Zerbricht die Solar-Fabrik?

Sie ist das grüne Aushängeschild der Freiburger Industrie. Aber hinter der Fassade tobt ein Kleinkrieg, der zu eskalieren droht.

 
 

Freiburg. Die vergangenen Jahre haben Spuren hinterlassen. Auch im Gesicht von Werner Müller. Der Betriebsrat der Freiburger Solar-Fabrik sitzt am Besprechungstisch seines schmucklosen Büros, gut versteckt im hinteren Teil der Fabrik im Freiburger Industriegebiet Hochdorf. Sein ganzer Stolz ist die eigene Kaffeemaschine. Müller, 63, könnte morgen beantragen, dass er genug gearbeitet habe in seinem Leben und müsste wohl am nächsten Tag nicht mehr zur Arbeit erscheinen. Trotzig schaut er drein, aus seinem eingefallenen, hageren Gesicht, aus müden Augen, doch die Hand unterm Tisch ist zur Faust geballt. Das könnte denen so passen! Müller bleibt. Der Kampf geht weiter.


Günter Weinberger hat sich abgeschottet. Der Chef der Solar-Fabrik sitzt immer noch auf der Haid. Wollen die beiden Männer sich sehen, müsste einer von beiden einmal die Stadt durchqueren. Es trennen sie gut acht Kilometer Straße oder elf Minuten Autofahrt. Es sind Welten.


Der Modulhersteller Solar-Fabrik ist ohne Übertreibung eines der prägenden Industrieunternehmen von Freiburg. Nicht nur wegen seiner Architektur. Das 1998 vom Architekturbüro Rolf + Hotz entworfene Verwaltungsgebäude an der Munzinger Straße darf in keiner städtischen Broschüre fehlen. Egal ob es nun um Nachhaltigkeit oder um Wirtschaftskraft geht. Seine mit Solar-Modulen geschmückte, gläserne Fassade ist irgendwie zum Sinnbild der eigenen Firma geworden. Vor allem ist sie ein schöner Schein. Denn hinter der Kulisse brodelt und kracht es. Die Solar-Fabrik ist auf dem besten Weg, sich halb öffentlich selbst zu zerfleischen.


Dabei hätte das Unternehmen endlich mal Grund zum Feiern. 2010 war das erste Jahr, das nicht durch Altlasten oder Managementfehler vermiest wurde. Unterm Strich steht ein dickes Plus in der Bilanz. Eine Dividende für die Aktionäre gibt es trotzdem nicht. Und auf der Jahreshauptversammlung Anfang Juli platzt dann einem Anteilseigner der Kragen: „Sorgen Sie dafür, dass wir endlich Dividenden bekommen“, bellt er in die Richtung von Finanzchef Martin Friedrich ins Mikrofon.


Die Solar-Fabrik leidet unter dem Mangel an Beständigkeit. Im eigenen Unternehmen ebenso wie auf den Märkten, auf denen es zu Hause ist. Einmal meldet das Unternehmen Kurzarbeit an. Drei Tage später steht Firmenchef
Weinberger bei Betriebsrat Müller im Büro und sagt, dass man gar nicht wisse wohin, vor lauter Aufträgen. Auch jetzt geht es dem Unternehmen eigentlich gut. Bestellungen gibt es satt – auf dem Papier. „Aber die Kunden rufen nicht ab“, verrät Müller. Und in einer vom Preisverfall gezeichneten Branche ist nichts so schädlich wie hohe Lagerbestände. Jeden Tag kann man zuschauen, wie sie weniger wert sind. Müller bestätigt: „Der Preisverfall ist unser größtes Problem.“


Das Modulgeschäft ist ein globaler Wettbewerb. Während das Kilowatt Leistung vor ein paar Jahren noch 2,50 Euro kostete, machen die Chinesen es heute für 80 Cent. Das ist eine Welt, in die die Freiburger nicht hinabsteigen wollen. Zu diesem Preis können sie keine Qualität abliefern. Auch deshalb muss der Ruf nach Dividende dem Betriebsrat das Blut in den Adern gefrieren lassen. Die Zeiten sind schon lange rau. Aber besser wird es vorerst nicht.


Gerade in Deutschland reden alle vom Klimawandel. Doch ausgerechnet ein Unternehmen wie die Solar-Fabrik, das damit wirtschaften will, muss sich fragen lassen, ob seine Produkte noch zukunftstauglich sind.


Denn nicht nur die Preise sind im Keller. Auch die Zeit der klassischen Module, kuchenplattendicker Scheiben, die man sich aufs Dach baut, läuft ab. Heute gibt es Photovoltaik-Module, die in die Dachplatten integriert sind, die in der Fassade verbaut werden oder solche, die man gar nicht sieht. Mit Beschichtungen von Fenstern oder Dämmstoffen lässt sich die Wärme der Sonne anzapfen. „Wir sind sehr nah am Markt und fertigen deshalb die Module, die der Markt fordert“, beschwichtigt die Solar-Fabrik-Sprecherin Sofie Röder. „Dabei bringen wir immer wieder Innovationen in technischer Hinsicht oder in Bezug auf Design.“


Doch manchmal steht die Solar-Fabrik sich selbst im Weg. So wie vor drei Jahren, als die Bilanz mit einem Minus von 36 Millionen Euro abgeschlossen wird. Das Gros, etwa 25 Millionen, hat die Firma in Asien verbrannt. Ein Engagement in Singapur muss komplett abgeschrieben werden. Zudem hat der damalige Finanzchef sich mit Devisen verspekuliert. Dass er den Kurs des Dollars falsch vorausgesagt hat, kostet das Unternehmen weitere zehn Millionen Euro. Beides hatte das Unternehmen damals so heftig wie überraschend getroffen. In ihrem Neun-Monats-Bericht meldet die Solar-Fabrik seinerzeit noch ein Plus von 3,8 Millionen Euro und prognostiziert für das Jahr ein starkes Ergebnis. Fünf Millionen Euro plus X werden angekündigt. Es kommt anders. Zwei Köpfe rollen: Vorstandschef Christoph Paradeis muss ebenso gehen wie Burkhard Holder, der für internationale Entwicklungen zuständig ist.


Das Jahr 2008 vernichtet auf einen Schlag vieles, was die Solar-Fabrik über die Jahre aufgebaut hat. Die Geschäftsstrategie wird daraufhin umgekrempelt. Zudem bricht das Eigenkapital ein. Das ist jedoch eine Notiz, kein Problem. Denn zu keinem Zeitpunkt sinkt die Eigenkapital-Quote des Unternehmens unter 50 Prozent. Geld hat die Solar-Fabrik immer noch. Auch die liquiden Mittel wurden mit den Jahren aufgestockt. Allein von 2009 auf 2010 haben sie sich verdoppelt. Die Kriegskasse ist prall gefüllt. „Liquiditätsmanagement spielt in einem volatilen Marktumfeld eine wichtige Rolle“, bestätigt Sofie Röder. „Gerade in einem Markt, der noch von den staatlichen Einspeisevergütungen abhängt, wirken sich politische Diskussionen und Entscheidungen unmittelbar auf die Nachfrage aus. Hierfür müssen wir gerüstet sein.“ Firmenkäufe seien nicht geplant.


Alles gut, also. Wenn man sich nicht laufend selbst im Weg stünde. So sorgt Mitte Juni eine Affäre um Kündigungen für Ärger. Dabei geht es um das Werk 2 in Hochdorf. Dort ist eine Reparatur-Abteilung untergebracht. Neben der hochmodernen Roboterlinie in Hochdorf werden bis vor Kurzem noch Module auf einer alten Anlage produziert. Problem: Die Linie ist störanfällig. Manche Module haben einen Riss und müssen von Hand repariert werden.


Der Mietvertrag für das Werk 2 läuft 2011 aus. Zunächst heißt es, man werde die Abteilung umsiedeln. „Im Dezember 2010 fällt der Entschluss, das Werk sterben zu lassen“, sagt Müller. Damit wird auch die Reparatur-Abteilung überflüssig. Die Solar-Fabrik kündigt also allen Mitarbeitern dieser Abteilung. Und löst so einen Skandal aus. Denn unter den Gekündigten befinden sich auch drei Betriebsräte und die einzigen Schwerbehinderten im Unternehmen. Faktisch sind diese unkündbar. Eine Tatsache, die dem Vorstand bewusst gewesen sein muss.


Natürlich gehen die Arbeitnehmervertreter gegen die Kündigungen vor. Letztendlich läuft es wie immer: Ein paar lassen sich weichkochen. Neun von 15 akzeptieren Aufhebungsverträge. Drei handeln höhere Abfindungen raus. Drei sind noch übrig. „Das Thema ist abgeschlossen“, sagt Röder. „Einige Mitarbeiter haben Abfindungsangebote akzeptiert und die restlichen arbeiten an anderen Stellen im Unternehmen weiter.“


Werner Müller zuckt kurz. „Heute schmückt sich der Vorstand damit, dass man ja niemandem gekündigt habe.“ Faktisch ist das korrekt, denn keine der ausgesprochenen Kündigungen ist rechtswirksam geworden. Inhaltlich ist es dennoch fragwürdig. Guter Stil ist es ganz sicher nicht.


Müller kämpft für die Wertschätzung seiner Kollegen durch den Vorstand. Mehr als ein Jahr lang gab es in der Solar-Fabrik die Sechs-Tage-Woche. Ständig wurden Zusatzschichten gefahren, die Stundenkonten liefen über, die Krankmeldungen nahmen zu. Zu viel Stress. All das war gedeckt durch eine Betriebsvereinbarung zwischen Vorstand und Betriebsrat. Als diese Ende April ausläuft, versucht Weinberger sie zu verlängern. Müller ist empört.


Bereits im September 2010 hält er auf einer Betriebsversammlung eine Brandrede, greift offen den Vorstandschef an. Es kommt zum Eklat. Erbost verlässt Weinberger die Veranstaltung. Seither ist das Tischtuch zwischen den beiden zerschnitten. In der Folge wird Müller bei Terminen übergangen. Weinberger fordert eine öffentliche Entschuldigung und schlägt vor, den Text dafür selbst zu verfassen. Müller lehnt ab. Wirklich keine Überraschung.


Mit einer Eigenkapitalquote von 68 Prozent sind die Voraussetzungen immer noch gut. Nur muss die Solar-Fabrik endlich für Frieden in den eigenen Reihen sorgen. Stattdessen werden laufend neue Brandherde entzündet. Ist ein Feuer gelöscht, lodert das nächste auf.


Im Betriebsrat ist Werner Müller eigentlich nur der zweite Mann. Die Vorsitzende ist seit langer Zeit außer Gefecht. „Sie hat es nicht mehr ausgehalten“, sagt Werner Müller.

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