Zwerg der Lüfte
Mit drei Propeller-Maschinen ist Intersky eine der kleinsten Linien-Airlines am Himmel über Deutschland. Im Frühjahr ist ein millionenschwerer Investor eingestiegen. Wohin geht die Reise?
21.09.2012 | 14:02
Fotos: Andreas Dörnfelder
VON ANDREAS DÖRNFELDER
Mit einem Schwung fällt die Tür ins Schloss. Das hektische Treiben verstummt. Die glitzernde Welt aus Schaufenstern, Bistro-Cafés und Parfümerien weicht einem kalten Grau. Neonlicht weist den Weg nach unten. Nach zwei Etagen Treppenhaus leuchtet in einem engen Flur das letzte gelbe Schild: Gate B44 liegt im hintersten Winkel des Düsseldorfer Flughafens.
Von hier aus beginnt die Reise in eine andere Welt: von Nordrhein-Westfalen nach Friedrichshafen. Aus dem Schornstein-Meer im Westen in die Provinz am Bodensee. Statt eines Düsen-Jets wartet eine Propellermaschine: Typ Bombardier Dash 8 Q-300, 50 Sitze, 600 Stundenkilometer in der Spitze. Über eine ausgeklappte Treppe klettern die Passagiere ins Flugzeug. Willkommen an Bord der Intersky, einer der kleinsten Linienfluggesellschaften am deutschen Himmel.
Die Bregenzer Airline mit Basis in Friedrichshafen wirkt auf den ersten Blick wie ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit. Dabei startet das Familienunternehmen nach schweren Turbulenzen in eine neue Epoche. Seit im Februar der fränkische Textilunternehmer Hans Rudolf Wöhrl eingestiegen ist, stehen die Zeichen wieder auf Wachstum. Angetrieben von den Millionen aus Wöhrls Investmentfirma Intra Aviation soll die Mini-Airline in den Steigflug gehen: Bis März 2013 will sich Intersky zwei fabrikneue Flugzeuge mit 70 Sitzen liefern lassen. Stückpreis: 23,5 Millionen Euro, fast so viel wie das Unternehmen im vergangen Jahr eingenommen hat.
Und Wöhrl denkt bereits über weitere Maschinen nach. Dass ihm der Sprit ausgeht, ist unwahrscheinlich. Der 64-Jährige soll mit Fluggesellschaften in den vergangenen 38 Jahren mehr als 100 Millionen Euro verdient haben. Intersky ist Wöhrls zehntes Fluginvestment. Sein Rezept, so formuliert es die „Wirtschaftswoche“, war meist gleich: ankaufen, ansanieren, abstoßen. Doch Intersky-Gründerin Renate Moser ist sicher, dass diesmal alles ganz anders kommt. Sie kennt Wöhrl seit den 1970er-Jahren. Sie glaubt ihm seine langfristige Absicht.
Renate Moser hat Kerosin im Blut. Hört sie aus der Ferne ein Brummen, horcht sie auf. Entdeckt sie ein Flugzeug, lächelt sie. Ist es eine Intersky-Maschine, dann funkeln ihre Augen. Und ihr Blick erinnert an den einer stolzen Mutter, die ihre Kinder anstrahlt. Sitzt die Österreicherin in ihrer Lieblingspizzeria am Friedrichshafener Flughafen, muss sie das Rollfeld sehen. „Eine schönere Aussicht gibt es nicht“, sagt sie.
Als Moser 2001 mit Intersky an den Start geht, gilt sie als erste Frau der Welt, die eine Airline gründet. Der Termin kurz nach den Anschlägen vom 11. September erscheint waghalsig. Doch Moser will davon nichts wissen. „Wenn alles am Boden liegt, musst du zugreifen“, hält sie den Zweiflern entgegen. Die erste Maschine übernimmt sie von ihrem Mann: Rolf Seewald hatte gerade seine 1973 gegründete Regional-Airline Rheintalflug an den österreichischen Platzhirsch Austrian Airlines verkauft. Eine Dash 8 blieb übrig. Intersky kann abheben.
Angelockt vom Schweizer Reiseveranstalter Aaretal startet die Airline am Flughafen Bern. Doch schon bald wird klar: Das Chartergeschäft rechnet sich nicht. „Die Kosten in der Schweiz waren zu hoch“, sagt Renate Moser heute. Um als Zwerg der Lüfte zu bestehen, muss sie eng kalkulieren.
Da kommt es schon mal auf vermeintliche Kleinigkeiten an: Die ausklappbare Treppe spart bis zu 120 Euro pro Flug, weil keine Stufen auf Rädern anrücken müssen. Wo es geht, parkt Intersky direkt vor der Abflughalle. Der rund 100 Euro teure Bus fällt damit weg. Nach der Landung reinigt die Flugbegleiterin und keine Putzfirma die Maschine – nochmal 100 Euro gespart . Bei einem Lufthansa-Airbus wäre so etwas kaum vorstellbar.
Gewaltig sind die Unterschiede beim Personal. Im Intersky-Cockpit steigt ein Co-Pilot mit knapp 31?000 Euro Jahresgehalt ein. Lufthansa-Anfänger bekommen das Doppelte. Der Arbeitsmarkt lässt solche Sprünge offenbar zu: Auf eine ausgeschriebene Pilotenstelle erhält auch Intersky 100 bis 120 Bewerbungen. Pilot bleibt ein Traumberuf.
Dass er anderswo mehr bekäme, stört Daniel Lecci nicht. Der 29-Jährige fliegt seit vier Jahren für Intersky. Seine Verkehrspilotenlizenz hat er in Amerika gemacht – und selbst bezahlt. Mit einem Job bei McDonald’s und als Fluglehrer hielt sich der Schweizer über Wasser. Man nimmt Lecci ab, dass er zufrieden ist. „Das hier ist noch ein richtiges Flugzeug. Im Airbus hat man ja nur noch einen Joystick in der Hand.“
Am Horizont kriecht der Bodensee aus der Dunkelheit hervor. Gleich wird Lecci die Maschine in Friedrichshafen landen. „Als Pilot muss man möglichst viele Stunden fliegen“, sagt er noch. „Die Erfahrung ist für die Karriere sehr wichtig. Und bei uns bist du fast jeden Tag in der Luft.“
Auch Renate Moser hat ihre Erfahrungen gemacht. Ihre wichtigste Lektion war es, im richtigen Moment loszulassen, sagt sie. Doch wann ist der richtige Moment? Als die Intersky 2005 auf ihre besten Jahre zusteuert, leitet die Österreicherin erstmals die Nachfolge ein. Sie legt das Unternehmen in die Hände von Claus Bernatzik, ihrem Sohn aus erster Ehe. Fürs Erste brummt das Geschäft. 2007 und 2008 fliegt Intersky nach eigenen Angaben Millionengewinne ein. Die Bregenzer schaffen das vierte Flugzeug an. Selbst im Wirtschaftskrisenjahr 2009 steht unterm Strich ein kleines Plus.
Doch dann braut sich am Himmel der Bodensee-Airline ein Gewitter zusammen. Die Lufthansa-Tochter Germanwings startet eine Verbindung von Friedrichshafen nach Köln und tritt damit in direkte Konkurrenz zu Intersky. Claus Bernatzik lässt sich auf den Preiskampf mit dem milliardenschweren Goliath ein – und begeht damit einen verhängnisvollen Fehler. Der Junior senkt den Startpreis auf der Köln-Strecke auf unter 40 Euro und verdoppelt die Zahl der Flüge in die Domstadt. 2010 schließt das Unternehmen mit einem Verlust von fünf Millionen Euro ab.
Bernatzik räumt seinen Fehler ein, gibt die Verbindung nach Köln auf und konzentriert sich auf die neue Strecke nach Düsseldorf. Aber er wird sich mit seiner Mutter nicht einig, wie es mit Intersky weitergehen soll. Nachrichten von einem Familienstreit machen die Runde. Im Sommer 2011 übernimmt Renate Moser mit Rolf Seewald wieder das Ruder. Die Mutter drängt ihren Sohn aus dem Chefsessel. Eine größere Demütigung gibt es kaum. Aber die Airline, sagt Moser, stand am Rand der Pleite. Nach dem Führungswechsel bekommen die Banken Flugangst und streichen die Kreditlinien. „Wir mussten mit unserem Privathaus für die Firma haften.“
Die Gründerin kürzt den Flugplan und verkauft ein Flugzeug. Statt als Billigflieger tritt Intersky noch mehr als Premium-Airline für Geschäftsreisende auf. Der Kurswechsel wirkt. Die Bregenzer reißen das Ruder herum – von einer Million Euro Verlust im Sommer landet die Airline am Jahresende bei einer schwarzen Null. Über dem Berg ist sie aber offenbar nicht. Moser und Seewald suchen einen Investor.
Als der schillernde Hans Rudolf Wöhrl im September 2011 seine selbst gegründete Flynext abstößt, sieht Moser ihre Chance. „So ganz ohne Airline ist das Leben doch traurig“, sagt sie dem Unternehmer durchs Telefon. „Aber ich kann dir helfen.“
Wöhrl schickt seinen Partner Peter Oncken an den Bodensee. Und der lässt sich überzeugen. Im Februar werden die Verträge unterschrieben. Erst sollten die neuen Investoren nur 50,1 Prozent der Intersky übernehmen. Doch dann entscheidet sich die Gründerin, ihren Anteil komplett abzugeben. Wöhrl und Oncken halten jetzt zusammen 74,9, Rolf Seewald hat noch 25,1 Prozent.
Renate Moser hat losgelassen. Man spürt, dass ihr das nicht leichtgefallen ist. Aber ohne das Geld von Wöhrl wäre es für Intersky wohl eines Tages eng geworden. In der Pizzeria am Flughafen serviert der Kellner Espresso. „Ich bin noch dabei. Ich arbeite mit“, sagt Moser nach einer kurzen Pause. „Und ich bin die erste Frau, die eine Airline gegründet hat.“