1 "Diese Hängepartie ist für alle Seiten unwürdig"
Die Insolvenzverwalter Volker Grub und Martin Mucha ziehen fünf Jahre nach der Insolvenz Bilanz des Hess-Verfahrens: Die Causa Hess ist soweit abgeschlossen, befriedigend finden beide das Ergebnis nicht – das hat mit dem Versagen des Rechtsstaats zu tun
Villingen-Schwenningen/Stuttgart. Herr Grub, Herr Mucha, wissen Sie noch, was Sie gemacht haben, als Sie vor fünf Jahren die Nachricht von der Hess-Insolvenz erreicht hat?
Martin Mucha: Ich war im Büro, bin dann gleich nach dem Anruf ins Auto gesessen und zum Amtsgericht nach Villingen-Schwenningen gefahren. Der Richter hatte angekündigt, sofort eine Entscheidung zu fällen und ich sollte die Akte gleich mitnehmen. Es hat sich dann doch noch hingezogen und ich wollte einen Kaffee trinken gehen – was während der Fastnacht in der Villinger Innenstadt nicht einfach ist (lacht). Zwischenzeitlich lief im Radio schon die Nachricht über die Insolvenz. Insofern war es eine komische Situation. Kurze Zeit später war ich dann im Unternehmen und habe das reine Chaos mit komplett verunsicherten Mitarbeitern vorgefunden.
Volker Grub: Im Unternehmen war wirklich totale Unruhe und ein großes Durcheinander, da inzwischen auch schon die Polizei eingetroffen war.
Die Wochen davor waren mit der Entlassung der Vorstände Christoph Hess und Peter Ziegler ja bereits turbulent.
Grub: Richtig. Das Entscheidende war zu diesem Zeitpunkt aber: Es kam ein Beratungsunternehmen, das sämtliche elektronischen Unterlagen und Sicherungskopien der vergangenen sechs Jahre gesichert hat. Das war der wichtigste Vorgang! Die Führungspersonen haben ja keine Briefe geschrieben oder Akten angelegt, mit denen die Vorgänge dokumentiert worden wären. Alles ging per E-Mail. Aber man hat offensichtlich nicht damit gerechnet, wie viele Vorgänge sich dank der Datensicherung dennoch rekonstruieren ließen.
War Ihnen das Unternehmen Hess zuvor bekannt?
Mucha: Ja, es war mir bekannt.
Grub: Das Unternehmen selbst nicht. Aber den Aufsichtsratsvorsitzenden Jürgen G. Hess habe ich kennengelernt, als ich Verwalter eines kleinen Dachdeckerbetriebs aus Villingen war. Er kam auf uns zu und hat das Unternehmen mit 25.000 Euro unterstützt, damit weitergearbeitet werden konnte. Damals war ich echt froh.
Die Pleite von Hess ist jetzt fünf Jahre her. Wo steht die Aufarbeitung?
Grub: Die Firma ist abgewickelt, das Vermögen verwertet. Der Kern das Unternehmens wurde an Nordeon verkauft und arbeitet heute erfolgreich. Bis auf drei Gerichtsprozesse ist alles erledigt. Wir erreichen eine Insolvenzquote von 15 Prozent, haben sieben Prozent ausgeschüttet und Schulden in Höhe von 100 Millionen Euro.
Was ist mit den einzelnen Unternehmen aus der sogenannten Schattenwelt?
Grub: Die allermeisten sind ebenfalls abgewickelt.
Aber nicht alle?
Grub: Einzelne bestehen weiter, wie die AMW Präzisionstechnik, die inzwischen Z 2 heißt und einer Angehörigen eines ehemaligen Hess-Vorstands gehört. Ich habe Ihnen eine Auflistung erstellt, aus der alle Details ersichtlich sind (holt ein A3-Blatt hervor und erläutert die Aufstellung, A.d.R.). Die allermeisten Unternehmen sind liquidiert, manche auch an Nordeon verkauft. Nur zu zwei Unternehmen, der Vulkan Schweiz und der Vulkan Iluminacion aus San José, Costa Rica, gibt es keine weiteren Unterlagen, die sind insoweit unbekannt.
Sie haben vorhin die Gerichtsprozesse angesprochen. Wie ist da der Stand?
Grub: Wie gesagt haben wir noch drei Zivilprozesse anhängig. Erstens mit Jürgen G. Hess als ehemaligem Aufsichtsratsvorsitzenden: Er macht Pensionsansprüche über 2,4 Millionen Euro geltend und hatte sich ein Wertpapierdepot übereignen lassen. Daraus wollte er von uns eine monatliche Auszahlung der Ansprüche erreichen. Dagegen haben wir geklagt und Recht bekommen, da der Aufsichtsrat damals einen Formfehler begangen hat. Zudem hatte Herr Hess die 2,4 Millionen Euro zur Insolvenztabelle angemeldet und möchte nun die Quote von 15 Prozent ausbezahlt haben. Das haben wir bestritten, dagegen hat er wiederum vor dem Arbeitsgericht geklagt. Vor dem Landesarbeitsgericht hat er Recht bekommen, das Bundesarbeitsgericht hat das Urteil aufgehoben und nach vier Jahren Verfahrenszeit hat das Landesarbeitsgericht ganz aktuell wieder im Sinne von Herrn Hess geurteilt. Wir prüfen, ob wir erneut gegen das Urteil vorgehen.
Da braucht man Geduld... Was ist mit den anderen beiden Prozessen?
Grub: Der zweite Prozess ist ein Rechtsstreit gegen die Herren Christoph Hess und Peter Ziegler über zwei Millionen Euro als Teilbetrag eines Schadens von 85 Millionen Euro.
Warum nur ein Teilbetrag?
Grub: Wir sind der Meinung, wir können ohnehin nicht viel holen. Nach vier Jahren Prozessdauer haben wir aktuell ein obsiegendes Urteil vor dem Landgericht Konstanz erreicht. Die beiden sind wegen des Kaufs einer Gesellschaft zu einem überhöhten Preis zu Schadensersatz verurteilt worden. Dagegen haben beide Berufung vor dem Oberlandesgericht in Karlsruhe eingelegt. Mal schauen, wie viele Jahre wir jetzt wieder warten. Aber wir machen jetzt schon einmal Sicherungsvollstreckungen, um die Ansprüche sicher zu stellen.
Dann fehlt noch der dritte Prozess...
Mucha: Dabei geht es um den Kauf eines Grundstücks in Löbau zu einem überhöhten Preis von der K+K Objekt GmbH. Nach vier Jahren haben wir da nun ebenfalls ein obsiegendes Urteil gegen die Herren Hess und Ziegler erreicht und uns wurden die eingeklagten 500.000 Euro zugesprochen. Allerdings geht auch dieser Prozess in die zweite Runde.
Grub: Unabhängig davon gibt es noch einen Rechtsstreit des ehemaligen Investors HPE gegen die Herren Hess und Ziegler, bei dem drei Millionen Euro geltend gemacht wurden. Hier gab es vor zwei Jahren bereits ebenfalls ein obsiegendes Urteil vor dem Landgericht in Konstanz, gegen das wiederum Berufung eingelegt wurde. Auch dieser Rechtsstreit ruht derzeit selig vor dem Oberlandesgericht.
In der bisherigen Auflistung fehlt aber ein Prozeß, den Sie als "Präzedenzfall" für die Schattenwelt beschrieben haben.
Grub: Richtig, das ist der Rechtsstreit Haas. Der Vorgang ist eigentlich relativ einfach: Bei der Hess Lichttechnik in Löbau standen drei Maschinen, die waren mehr als 15 Jahre alt, bilanziell abgeschrieben und nur auf einer wurde noch produziert. Diese Maschinen wurden an die Gif Metallguss für 20.000 Euro verkauft. An der Gif war Hess mit 20 Prozent beteiligt. Die Gif hat die Maschinen für 280.000 Euro an eine Firma Haas Werkzeugmaschinen in Villingen-Schwenningen weiterveräußert. Haas schließlich hat die Maschinen mit einem Aufpreis von 5000 Euro weiter an die Hess AG verkauft. Die Maschinen blieben dabei die ganze Zeit in Löbau, gingen aber ins Inventarverzeichnis der AG ein. Die AG hat dann bei der Deutschen Bank diese Maschinen mit dem Verkaufswert von 295.000 Euro als Sicherheit angegeben.
Da wurden die Maschinen aber ziemlich aufgearbeitet...
Grub: (lacht) An den Maschinen ist nichts aufgearbeitet worden! Deshalb waren wir der Meinung, dass die Hess AG um 290.000 Euro ärmer wurde und es sich um eine verdeckte Einlage gehandelt hat. Aus diesem Grund haben wir die Firma Haas sowie den Vorstand Peter Ziegler unter anderem wegen pflichtwidrigen Handelns in die Pflicht nehmen wollen. Das Landgericht in Konstanz hat die Klage aber rundweg abgelehnt. Wir sind dann zum Oberlandesgericht und das hat schließlich festgestellt: Die Firma Haas müsse nur den Betrag herausgeben, um den sie sich bereichert hatte und Herr Ziegler hätte mit dem Einverständnis des Aufsichtsrates generell die Firma Gif unterstützen dürfen (lacht).
Sie wirken nicht verbittert. Es war doch Ihr Präzedenzfall?
Grub: Nein, verbittert bin ich nicht. Die Geschichte ist zwar einfach und simpel. Aber einem Richter, der von Bilanzen nichts versteht das zu verdeutlich, ist schwer. Das Ziel der Bilanzmanipulation ist dabei doch eigentlich klar erkennbar. Am Ende haben wir die Maschinen versteigert: 20.000 Euro haben die noch gebracht! Übrigens: Dieser Rechtsstreit wurde in ein neues Fachbuch über Bilanzskandale aufgenommen, von dem ich vorher keine Kenntnis hatte. Die Autoren kommen darin zum Schluss, der beschriebene Vorgang sei ein typischer Fall von Bilanzfälschung.
Mucha: Oder nehmen Sie den Fall mit dem Areal in Löbau, das ist ein ganz klassisches Kreisgeschäft. Die K+K Objekt hat das Grundstück in die Schattenwelt eingespielt und hat 500.000 Euro abgeschöpft. Eigentlich ist auch hier alles ganz simpel, aber der Rechtsstreit ist eben noch nicht zu Ende.
Die Leserbriefe in den Tageszeitungen zeichnen ein ganz anderes Bild...
Grub: Ich hab das offen gestanden nicht intensiv verfolgt.
Mucha: Manche der Schreiber sind da wirklich rührig und man kommt leicht ins Grübeln, ob die Autoren von interessierter Seite unterstützt werden oder ob Pseudonyme verwendet werden. Auf alle Fälle sind viele Fake-News in dem Zusammenhang unterwegs.
Nach dem Sie sich jahrelang mit der Materie befasst haben: Verstehen Sie nun, wie die Vorstände und die anderen Beteiligten jahrelang so haben wirtschaften können?
Grub: Ja, das kann ich nachvollziehen. Das waren wirklich hervorragende Blender! Denen ist es bezogen auf den Börsengang gelungen, für wenige Monate den Eindruck einer hochinnovativen Firma zu vermitteln. Darauf haben sie alles ausgerichtet. Allein im Jahr vor dem Börsengang haben sie 50 neue Mitarbeiter eingestellt, obwohl der Umsatz rückgängig war. Sie haben dann mit der Firma Emdelight und Aufträgen im Architekturbereich im arabischen Raum den Eindruck erweckt, als ob sie das zukunftsfähige Geschäftsmodell gefunden haben. Die haben um kleine Aufträge für einzelne Leuchten ganze Geschichten herum gestrickt.
Zusätzlich haben sie nicht nur auf die LED-Technik gesetzt, was vollkommen richtig war, sondern sind auch in den OLED-Bereich vorgestoßen und wollten damit sogar die herkömmliche Glühbirne ersetzen! Ich habe während des Verfahrens beim Forschungspartner von Hess den Prototypen in der Hand gehabt - von der Leuchtkraft her hätte man als Ersatz für eine 25 Watt-Birne ein Leuchtmittel von der Größe ein Fußballs einbauen müssen (lacht). Daraufhin haben wir den Bereich eingestellt. Wir konnten die Technologie noch nicht einmal verkaufen.
Die Blenderei, die Sie beschreiben, die hat was mit Marketing und schönen Bildern zu tun. Aber was ist mit den Zahlen? Wie dreht man hochbezahlten Spezialisten eine Nase? Im Rahmen eines Börsengangs wird doch eigentlich alles auf links gedreht.
Grub: Darauf habe ich ehrlich gesagt auch keine befriedigende Antwort. Zunächst hat eine Wirtschaftsprüfungskanzlei in Heidelberg wohl kalte Füße bekommen. Daraufhin hat man ein Jahr vor dem Börsengang die Prüfer gewechselt und eine kleine Gesellschaft mit vier Leuten aus Karlsruhe an Land gezogen. Die kamen dann für zwei Wochen nach Villingen und haben alle Firmen durchgeprüft. Denen ist natürlich alles entgangen, die waren schlicht überfordert von dem Firmenkonstrukt. Die Karlsruher kamen über einen freundschaftlichen Kontakt aus einer großen Beratungsgesellschaft ins Haus Hess. Dieser Kontakt musste am Ende auch seinen Hut nehmen und hat sich in Oberschwaben selbstständig gemacht. Kurzum: Man hat sich eben die Leute gekauft.
Beim Börsengang schauen aber nicht nur die bezahlten Leute drauf...
Grub: Das ist richtig. Für die Banken war die ganze Geschichte natürlich kein Ruhmesblatt! Aber ein Teil der Beteiligten wollte schlicht diesen Börsengang. Punkt. Und speziell bei der LBBW war das nicht der erste Fehltritt. Wenige Jahre zuvor gab es die Pleite des Maschinenbauers Rohwedder aus Markdorf, der ebenfalls nach dem Börsengang mit der LBBW pleite gegangen ist, dazu gibt es weitere Fälle.
Ist das Gebaren der LBBW mit ein Grund gewesen, weshalb regionale Banken beim Börsengang eher zurückhaltend waren, was Kaufempfehlungen der Hess-Aktie anging?
Grub: Mit Sicherheit. Aber auch bei der LBBW hat man sich dann aus dem Geschäftsfeld zurückgezogen. Der damalige Chef Hans-Jörg Vetter hat als Konsequenz die Weichen neu gestellt.
Könnte man unterstellen, dass interessierte Kreise den Börsengang von Hess forciert haben, um mit dem Geld Kredite retten zu können?
Grub: Nein, das sehe ich nicht. Hier kamen tatsächlich zwei Komponenten zusammen, die gemeinsam eine ungeheure Dynamik entfalten haben. Einerseits die Hess-Leute und andererseits die Abteilung der LBBW. Man wollte den Erfolg, egal wie!
Ein Gerichtstermin steht aber immer noch aus: Der Strafprozess gegen die ehemaligen Vorstände und Personen aus deren Umfeld.
Grub: Die Anklageschrift liegt seit einiger Zeit vor. Aber bei der zuständigen Wirtschaftskammer am Landgericht Mannheim schläft man selig darüber (lacht). Die zuständige Richterin spricht von Überforderung, zieht Haftsachen vor. Das soll kein Vorwurf gegen die Richterin sein: Es ist das große Versagen unseres Rechtsstaates, dass die Justiz auf allen Ebenen nicht richtig ausgestattet wird!
Rechnen Sie für das laufende Jahr noch mit Bewegung in dem Fall?
Grub: Nein. Irgendwie verliert das Verfahren auch an Bedeutung. Die Gerechtigkeit hat an anderer Stelle schon Einzug gehalten.
Mucha: Was wir machen konnten, das haben wir getan. Wir haben zugearbeitet und unterstützt, intensiv nachgefragt, Unterlagen zusammengestellt und standen sogar mit dem Justizminister in Kontakt, um Bewegung reinzubekommen. Es liegt eine glasklare Anklageschrift vor, dazu die Verurteilungen in Zivilsachen. Die Lage ist eigentlich eindeutig, aber still ruht der See. Mehr können wir echt nicht tun.
Verfolgen Sie noch den Werdegang der einzelnen Protagonisten in der Causa Hess?
Grub: Nur am Rande, beispielsweise durch die Zwangsvollstreckungen.
Wie bewerten Sie, dass einer der ehemaligen Vorstände heute wieder als Vorstand tätig ist?
Grub: Er ist ja nicht verurteilt.
Mucha: Im Grund zeigt sich hier die Auswirkung des Staatsversagens: Wäre er schon verurteilt, dann dürfte er den Posten nicht mehr besetzen. Der Fall Hess müsste schon längst abgeurteilt sein! Natürlich auch im Sinne der handelnden Personen, die sich ja in ihrem neuen Leben einrichten und dann irgendwann nach Jahren doch noch herangezogen werden. Diese Hängepartie ist für alle Seiten unwürdig.
Also die Bilanz nach fünf Jahren lautet: Die Causa Hess ist soweit abgeschlossen, aber richtig befriedigend ist das Ergebnis nicht?
Grub: Richtig, es fehlt die letztendliche Gerechtigkeit. Die kleinen Unternehmen, die Handwerker, die auch irgendwie von dem System Hess profitiert haben, die wurden alle abgeurteilt, haben die Strafbefehle akzeptiert. Die anderen leben derweil ihr Leben weiter. Das ist das Unbefriedigende.
Sind die großen Player geschickter?
Mucha: Deren Verfahren sind einfach komplexer, die Anwälte sind ausgefuchster - denn trotz allem können sich die Verantwortlichen noch Kanzleien mit klingenden Namen leisten, die in dicken Schriftsätzen Nebelkerzen verstecken.
Herr Grub, Herr Mucha, herzlichen Dank für das Gespräch!
Martin Mucha ist seit dem Jahr 2000 für die Kanzlei Grub Brugger tätig, fünf Jahre später wurde der Fachanwalt für Insolvenzrecht Partner. Der Skifahrer und Jogger begleitete unter anderem die Verfahren von Doll Fahrzeugbau, dem Bodenbelagshersteller DLW und dem Maschinenbauer Mathias Bäuerle.
Volker Grub (Foto links) legte im Jahr 1965 den Grundstein für die Kanzlei Grub Brugger in Stuttgart und hat sich seitdem einen Legendenstatus erarbeitet. So hat der Musikliebhaber im Verlauf der Jahre gut 500 Verfahren begleitet, unter anderem bei den Unternehmen Bauknecht, Märklin, Salamander und Südmilch. Zudem gilt er als einer der Väter des modernen Insolvenzrechts. Ein Porträt über Grub finden Sie übrigens hier.
Das Interview wurde im Februar 2018 geführt.