sprächen, da ist sich die Branche insgesamt einig, auch die generellen Vorteile der Zeitarbeit für sich: Die Personaldienstleister kennen die Firmen, in die sie Bewerber vermitteln. Sie könnten daher auch gut einschätzen, ob der Bewerber sich jenseits seiner fachlichen Qualifikation bei einem Betrieb wohlfühlt. Auch Mitarbeiter, die Lücken in ihrem Lebenslauf haben, oder ältere Arbeitnehmer hätten Chancen, sich in einem Betrieb mit ihrer Leistung zu bewähren. Absolventen könnten zunächst unterschiedliche Unternehmen und Branchen kennenlernen, bevor sie sich für ein Unternehmen entscheiden. Der Bewerbungsprozess dauere nicht so lange wie woanders.

Mit diesen Argumenten im Rücken sehen die Personaldienstleister sich gut gerüstet für die Zukunft. Gespannt blicken die Firmen auf die Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Branchenverbänden. Die weitere Entwicklung hängt maßgeblich von den Ergebnissen dieser Gespräche ab. „Je nach politischer Entscheidung wird die Arbeitnehmerüberlassung noch schnell­lebiger, die Anzahl der Übernahmen weiter steigen und bei den geringqualifizierten Hilfskräften ein deutlicher Einbruch zu verzeichnen sein“, glaubt Acrobat-Chefin Selinger. Aber wer Bewerbern attraktiv genug erscheint, dem wird die Arbeit ohnehin nicht ausgehen.

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