Dossier

Luxus & Lifestyle


1 Rebellenland

Moritz Haidle ist einer der jungen Erfolgswinzer. Ein Besuch an einem Ort, der Revoluzzer prägt und Diabetiker-Teststreifen erlebt hat.

Foto: Weingut Haidle

Die Luft an diesem Morgen ist kalt und klar. Die Sonne wirft ein leicht diffuses Licht auf die eindrucksvollen Steilhänge unter der Stettener Y-Burg. Es ist die schönste Seite dieser Jahreszeit. Die Blätter der Rebstöcke leuchten, von hellgrün bis rostrot ist alles geboten. Die Atmosphäre ist einladend. Man möchte die Fahrt unterbrechen, aussteigen, tief Luft holen, spazieren gehen - mitten hinein.

Von der Stettener Hauptstraße abgebogen, empfängt einen genau hier, nach nur wenigen Hundert Metern das Weingut Karl Haidle. An dem alten Fachwerkhaus ranken sich grün-gelb-rote Rebblätter um Fenster mit roten Fensterläden. Unter dem breiten Vordach am Eingang steht, leicht erhöht, eine große, dunkelrot gestrichene Bank mit Blick auf den Weinberg. Ein Willkommen, eine Einladung zum Verweilen und natürlich auch zum Verkosten. Angekommen auf dem Weingut, liegt Stille über allem.

Es lässt sich kaum erahnen, dass genau jetzt in diesen Wochen Hochbetrieb, eine der arbeitsreichsten Zeiten des Jahres herrscht. Es ist Lese-Zeit. In dieser Woche ist das Große Gewächs dran. So ist das jetzt überall bei den etwa 80.000 deutschen Winzern - ob in Rheinhessen, der Pfalz, Baden oder dem viertgrößten Weinanbaugebiet Deutschlands: in Württemberg. Die anderen Lagen in Deutschland mögen etwas sonnenverwöhnter sein. Das war es dann aber auch schon mit den Unterschieden - es überwiegen die Gemeinsamkeiten der jungen Erfolgswinzer: Gewissenhaftigkeit, Eigenständigkeit, Interesse an Neuem und ein gesunder Respekt vor den Erfahrungen der Väter.

"Die eigentlichen Revoluzzer, diejenigen, die wirklich mutig waren und viel verändert haben, das waren unsere Väter. Das waren die echten Pioniere." Moritz Haidle vom Weingut Haidle ist in jedem Satz der Respekt anzumerken. Er sitzt in Arbeitsmontur und Stiefeln am großen, quadratischen, schweren Holztisch inmitten des Raumes, der für Weinpräsentationen vorgesehen ist. An den Wänden sind auf Glasregalen, dezent beleuchtet, die Erfolgsweine des Gutes aufgereiht. Mittendrin auf Augenhöhe ist zu lesen: "Wine improves with age - the older I get, the more I like it!"

Wenn Haidle spricht, liegt in seiner Stimme Bewunderung für seinen Vater, Hans Haidle. Der gehörte vor vierzig, fünfzig Jahren zu den Winzern, die schon im Sommer Trauben auf den Boden schnitten, um weniger Ertrag zu haben. Die Trauben, die übrig blieben, sollten gehaltvoller werden.

Dazu gehörte Mut - nicht nur in Württemberg. Haidle zählte auch zu den ersten Winzern, die begonnen haben, in Deutschland mit französischen Barriquefässern zu arbeiten - für den eher schweren Rotwein. Das Holz sollte man schmecken und der Alkoholgehalt durfte etwas höher sein. Damals im deutschen Weinrecht für Qualitätsweinwaren verboten, mussten Weine aus diesen Fässern als - minderwertiger - Landwein verkauft werden. Haidle lehnt sich zurück und lächelt, stolz: "Die haben so viel krassere Aktionen gebracht als wir Jungen jetzt?...". Aber die jungen Erfolgswinzer, wie Haidle, Winzer in dritter Generation, machen auch heute vieles anders.

Ihnen bescheinigt man ebenfalls Mut, obwohl Haidle das gar nicht so bedeutungsschwer sieht: "Wir gehen jetzt einfach ein wenig mit dem Trend - das würden unsere Eltern aber auch nicht anders machen. Wenn man so tickt, wenn man neugierig bleibt und zuhört, ist das so." Was heißt das konkret? Haidle beispielsweise setzt auf extreme Ertragsregulierung der Reben, aufwendige Handarbeit, kleine Kisten bei der Lese, um die Trauben nicht unnötig zu quetschen und Spontanvergärung ohne Reinzuchthefe.

Das zahlt sich aus: Es vergeht kein Jahr, in dem seine Weine nicht mit den höchsten Preisen und Auszeichnungen bedacht werden, national und international. Haidle gehört damit zu den besten 60 Jungwinzern Deutschlands (Handelsblatt-Ranking). In dieser Liste ist er einer von zwei Württemberger Winzern. Im Gault-Millau Wein-Guide 2016 zeichnete man ihn mit drei Trauben aus, der Eichelmann 2016 gibt ihm vier Sterne für das Wein-Portfolio. Das Erfolgsrezept? "Ich fahre aktuell den Alkohol etwas zurück, mehr gebrauchtes Holz, weniger neue Fässer, damit der Holzgeschmack nicht mehr so dominant ist. Alles noch ein wenig schlanker. Jetzt trinken ja alle leichtere Sachen gern?..."

Haidle verweist auf die vielen jungen Sommeliers, die derzeit vor allem halbtrockene, feinherbe Mosel-Cabinett-Rieslinge goutieren. Die dürfen auch gern mal 20 bis 30 Gramm Restzucker haben, Hauptsache der Alkoholgehalt liegt nicht über zehn, elf Prozent. So kann man den ganzen Abend Wein trinken, ohne Reue.

Alles wiederholt sich, da ist sich Haidle sicher, nur vielleicht nicht so extrem: "Vor zwanzig, dreißig Jahren wollten alle nur richtig trockene Rotweine. Da sind die Kunden mit Diabetiker-Teststreifen auf Weinfesten rumgelaufen und haben den Papierstreifen in den Wein gehalten, um zu schauen, ob der Zuckergehalt auch wirklich unter zwei Gramm Restzucker liegt." Ein Mitarbeiter unterbricht kurz das Gespräch. Er bringt von draußen nicht nur die herbstliche Kühle, sondern auch einen angenehm leichten Duft nach Holz, Fass und Trauben mit - man vergisst hier keine Sekunde, wo man ist.

Mit Routine werden die anstehenden Fragen schnell geklärt, ein kurzes Flachsen, ein Lachen - und weiter geht's. Die Stimmung ist gelöst. "Eigentlich war ja alles schon mal da. Wir haben das Rad nicht neu erfunden." Haidle nimmt sich daher vor allem der "kleinen Stellschrauben" an und - stellt das Weingut auf ökologischen Weinbau um. Damit liegt er im Trend: Laut Ipsos-Weinstudie 2016 spricht sich immerhin bereits jeder sechste Bundesbürger für ökologischen Anbau und Weingenuss aus.

Man denkt in ökologischen Kreisläufen, agiert schonend, verzichtet auf chemische-synthetische Pflanzenschutzmittel, leicht lösliche, mineralische Düngemittel und Gentechnik. Die Verarbeitung ist aufwendig. Soll es also bio sein, muss man als Käufer unweigerlich etwas tiefer in die Tasche greifen. Das damit gerade die Unter-35-Jährigen die wenigsten Probleme haben, gefällt Haidle.

Er möchte das Thema Wein ohnehin gerne etwas jünger werden lassen - ohne ältere Käuferschaften zu verschrecken. Dafür geht er auch schon mal ungewöhnliche Kooperationen ein: In diesem Jahr tritt eine neue Haidle-Wein-Edition für den Stuttgarter Club Schräglage den Beweis an, dass sogar Hip-Hop und Weißwein zusammenpassen. Und auch das neue Imagevideo für das Weingut, zeigt auf sympathische Weise andere Wege zu neuen Käuferschaften. Haidle lächelt. "Das hat alles sehr, sehr viel Spaß gemacht."

Woher aber holt man sich immer wieder diese Inspiration für Neues? Bei den Anderen, sagt Haidle. Er hat im Burgund, in Australien, in Kalifornien, im Rheingau und in Baden gelernt und studiert - überall gab es da schon jede Menge Inspiration. "In jedem Weingut kann man sich was abschauen, deshalb besuchen wir uns ja auch heute noch alle gegenseitig. Die Winzer haben unter­einander ein sehr freundschaft­liches Verhältnis, egal woher sie kommen. Dieser Beruf schweißt einfach zusammen."

Der Austausch kann aber nicht alles an Inspiration sein. Ist es nicht: "Ganz viel probieren, ganz viel Wein kaufen, egal, wo man ist. Immer auch die Basis-Weine, nicht nur die Spitze." Klar auch, dass der Urlaub danach geplant wird. Die freien Tage verbringt der Jungwinzer in irgendeiner Weinregion der Welt. Die Neugier auf "andere" Weine ist ungebrochen: "Ich frage mich immer: Wie hat der Winzer das hinbekommen, wie hat er das gemacht?"

2016 ist Moritz Haidles dritter Jahrgang - seine Vorstellungen werden von Jahr zu Jahr genauer. Der Vater berät und unterstützt, lässt ihm dennoch freie Hand. Besser kann eine solche Konstellation nicht sein. Nach der Verabschiedung ist am Himmel über dem Weingut keine Wolke zu sehen. Kitsch? Nein, das Glück ist eben mit dem Tüchtigen. Auch hier.

Die Reportage erschien zuerst in der Mai-Ausgabe 2017 von Econo.

2 Ein Leben für den guten Rauch

Karl-Heinz Messmer führt eine der letzten Zigarren-Manufakturen. Er hat die Zigarillos revolutioniert und stemmt sich gegen das Aus der Branche.

Foto: Jigal Fichtner für econo

Mit der Maschine stimmt was nicht. Das Rattern, Klappern, Schrammen klingt irgendwie anders, die Zigarillos landen nicht so ordentlich wie üblich auf dem kleinen Band. Das kann nicht so bleiben. "Entschuldigung", beeilt sich Karl-Heinz Messmer noch zu sagen, bevor er beherzt mit beiden Händen zupackt. Der Rundgang durch die Messmer Cigarrenmanufaktur wird spontan unterbrochen. Das Pro­blem duldet keinen Aufschub.

Tausende dünne Rauchwaren rollt die Maschine jede Stunde, zuverlässig seit vierzig, fünfzig Jahren. Nur hin und wieder braucht es eben einen kleinen Anstupser. Keine fünf Minuten später klingt die Maschine wieder stimmig, die Zigarillos sind ordentlich. Und Messmer ist zufrieden.

Willkommen bei einem der letzten Zigarrenhersteller in Deutschland! Karl-Heinz Messmer kennt die Branche wie kaum ein zweiter, lebt mir ihr und für sie. Seit Jahrzehnten mischt er mit, hat Trends geprägt und den Niedergang erlebt. Aber Messmer ist noch da.

Der Inhaber der kleinen Georg & Otto Kruse Cigarrenmanufaktur sitzt unprätentiös mit hochgekrempelten Ärmeln im geräumigen Büroraum in dem Dorf Watterdingen, einem Ortsteil von Tengen im Hegau. Beschaulich ist es im Ort. Und er ist ein Beispiel für Auf- und Abstieg der Branche.

Das kann man schon erkennen, wenn man sich durch die hügelige Landschaft auf der sich schlängelnden Kreisstraße 6131 dem Ort nähert: Am nördlichen Ortseingang versteckt sich ein Fabrikleerstand. Einst wurden dort die "Blauband"-Stumpen gerollt, der Betrieb hatte mit Niederlassungen zu Hochzeiten 600 Mitarbeiter. Das Hegau war damals ähnlich wie der Oberrhein eine Hochburg der Tabakverarbeitung. Messmer erzählt bildreich über die alten Zeiten, die hellen, wachen Augen des 63-Jährigen blitzen. In regelmäßigen Abständen zündet er sich eine Zigarette an, Marke Kurmark.

Ausgerechnet eine Zigarette! "Die sind doch für den Niedergang der Branche verantwortlich", lacht Messmer zwischen zwei Zügen. In den 50er- und 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gehörten die maschinell gefertigten Stumpen zum Arbeitstag, ebenso wie, je nach finanzieller Möglichkeit, die handgerollten Zigarren am Feierabend oder Wochenende. In den 60er-Jahren drängten die Zigaretten mit Macht auf den Markt, der Erfolg ist bekannt, "Blauband" machte 1976 dicht.

Gab es in den 50er-Jahren noch 2000 Hersteller, waren es Ende der 70er-Jahre rund 200, heute sind es nur noch acht. Messmer gehört weiterhin dazu. Man merkt dem passionierten Rauchfreund den Stolz darauf an.

Dazu muss man wissen: Sein Vater Walter Messmer hat das Unternehmen gegründet, als die Branche bereits zu wanken beginnt. Doch Walter Messmer kennt die Branche aus dem Effeff, will seine Nische finden. Er übernimmt die Geschäfte von Georg und Otto Kruse, die zunächst noch in Hugstetten bei Freiburg fertigen. 1969 folgt der Umzug nach Watterdingen in den Bauernhof der Eltern. Die Stumpen sichern der Familie ein Auskommen.

Anfang der 1980er-Jahre kommt Sohn Karl-Heinz nach seinem Studium der Volkswirtschaft ins Unternehmen: "Ich wollte nur für zwei Jahre reinschnuppern." Doch er erweist sich als versierter Verkäufer, hat ein Gespür für die Rauchwünsche der Kundschaft. Und eine Idee, die die Branche aufmerksam verfolgt: Messmer mischt aromatisierten Pfeifentabak unter den Zigarillo­tabak. Damit nicht genug, ersann er gleich noch ein Packungsdesign, ganz schlicht mit den Buchstaben M und C sowie einem Strich von links unten nach rechts oben. Bis heute ist es das Erkennungszeichen der kleinen Manufaktur.

Damals ist der Vater skeptisch. Aromatisierter Tabak? Walter Messmer winkt ab, lässt den Sohn aber machen. Doch auch der Handel lässt den Jungspund auflaufen. Messmer nimmt einen tiefen Zug, macht eine dramaturgische Erzählpause: "Doch plötzlich hatte die größte Vertriebsgesellschaft Inte­resse an dem Produkt." Von einem Geheimtreffen am Flughafen in Stuttgart bringt Messmer Junior den Auftrag von 550?000 Stück mit nach Watterdingen.

Diese zusätzliche Stückzahl überfordert den kleinen Betrieb. "Wir hatten aber Glück und in Lahr hat eine Firma aufgehört, von der wir die Maschinen übernehmen konnten." Dank des Erfolgs baut die Familie das ehemalige Bauernhaus mehrfach um, setzt einen Erweiterungsbau an und kauft der Gemeinde auch noch das Gebäude des ehemaligen Kindergartens ab. 40 Mitarbeiter beschäftigt die Manufaktur, setzt zehn Millionen Stück Rauchwaren pro Jahr ab.

So hätte es weitergehen können. Wer den Umgang mit Rauchern kennt, der kann sich vorstellen: Es ging so nicht weiter.

Das merkt man schon beim Gang ins penibel aufgeräumte Büro. Vom Schreibtisch bis hin zur Computerliteratur atmet alles den Geist der 90er-Jahre. Der Maschinenpark in der bemerkenswert blitzsauberen Produktion ist noch einige Jahrzehnte älter. Und Messmer verbringt selbst am Samstag ungezählte Stunden damit, die Anlagen zu warten, auf- und vorzubereiten und instand zu setzen. 50?000 Zigarillos schaffen die Apparate pro Schicht dank des guten Zuspruchs.

Doch wie geht es angesichts von Nichtraucherschutz und eigenem Alter mit der Manufaktur weiter? Messmer lächelt freundlich: "Solange es Spaß macht, bleibe ich dabei. Und Spaß macht es definitiv noch!"

15 Mitarbeiter beschäftigt er heute noch, fünf Millionen Zigarillos werden pro Jahr hergestellt. Und in jüngster Zeit hat die Nachfrage spürbar zugenommen. Während des Gesprächs rufen immer wieder Kunden an, geben Bestellungen ab, die Messmer auf säuberlich zurechtgeschnittenem Schmierpapier notiert, bevor seine Frau Ingrid sie in den Computer eingibt. Ob es ein neuer Boom ist? Messmer wagt keine Prognose, hält sich deshalb mit Investitionen zurück. Es läuft alles so weit gut.

Und er beherzigt, was sein erwachsener Sohn in einem Gespräch über eine mögliche Nachfolge gesagt hat: "Habe immer Tabak im Keller."

Die Reportage erschien zuerst in der September-Ausgabe 2016 von Econo.

3 Aussicht auf Erfolg

Die Domaine La Louvière ist Jahrzehnte das Hobby der Familie Grohe. Jetzt führt Sohn Nicolas Grohe das Weingut – mit viel Eigensinn.

Foto: Jigal Fichtner

Thore Könnecke greift zur Flasche. Der Griff ist geübt, die Bewegung fließend, sanft stellt er sie auf den großen Holztisch. Dann greift er zur nächsten, zur nächsten, zur nächsten. Flasche für Flasche bildet sich ein Halbkreis vor dem Betrachter: "Das ist mit unser wichtigstes Gut." Könnecke spricht die Worte mit Bedacht. Der 28-Jährige, halblange Haare, kunstvolles Oberarmtattoo, weites T-Shirt, große, schwarze Brille, spricht nicht über den Inhalt, den Wein in den Flaschen. Er spricht vom Etikett.

Kein großes Wappen. Kein verheißungsvoller Name in Schnörkelschrift. Stattdessen eine Chimäre, ein Mann, eine Frau, je mit Wolfskopf. Angelehnt an französische Aristokraten sind die Körper bekleidet, es blitzen bestrumpfte Beine, Strapse und Mieder, alle Posen sind sinnlich, ein wenig anzüglich. Die Wiener Design-Künstlerin Cordula Alessandri hat die an Kupferstiche erinnernden Etiketten entworfen. Könnecke: "Damit erzählen wir Geschichten über unseren Wein. Die Bilder führen dem Betrachter den Charakter vor Augen, mal sanft, mal dominant."

Trinken mit Augenmaß erhält eine neue Bedeutung.

Doch was hat es mit Könnecke und den Chimären auf sich? Rückblende ins Jahr 1992. Klaus Grohe fährt mit seinem VW-Bus durch Frankreich. Der damalige Chef des Armaturenherstellers Hansgrohe aus Schiltach ist ein asketischer Mensch. Deshalb verschlägt es ihn in diese Gegend am Fuße der Pyrenäen. Einsam ist es hier. Wölfe gibt es. Grohe gefällt es. Zufällig fährt er an einem puristischen Haus in der typischen Bauweise mit großen Fenstern und Läden, hübschem Vorplatz samt Brunnen vorbei. Ein kleiner Weinberg gehört dazu, sechs Hektar groß. Grohe kauft die Domaine La Louvière - auf Deutsch: der Wolfsplatz, daher die Anspielung auf dem Etikett - etwa 30 Kilometer südwestlich der imposanten Festungsstadt Carcassonne in der Region Malepère. Gerüchten zufolge schläft der Asket Grohe noch heute in der Domaine auf einer Luftmatratze.

Der Weinbau wird seine Leidenschaft. Im Laufe der Jahre vergrößert er die Anbaufläche, 42 Hektar sind es heute. Grohe investiert ins Haus, einen Anbau, lässt neben den klassischen unterirdischen Kellern für Barriquefässer einen weiteren mit modernster Technik bauen. Die Familie macht mit, Weinbau als verbindendes Hobby. Bis ins Jahr 2011.

Da wird es seinem Sohn Nicolas Grohe zu eng. Seit 17 Jahren arbeitet er da schon regulär bei Hansgrohe, hat zuvor schon von jung an in den Ferien mitgeholfen. "Mit Messingspänen in den Haaren ging es am Abend heim", erzählt der heute 38-Jährige schmunzelnd. Er wirkt wie ein großer Junge, hat aber das Gespür eines Unternehmers. Nur eben nicht mehr für die Firma, die von seinem Großvater Hans Grohe gegründet wurde.

Die Familie vertraut ihm die Domaine La Louvière an. Nicolas Grohe darf sie zur Größe führen. Geld dafür gibt sie ihm nicht. Grohe gründet sein Wein-Unternehmen auf eigene Faust.

Zurück zu Thore Könnecke an den Holztisch. Er kennt die Familie Grohe schon seit der Schulzeit im Internat der Zinzendorfschulen in Königsfeld. Im Schulpraktikum im Jahr 2006 hatte er ein Ziel: "Ich wollte etwas ganz anderes als die anderen machen." Könnecke geht zum Winzer. Der Wein-Virus infiziert ihn, er studiert Önologie in Österreich, ist in Wien als ihn der Anruf von Nicolas Grohe erreicht: "Die Chance, ein Weingut komplett neu aufzubauen, bekommt man nur einmal." Könnecke strahlt. In der Domaine kann er seine Vorstellungen umsetzen.

Der Holztisch steht in einem Ladengeschäft in Schiltach, direkt am Marktplatz. Touristen zieht es gerne hier ins Städtchen, pittoresk geht es zu, Fachwerk trifft Kopfstein. Die Intertwine-Grohe, die Vertriebsorganisation der Domaine hat hier ihren Sitz. Der Laden wirkt bewusst improvisiert, das Ambiente besteht aus Möbeln der 1950er-Jahre. Das ist hipp und modern. Dazu zwei Wolfsfiguren - ersteigert bei Ebay nach einer Marketingaktion der Modemarke Zara. Das Geld ist knapp und wird bewusst eingesetzt. Könnecke bekommt erst seit Kurzem ein Gehalt, er jobbte nebenher.

Zeugt das von Blauäugigkeit? Mitnichten, alles kalkuliert. Das Duo Grohe/Könnecke wusste genau, in welches Wildwasser sie sich begeben. "Bei Hansgrohe hatte ich es mit wenigen Mitbewerbern zu tun, im Weingeschäft gibt es Tausende und die haben alle ein gutes Niveau!" Grohe setzt das Ausrufezeichen bewusst. Denn bei der Vermarktung der Weine der eigenen Domaine überlässt er nichts dem Zufall. Nichts. Das hat er in seinen Jahren beim führenden Armaturenhersteller von der Pike auf gelernt.

"Wir machen so ziemlich alles anders", sagt Könnecke, der für den Wein und den Vertrieb verantwortlich ist. Dazu gehört: Von Anbau über den Ausbau und die Vermarktung bis zum Vertrieb bleibt alles in einer Hand. Könnecke: "Derzeit arbeiten wir sogar an einem eigenen ERP-System." Mit dem soll künftig unter anderem jede Bestellung unverzüglich an die Scheerer Logistik in Aichhalden geleitet werden. "Unser Ziel sind 24 Stunden Lieferzeit", gibt Grohe vor. In der Industrie fast Standard, im Weinbau gar nicht.

Daneben hebt man sich über die Etiketten mit den erotisch angehauchten Chimären ab. "Das war die eigentliche Herausforderung." Könnecke macht am Holztisch eine dramaturgische Pause. Denn: Was denkt ein Einkäufer, wenn er ein solches Etikett sieht? "Entweder die haben etwas zu verbergen oder die sind wirklich gut", gibt der Önologe den Tenor der Kundengespräche wieder. Eine Erfahrung, die auch Grohe gemacht hat: "Wir wurden härter getestet als andere."

Doch offensichtlich mit Bravour. Namhafte Gastronomen haben die Weine zum Einkaufspreis von 6,80 Euro die Flasche bereits auf der Karte. Deutschland, die Schweiz und Österreich sind erschlossen, Vertriebsbüros in den USA und China werden aufgebaut. "In der Branche dauert es normalerweise Jahre, bis Geschäftsbeziehungen entstehen. Wir haben es in wenigen Monaten geschafft." Grohe klingt bei den Worten nicht überheblich, er freut sich schlicht, dass die Geschäftsidee aufgeht - durch Klinkenputzen pur: "Mein Familienname hilft in der Branche überhaupt nicht weiter."

Nun muss die Produktion mit dem Anspruch Schritt halten. Nur 6000 Flaschen hat Könnecke vom Jahrgang 2012 unter dem Namen der Domaine abfüllen lassen. Der Rest des Ertrags der 42 Hektar wurden an eine Genossenschaft verkauft. "Mehr genügte unserem Qualitätsanspruch nicht." In 2013 waren es schon 53?000 Flaschen. Das Weingut ist damit zu 25 Prozent ausgelastet. Für Könnecke ein Ansporn. Daneben haben beide eine zweite Weinlinie in Kooperation mit einem anderen Weingut aufgebaut. Beim Preis um die Hälfte günstiger, zur Vermarktung im Discounter, aber die Idee mit den Etiketten wird fortgeführt. Hunderttausende Flaschen könnten hier schon bald abgesetzt werden, weltweit.

Am Holztisch greift Könnecke zur Flasche. Er wiegt sie in der Hand. Wird weinselig, ohne einen Schluck genommen zu haben. "Wir hatten nichts, keinen großen Namen und der Wein der Region hat keinen guten Ruf. Aber wir haben einen spannenden Namen und eine spannende Story."

Erfolg beginnt eben doch im Kopf.

Die Reportage erschien zuerst in der Ausgabe April 2014 von econo.

4 Nur die Linie zählt

Bei der Yachtwerft Martin in Radolfzell entstehen die schönsten Holzboote. Sagen Kenner. Ein Besuch bei einem Bootsbauer aus Passion.

Foto: Jigal Fichtner für econo

Der Bau einer Yacht beginnt bei Josef Martin mit einer Tasse Kaffee, gerne begleitet von einer Zigarette. Dann stimmt die Atmosphäre. "Bevor ich überhaupt über die Linie eines Bootes nachdenke, muss ich erst einmal dem künftigen Eigner zuhören: Was will der überhaupt? Wie sind seine Vorstellungen? Weiß er, worauf er sich einlässt?" Bei der letzten Frage grinst Martin, die blauen Augen funkeln. Er schiebt eine amüsante Anekdote über einen Möchtegern-Bootseigner nach.

Josef Martin ist so, wie man sich einen passionierten Segler vorstellt. Locker im Umgang, klar in der Sache, korrekt in der Absprache. Dazu braun gebrannt, die weißen Haare künstlerisch lang. Doch Martin ist mehr als ein Segler. Er gilt als der beste Holzbootbauer in Deutschland. Die Yachtwerft Martin in Radolfzell am Bodensee ist die erste Anlaufstelle für alle, die sich den Traum aus Teak erfüllen wollen. Egal, ob mit Segeln oder Motor. Die Ergebnisse werden in Hochglanzzeitschriften seitenweise vorgestellt.

Martin winkt ab. Der 64-Jährige weiß um seinen Ruf, genießt ihn aber still. Stattdessen sagt er: "Ich habe halt Glück. Ich erkenne die gute, die ideale Linie eines Schiffes." Denn die Linie einer Yacht ist entscheidend für alles, wie sie im Wasser liegt, wie sie sich bewegt, wie sie ausschaut. Nach Kaffee und Zuhören macht sich Martin auf in sein Büro. Die Zigarette begleitet den Yachtbauer.

Alles wirkt designorientiert und maritim, der Fußboden ist dunkel, die USM-Möbel sind blau. Der Blick vom Zeichentisch durch die weitläufigen Fensterfronten schweift über die Hafenanlage ­hinüber zum Bodensee. Zeichentisch? "Das Tuschezeichnen habe ich eben gelernt." Martin macht eine kurze Pause. "Außerdem passt es viel besser zu ­einem klassischen Boot als eine CAD-Zeichnung." Segler sind eben auch werteorientiert.

Wobei Martin die Liebe zu Booten zwar in die Wiege gelegt wurde, eine harte Arbeit war das Finden seiner, der berühmten Martin-­Linie dennoch. Denn Josef Martin war gerade 17 Jahre alt, als sein Vater Joseph 1967 starb. Der Vater hatte Glück, kam über Kontakte zu den Franzosen nach dem Zweiten Weltkrieg an das Gelände - damals mehr Schilf- und Sumpfland als Werft. Der Sohn führt den Hafenbetrieb mit dem Winterlager für 300 Boote weiter. Er weiß um die Wichtigkeit dieses Standbeins. Noch heute ist das so. Martin ist deshalb gerne am Freitag und Samstag auf dem Gelände unterwegs. Denn dann kommen die Skipper und er kann die Gespräche führen, Auf­träge annehmen. Hier ist er Dienstleister durch und durch.

Am Zeichentisch mit Blick über den Hafen ist er dagegen der Künstler, der Handwerker. Mit Bedacht zieht er die Linien in Tusche, berechnet Winkel und Maße. Die Sorgfalt ist notwendig: In den weitläufigen Werfthallen verlassen sich die 14 Mitarbeiter auf die Angaben.

Komplett von Hand entstehen die Yacht-Träume, werden ehrwürdige Boote restauriert. Jede einzelne Leiste, jede Spante wird entsprechend zugesägt, gehobelt, eingepasst. Jeder Handgriff der kundigen Handwerker passt, muss passen. Denn: "Alle sichtbaren Holzteile eines Bootes stammen von einem einzigen Stamm", erläutert Martin. Von Stamm zu Stamm variieren Maserung und Farbton, leicht nur, aber: "Würde man es mischen wäre es nicht mehr stimmig." Martin ist da eigen.

Doch nicht allein der Verschnitt mahnt Martins Mannen zu Sorgfalt. Auch die Eigenheiten des Schiffsbaus: "Bevor der Deckel draufkommt, muss der Innen­ausbau komplett fertig sein." Das hat einerseits statische Gründe. Und andererseits praktische: Man bekäme die Einbauten schlicht nicht mehr ins Innere, wenn der Aufbau erst mal drauf ist.

Wer sich die teils filigran gearbeiteten Formen von Tisch, Bänken oder Schränken anschaut und mehr noch den Blick auf die Hochglanzlackierung - bis zu zwölf Schichten! - lenkt, der merkt sofort, warum Martin zur Sorgfalt mahnt: "Wenn etwas beschädigt wird, hat man ein Problem."

Doch Probleme gibt es eigentlich nicht. Dafür zufriedene Kunden satt. Selbst international ist Martins Expertise gefragt, die Yachten im sechs- bis siebenstelligen Euro-Wert kreuzen auf dem Bodensee ebenso wie in der Ostsee oder dem Mittelmeer. Die Martin-Linie der Boote identifizieren Kenner sofort.

Die hat sich der Werft-Chef aber erst im Laufe der Jahre Stück für Stück erarbeitet; "Meine ersten Boote zeige ich heute gar nicht mehr", lacht Martin. Die hat ­er auch für sich gebaut. Erst als Martin gemerkt hat, dass seine Euphorie für den Bootsbau auch tatsächlich mit einer Begabung einher­gehen, nahm er Aufträge an. Heute stehen bis zu zwölf Boote zeitgleich in den Werfthallen am See, teils Neubauten, teils Restaurierungen. Alle Pläne von Martin in Tusche gezeichnet. Und im ­langen Gespräch bei einer Tasse Kaffee mit Zigarette mit dem Skipper abgewogen.

Die Reportage erschien zuerst in der Ausgabe Juni 2014.

5 Der Erbe des Herrn Drais

Holzfahrräder sind ein alter Hut? Von wegen! Der Schreiner Raphael Much wagt mit der Marke Lumber Jack eine Neuinterpretation

Foto: PR

Mit fließenden Bewegungen lässt Raphael Much den kleinen Hobel über das Holz gleiten. Nach jedem Schwung kringelt sich ein dünner Span aus dem Hobelkörper. Der 28-Jährige geht in die Knie, prüft mit kritischem Blick und den Fingerspitzen das Holzteil vor sich auf dem Arbeitstisch, arbeitet eine Stelle mit dem feinen Stemm­eisen nach: "So wird's!"

Besagtes Holzteil ist ein elegant geschwungener Rahmen, der nach der Behandlung mit Klarlack und mit entsprechenden Komponenten versehen zum vollwertigen Fahrrad wird. Rahmen aus Holz? Much genießt augenscheinlich den verblüfften Blick auf sein Tagwerk. In Zeiten, in denen Rahmen aus Karbon als letzter Schrei gelten, macht er sich daran, eine feine Nische zu besetzen: Lumber Jack Bicycles sind etwas für die Feinsinnigen unter den Radlern. Und treffen den Zeitgeist, der Handgemachtes zelebriert.

Gut 200 Jahre nach der Erstfahrt der Draisine des Karlsruhers Karl Friedrich von Drais kommt Holz mit Much zur zweiten Blüte. Drais' Verdienste in Ehren, doch mit dem eher grobschlächtigen Urahn haben Muchs Rahmen rein gar nichts zu tun. Man kann es so sagen: Die Rahmen sind auf ihre Art echter Hightech. Was der Betrachter mit hochgezogenen Brauen quittiert, kontert Much mit einer Aufforderung: "Einfach mal in die Hand nehmen!"

Der beherzte Griff gerät zur Überraschung, denn was augenscheinlich massiv auf dem Tisch liegt, wiegt nur wenige Kilo. Ein Leichtgewicht im wörtlichen Sinn. Spätestens jetzt muss man einige Sätze zu Raphael Much selbst verlieren. Denn seine Hingabe für den Rahmen hängt direkt mit dem Werdegang des gebürtigen Schrambergers zusammen.

Much mochte Holz schon immer, hat nach der Schule Schreiner im Ladenbau gelernt. Mit 18 Jahren ist er zwar fertig, aber irgendwie befriedigt ihn der Job nicht: "Die Arbeit als Schreiner bestand nur daraus, Spanplatten zu verschrauben. Das entsprach nicht meiner Idee von dem Beruf." Also bricht er auf zu einer Art Much'schen Walz. Die führt ihn auch zu einem Sägewerk in Neuseeland und endet bei einem kleinen Bootsbauer an Portugals Küste - wo er auf die von ihm gesuchte Handwerkskunst trifft, seine Frau kennenlernt und die Liebe zum Surfen entdeckt.

Nun hat Portugal nicht nur eine schöne Küste, sondern, zumal 2010, ein Problem mit dem Staatshaushalt. Ergo lahmt auch der Bootsbau, weshalb Much die Anfrage seines Bruders nicht ungelegen kommt: Könnte man nicht einen Fahrradrahmen aus Holz bauen? Much tüftelt, sägt und hobelt über drei Jahre, verdingt sich nebenher als Schreiner rund um Schramberg. Er prügelt das entstandene Mountainbike die verblocktesten Trails im Schwarzwald bergab. "Mit dem Rahmen fahre ich heute noch", betont Much und zeigt auf ein Rad an der Wand.

2013 schließlich wagt der junge Schreiner den Schritt in die Selbstständigkeit. Die Marke Lumber Jack Bicycles entsteht, optisch stylish in Szene gesetzt von Muchs Frau, einer Grafikerin. Seitdem arbeitet Much in einer kleinen Werkstatt in der "Majolika" in Schramberg an seinen Rahmen. Vor der Werkstatt gurgelt die Schiltach im gefassten Bett, in der Werkstatt fällt einem sofort der hohe Handarbeitsgrad für jeden Rahmen auf. Der Maschinenpark ist überschaubar. "Das wichtigste Hilfsmittel sind die Schablonen", so Much.

Mit denen werden die dünnen, geschichteten Sperrhölzer in Form gebogen. 36 Stunden pressen Zwingen die geleimten Schichten in die Schablone. Je nach Holzart ändert sich der Charakter des Rahmens. Esche ist hell, Nussbaum dunkel, dazwischen sind allerlei Abstufungen. Much: "Jeder Rahmen wird individuell hergestellt. So kann jeder Kunde selbst die Hölzer und damit das Aussehen bestimmen." Im Durchschnitt arbeitet der Schreiner eine Woche an einem Rahmen, schichtet die Hölzer, leimt und belegt die Schablonen, hobelt, fräst und stemmt die endgültige Form, lackiert abschließend mehrmals.

Die dreistelligen Euro-Summen als Preis für den Rahmen haben somit einen adäquaten Gegenwert. "Aber es kaufen nicht nur Besserverdiener die Räder", bekräftigt Much. Doch was ist nun das Geheimnis, der Hightech an dem Rahmen? "Das ist Betriebsgeheimnis", ist der Gründer schmallippig. Nur so viel: Die Rahmen sind innen hohl, das macht sie leicht. Wie er das erreicht, sagt er nicht. Zugleich sind sie aufgrund der Faserstruktur des Holzes belastbar. Das kann man berechnen - oder wie Much auf Tausenden Fahrkilometern einfach in der Praxis testen. Eine wunderbare Abwechslung zur Feinarbeit in der Werkstatt.

6 Asperger Ambitionen

Immobilieninvestoren entdecken die Region Stuttgart und fluten sie mit neuen Hotels. Kleinere Betriebe fürchten deshalb um ihre Existenz. Der „Adler“ in Asperg geht stattdessen in die Offensive.

Foto: Jigal Fichtner für econo

Der erste Eindruck täuscht. Fast ein bisschen schüchtern versteckt Philip Rümmele seine Hände unter dem Tisch. Sein neuer Arbeitgeber, Christian Ottenbacher, Chef des Hotelrestaurants "Adler" in Asperg bei Ludwigsburg, sitzt neben ihm. Er hat eine kleine Presserunde in die Kleinstadt eingeladen, um seinen neuen Küchenchef vorzustellen. Für das Hotel ein echter Clou. Denn der Neue lässt in der Branche aufhorchen.

Rümmele ist zwar erst 30 Jahre alt, hat aber eine wahre Bilderbuchkarriere hinter sich. Vor Kurzem reüssierte er als Küchenchef im Restaurant "Esszimmer" in der BMW-Welt München, mit zwei Michelin-Sternen eine der bekanntesten Küchen in Süddeutschland. Zuvor war er unter anderem Chef de Partie im Waldhotel "Sonora", das gar mit drei Michelin-Sternen dekoriert ist, sowie stellvertretender Küchenchef im "Petit Tirolia" in Kitzbühel. Ob das nicht irgendwie ein kleiner Abstieg sei, nach Asperg in die vermeintliche Provinz zu kommen, fragt ihn einer der Journalisten.

Rümmele lächelt. "Nein, bestimmt nicht", sagt er. Er weiß es besser: "Es ist kein Rückschritt. Hier in Asperg ist das Potenzial größer als zum Beispiel in Kitzbühel."

Wie schon erwähnt, der erste Eindruck täuscht: Rümmele hat große Ziele. Deshalb hat Ottenbacher ihn nach Asperg geholt. Der "Adler" im Ort ist eines der bekanntesten Traditionshotels im Land, seit 1897 im Besitz der Ottenbachers. Von der Metzgerei hat sich das Haus zum Konferenzhotel und Sternelokal entwickelt: Vier Sterne Superior, die Küche mit einem Michelin-Stern dekoriert, dazu kommen weitere Auszeichnungen. Namhafte Manager und Unternehmenslenker steigen bei ihren Visiten in der Region im "Adler" ebenso ab wie Prominenz aus Funk, Fernsehen und Politik. Man gibt sich dennoch bodenständig-bescheiden, schließlich sollen sich auch die Müllers von nebenan im "Adler" wohlfühlen.

Dennoch spüren auch die Asperger den neuen rauen Wind in der Region. Denn der Großraum Stuttgart ist zu einem beliebten Zielgebiet der Immobilieninvestoren geworden. Gut, Stuttgart ist nicht Hamburg oder München. Schon gar nicht Berlin. Stuttgart zählt bei Immobilieninvestoren als B-Stadt. Da in den A-Städten wie den vorgenannten aber der Platz angesichts von dutzenden Neubauprojekten kleiner wird, pumpen Investoren in den kommenden Jahren - hoffend auf fette Renditen - auch in Stuttgart Millionen Euro in neue Hotels.

Zwar vermeldet Stuttgart einen Übernachtungsrekord nach dem anderen, doch allein in der Stadt dürfte die Zahl der Betten in den nächsten zwei Jahren um 3?000 steigen. Aktuell sind es 18?700. Mindestens zehn neue Häuser wollen sich ansiedeln, viele davon rund um das neue Europaviertel. Die Steigenberger-Gruppe will Ende 2015 dort ihr neues Fünf-Sterne-Haus in Betrieb nehmen. Neben der neuen Messe investieren der Flughafen Stutgart und die Stinag Stuttgart Invest in 260 Zimmer auf Vier-Sterne-Niveau. Fraglich ist, ob die steigenden Besucher- und Übernachtungszahlen diese neuen Kapazitäten gleichmäßig auslasten.

Klar ist: Der Wettbewerb wird schärfer. Das wirkt sich aufs Umland aus. Bei Messen etwa füllen sich die Hotels vom Epizentrum am Flughafen kreisförmig. Vor allem die kleinen Traditionsbetriebe fürchten diese Entwicklung. Doch zurück nach Asperg. Zwar ist der "Adler" qua Reputation und gehobenem Zielklientel ein Sonderfall, doch Ottenbacher weiß: "Investoren aus aller Welt entdecken den Standort Stuttgart. Es ist wichtig, sich in diesem Markt zu differenzieren", sagt er. "Aber: An der Spitze ist noch Platz", erklärt er und nippt an einem Glas Wasser.

Seit vier Generationen betreibt seine Familie das altehrwürdige Haus im Herzen Aspergs. Knapp 65 Mitarbeiter beschäftigt er aktuell. Das Sterne-Restaurant ist im Gegensatz zu vielen anderen seiner Art kein Zuschussbetrieb, den ein wohlhabender Gastronom, Mäzen oder Investor nach Gutdünken finanziert. Rümmele soll Klasse liefern, die auch ausreichend Kasse macht.

Seine bisherige Karriere ist steil. Das steigert die Erwartungen im Umfeld. 'Wann folgt der zweite Stern?', ist die beliebteste Frage. Branchenüblich halten sich Rümmele und Ottenbacher mit Aussagen zurück. "Jeder Koch hat seine Philosophie und natürlich verfolgt dabei natürlich bestimmte Ziele", sagt Rümmele. "Diese will ich erreichen. Dabei ist es egal, ob am Ende ein, zwei oder drei Sterne herausspringen." Der Koch will im "Adler" mehr als 08/15-Kost bieten. "Ich habe bei klassischen Köchen gelernt. Das wird immer meine Grundlage bleiben. Aber ich bin offen für neue Techniken, die man kombinieren kann."

Seine Gerichte, wie etwa asiatisch angehauchtes Rinderfilet mit Ochsenschwanz als Wan-Tan heben sich von der Masse ab, die Kompositionen sind lebhaft - und recht mutig angesichts des konservativen Klientels, das dem "Adler" seit Jahrzehnten das Auskommen sichert. Entsprechend muss dieser Mut aber Grenzen haben.

Rümmele ist zwar erst einige Monate im Schwabenland zu Gange, doch einen der größten Unterschiede zur mondänen Münchner BMW-Welt hat er bereits nach wenigen Tagen ausgemacht. "Hier wird sehr viel mehr Wert auf die Beilagen gelegt - und auf die Soßen-Menge im Teller", sagt er und lacht. "Das war neu für mich." Ohne 'Spätzle mit viel Soß'' läuft im Ländle kein Betrieb. Dieser erste Eindruck täuscht in diesem Fall garantiert nicht.

Der Text erschien zuerst in der Print-Ausgabe Juni 2015 von Econo.

7 Hier wohnt ein neuer Geist…

Volker Anhalt hat sich dem Birnenbrand verschrieben. Für seinen Digestif geht er dorthin, wo der Geschmack seinen Anfang nimmt. Ein Spaziergang.

Foto: PR

"Ziehen Sie festes Schuhwerk an. Wir gehen ein Stück." Die freundliche Aufforderung am Ende der telefonischen Terminabsprache mit Volker Anhalt lässt den Autor ratlos zurück. Laufen und Obstler - keine eingängige Konstellation. Dafür eine, die die Neugierde befeuert. Doch Anhalt ist auch kein Brenner im klassischen Sinne. Der Geschäftsführer der Anhalt Fruchtveredelung nennt sich laut seiner PR-Agentur Diges­teur; ein französisches Wort, für das sich keine erbauliche deutsche Übersetzung findet, "Faulturm" lautet eine... 

Damit hat Anhalt natürlich rein gar nichts zu tun. Der 46-Jährige hat anderes vor: Die Marke Anhalt soll für einen Digestif mit ganz neuem, eigenem Charakter stehen. Volker Anhalt trifft damit einen Nerv der Zeit. Klar, gebrannt wird gefühlt schon immer im Schwarzwald und auf der Alb. Doch erst in den vergangenen Jahren hat sich daraus ein regelrechter Lifestyle entwickelt. So etwa um "Monkey 47", einen Gin, der als Schwarzwald-Destillat vermarktet wird. Der ehemalige Nokia-Manager Ale­xander Stein aus Loßburg hat sich die Story rund um das "Affen"-Getränk ersonnen, gebrannt übrigens bei Christoph Keller im Hegau. Der Kunstbuchverleger aus Eigeltingen unweit des Bodensees erhielt vom Restaurantführer "Gault Millau" gar den Ritterschlag als Brenner des Jahres 2013. 

In der Theorie also eine gute Grundlage, um die Wanderschuhe für einen Anhalt zu schnüren. Vor dem Rathaus in Immenhausen wartet Volker Anhalt. Der pittoreske Ort mit 611 Einwohnern gehört zu Kusterdingen, einer Gemeinde zwischen Tübingen und Reutlingen. Ländlich ist es hier. Und ruhig. Nach wenigen Schritten sieht man, warum Anhalt sich diesen Treffpunkt ausgesucht hat: Kaum hat man den Ort hinter sich, steht man mitten in Streubobstwiesen.

Die Bäume sind teils uralt, teils frisch gepflanzt. Jetzt im Spätsommer zerren die Früchte satt und schwer an den Zweigen. Der Anbau von Äpfeln, Birnen und Zwetschgen hat hier auf den Härten, wie die Hochfläche im Volksmund heißt, Tradition. Nicht aus Passion, sondern schlicht, um zu überleben: "Wasser war früher nicht immer genießbar, Most schon", doziert Anhalt im Gehen. 

Während des Spaziergangs wird schnell klar: Die Bäume in all ihren Lebensstadien sind die Passion von Volker Anhalt. Die reift seit Silvester 1999, als er, statt mit seinen Freunden im Haus zu feiern, unter einem sehr alten Birnbaum dem mitternächtlichen Glockenschlag lauschte. Warum? "Kann ich gar nicht genau sagen. Es war ein unbestimmtes Gefühl." Eine wunderbare Story für seine PR-Agentur. "Es war aber wirklich so!" 

Jedenfalls traf Anhalt das unbestimmte Gefühl in einer besonderen Zeit. Man kann es so sagen: Der Beruf des Anwalts war ihm fad. Anwalt ist er zwar immer noch. Doch jetzt auch: Fachwart für Obst und Garten, geprüfter Obstbaumpfleger, Brenner-Geselle, und er hat die staatliche Fachkraftprüfung für Brennereiwesen abgeschlossen. Kein Wunder, dass man beim Streifzug durch die Wiesen rasch ins Politisieren über die Landwirtschaft im Allgemeinen und ihre Verklärung im Besonderen kommt.

Ein Brett auf einem Baumstumpf, fertig ist der improvisierte Tisch. Dann entführt der lang aufgewachsene Anhalt in seine Geschmackswelten, schneidet per Klappmesser von verschiedenen Birnensorten Scheiben. Er spricht über Reifegrade, Säuren und Beliebtheiten im Supermarkt. Und darüber, was andere Brenner anders machen.

Denn für Anhalt gilt für Schnaps wie fürs Kochen: "Die Zutaten, das Rezept müssen stimmen." Oder anders ausgedrückt: Wer unterschiedliche Früchte mit unterschiedlichen Reifegraden in den Bottich kippt, bekommt Undefinierbares in die Flasche. Fünf Jahre hat Anhalt am Rezept für seinen Digestif gefeilt, Birnensorten ausgesucht, Essenzen, Kräuter und Samen gemischt.

Details verrät er nicht. Lieber nestelt er die speziell designte Flasche - einen mundgeblasenen Flakon mit Einfassung aus Walnussholz - aus seinem Rucksack. Zwei Gläser stellt er auf den Tisch. Mit einer Dritteldrehung löst Anhalt den metallenen Schraubverschluss. Der Digestif rinnt in die Gläser. 
Riechen!
Schmecken!
Prost!
Es braucht keinen geübten Gaumen, die Sinneszellen melden auch so: Mit dem klassischen Verdauungsschnaps, landschaftlich Verdauerli, Verrisserle oder Zer­hacker genannt, hat Anhalts Brand nichts zu tun. Im Mund breitet sich weich eine Aromenwolke aus. Die Zunge schnalzt anerkennend.

Mit Kärrnerarbeit hat sich Anwalt Anhalt für seinen Birnenbrand in den vergangenen Monaten einen kleinen, aber feinen Kreis an Liebhabern erobert. Das sollen noch mehr werden, auch Gastronomen will er überzeugen. Doch Anhalt lässt sich Zeit, will nichts überstürzen. Und die 150?000 Flaschen, die von "Monkey 47" pro Jahr übern Ladentisch gehen, will Anhalt gar nicht erst erreichen. Ihm geht es trotz Businessplan für seine Fruchtveredelung GmbH um die Passion. Ein Vorsatz mit genug Gesprächsstoff für den Rückweg.

8 Durchblick!

Brille? Lunor! Ein Vater-Sohn-Gespann verhilft der Marke aus dem Nordschwarzwald zu Höhenflügen. Das Wachstum ist immens, weil die eigene Philosophie so strikt ist

Foto: Jigal Fichtner für econo

Der Weg zu einem der aktuell erfolgreichsten Brillenhersteller ist wenig mondän. Wer zu Lunor will, nimmt das "Treppenhaus Verwaltungsgebäude II". Es ist ein alter Industriebau am Rande von Althengstett bei Calw. Hier hat früher Zeyko Küchen hergestellt, heute teilen sich Einzelhändler, Motorradverkäufer, ein Logistiker den Standort.

Die Türen bei Lunor im ersten Obergeschoss stehen offen. Eine frische Brise weht durch den Bau. Lange werden Ulrich Fux und Co-Vorstand Michael Fux hier nicht mehr sein. Ein paar Kilometer weiter wurde schon der Spaten gestochen: In Unterhaugstett, das zu Bad Liebenzell gehört, baut Lunor an seinem eigenen Stammsitz. Mehr als drei Millionen Euro investieren Vater und Sohn. Im kommenden Sommer sollen die 20 Mitarbeiter umziehen.

Noch ist Althengstett die Heimat der Brillen, die aktuell reißenden Absatz finden. "In den vergangenen drei Jahren ist unser Umsatz um durchschnittlich 30 Prozent gestiegen", sagt Ulrich Fux, der im Unternehmen für Strategie und die Zahlen zuständig ist, während sich sein Sohn um das Kreative, das Design der Brillen kümmert.

Lunor lässt seine Brillengestelle von Hand fertigen. In Deutschland. Das ist ungewöhnlich für den Brillenmarkt. Mehr als 90 Prozent der hierzulande verkauften Brillen­gestelle kommen aus dem Ausland. Der Großteil davon wiederum aus China, wo es zwei große Fertigungszentren gibt. Lunor hingegen war schon immer anders. Doch erst seit ein paar Jahren boomen die Luxusbrillen aus Althengstett. Wobei Luxus nicht ganz korrekt ist: Natürlich sind die Brillengestelle im Premium-Preis-Segment angesiedelt. Allein für das Gestell werden mindestens 350 bis 400 Euro fällig. Aber im Markt gebe es schlicht ein gestiegenes Bedürfnis nach Qualität, sagt Ulrich Fux.

Brillen sind in Teilen der Gesellschaft längst nicht mehr lästige Pflicht, sondern Schmuckstück, Status-Symbol und Ausdruck des eigenen Stils. Lunor hat sich an die Spitze eines Gegentrends gesetzt, der Brillen nicht bei Fielmann und Konsorten verortet. Im boomenden Online-Handel, etwa bei Mister Spex, sind die Brillen aus dem Südwesten gar nicht erst zu haben. "Wir bedienen eben eine andere Klientel", sagt Fux. Eine, die Wert legt auf Werte. "Wenn wir zehn Prozent mehr Aufwand benötigen, um die Qualität um ein Prozent zu erhöhen, dann machen wir das", sagt Fux.

Das klingt nach PR-Sprech, aber sein ernster Gesichtsausdruck lässt darauf schließen, dass es wahr ist. Mehr als 200 Arbeitsschritte seien nötig, um aus einem einfachen Stück Acetat eine Lunor-Brille zu fertigen. Großserienteile gibt es bei Lunor nicht. Allein die Scharniere sollen laut Fux pro Stück 50 Euro in der Herstellung kosten. Wo andere Hersteller auf aufgesetzte Nieten an den Scharnieren setzen, lassen die Fux' "durchnieten". An drei Standorten in Deutschland werden ihre Brillen produziert: Pforzheim, Zirndorf sowie Passau.

Im Geschäftsjahr, das Ende August zu Ende gegangen ist, dürfte Lunor bis zu 75.000 Gestelle verkauft haben, schätzt Fux. Dass sich das Unternehmen das Mehr an Qualität finanziell und zeitlich leisten kann, hängt schlicht mit der riesigen Nachfrage zusammen: Die Lieferzeit beträgt aktuell mehrere Monate, neue Händler haben bei Lunor derzeit kaum eine Chance - sie könnten auch gar nicht beliefert werden. Die US-Optikerkette Robert Marc, die Lunor-Brillen im Angebot hat, wurde kürzlich übernommen. Marc will nun mit frischem Kapital 50 bis 100 neue Läden eröffnen. Lunor ist dabei.

Die Krux für Fux: Die drei Produktionsstandorte in Deutschland kommen mit der Fertigung kaum noch hinterher - und es gibt kaum Manufakturen in Deutschland, die für Lunor Gestelle herstellen könnten. Als er und sein Sohn, damals 21, das Unternehmen im Jahr 2005 übernahmen, war die Entwicklung nicht absehbar: Das Unternehmen hat zwar einen guten Ruf, ist eine gute Marke. Aber es schreibt rote Zahlen, der Umsatz liegt bei rund 1,2 Millionen Euro. Nun soll er bei 7,5 Millionen Euro liegen. Tendenz weiter steigend.

"Die ersten Jahre waren nicht einfach", sagt Fux, der seit 1979 selbstständig ist und auch schon ein Optik-Geschäft betrieben hat - und parallel zu Lunor noch einen Großhandel besitzt, der von seiner Tochter geleitet wird. Sein Sohn wiederum ist für das Design zuständig. Er setzt auf klassische Vintage-Designs. Lunor-Gestelle seien zeitlos, inspiriert von Brillen aus dem vergangenen Jahrhundert, erläutert Michael Fux. Geholfen hat beim Durchbruch sicher auch die Episode mit Apple-Gründer Steve Jobs. Irgendwann kam nämlich heraus, dass der inzwischen verstorbene Unternehmer ausschließlich Brillen aus Althengstett trägt. Er kaufte sich immer dasselbe Modell bei Robert Marc in New York.

Der Hype machte Lunor weltweit bekannt. "Aber das Geschäft lief schon zuvor gut", sagt Fux. Heute tragen auch andere Promis die Brillen: Auf der Liste stehen etwa Johnny Depp, Madonna oder Elton John. Rund 50 Prozent erzielt Lunor bislang im Ausland. Ausnahmen vom Prinzip "Made in Germany" gibt es bei all der Handarbeit und Exklusivität aber dennoch. Die Titanbrillen lässt Fux in Japan herstellen. Der Grund ist einfach: "Die können das einfach besser als wir Deutschen."

9 Auf dem Weg

Norman Bücher ist Extremläufer. Dafür hat er die Karriere als Berater aufgegeben. Laufen ist für ihn Lifestyle und Geschäftsmodell zugleich.

Foto: PR

Der Kontrast könnte kaum größer sein. Norman Bücher sitzt am gemütlichen Esstisch in einer typischen Jung-Familien-Wohnung in einem Mehrfamilienhaus im Nordschwarzwald. An der Wand Fotos, die vom Elternglück erzählen. Büchers Worte zeichnen in diesem Moment im Kopf seines Zuhörers Bilder von extremen Landschaften. Entbehrungen. Grenzerfahrungen. Von der Leidenschaft, laufend die eigene körperliche, mentale Belastbarkeit auszureizen.

Familie und Extrem-Laufen - das sind die Pole in Büchers Leben.

Dabei könnte es der 37-Jährige viel einfacher haben. "Monetär wäre ich als Berater sicher deutlich besser gestellt", lacht Bücher. Doch was wäre dann mit der Zufriedenheit, dem persönlichen Glück? "Eben." Unbewusst hat Bücher immer danach gesucht. Das lange Laufen gehört von jeher zu seinem Leben, das hat er von seinem Vater, einem Marathonläufer. Der Sohn spielt viel Fußball, läuft Ende der 1990er- Jahre in Karlsruhe den ersten Halbmarathon. Von da an werden die Distanzen länger. Im Jahr 2001 bestreitet Bücher seine erste Ultradistanz beim Kultlauf im schweizerischen Biel. "Ich habe über 18 Stunden gebraucht, hatte Magenprobleme. Aber der Stolz auf das Erreichte bleibt."

Neben dem Stolz wächst auch eine Erkenntnis: "Bei diesen Rennen kann ich meine Stärke nicht ausleben." Büchers Stärke ist der Wille zum Durchhalten, weniger die Geschwindigkeit. Es geht ihm um die Selbsterfahrung im Extremen, auch um die Herausforderung in lebensfeindlicher Natur. Die Erkenntnis geht einher mit einer persönlichen Krise.

Bücher hat Betriebswirtschaft studiert, arbeitet als Berater, die Weichen stehen auf Karriere. "Ich habe schnell deutlich gespürt, dass es nicht meine Welt ist - schon allein wegen der Kleiderordnung", lacht der drahtige Mann mit den wachen Augen. Im November 2006 dann die Initialzündung: Er hört in Berlin einen Coach. Der spricht über den Mut, Neues anzupacken. Noch im Zug zurück reflektiert Bücher den eigenen Lebensplan. Das Ergebnis: Es passt alles nicht.

Also entwirft er einen neuen, macht Weiterbildungen zum Vortragsredner. Parallel läuft er immer weiter, immer längere Distanzen. Im Training legt er Etappen von bis zu 180 Kilometern zurück, pro Tag. Er lotet seine Grenzen aus. Wer den Erzählungen Büchers am Esstisch zuhört, der merkt schnell: Das neue Leben ist eine große Befreiung für ihn. Trotz aller Einschränkungen, die eine Kündigung der Festanstellung mit sich bringt. Sein neues Leben passt ihm.

Seit Anfang 2009 hat Bücher aus seinem Lebensinhalt, dem Extrem-Laufen, ein Geschäftsmodell gemacht. Er wird als Redner und Motivator gebucht, 55 Auftritte hatte er die vergangenen Jahre im Schnitt, vor Schülern ebenso wie vor Managern. "Zu Beginn stand ich noch im Anzug auf der Bühne, heute in Jeans und T-Shirt. Das Publikum hat sehr feine Antennen für Authentizität." Daneben durchquert er mit kleinem Gepäck die Wüsten dieser Welt, in Australien war er, in der Atacama in Südamerika, zuletzt die Wüste Gobi.

Dort war er komplett auf sich allein gestellt, in einem umgebauten Baby-Jogger transportierte er kleines Gepäck, Essen, Trinken, ein Satellitentelefon. "Das war eine riesige Herausforderung, aber auch eine extreme Erfahrung." Bücher strahlt, erzählt in bunten Worten von der Gastfreundlichkeit der Einheimischen und gegorener Stutenmilch als Begrüßungsgetränk. Das Publikum liebt solche Storys. Er erzählt sie gerne.

Doch wie lange kann er derartige Extremtouren noch machen? Auch darüber macht sich Bücher Gedanken. Das Reden, Mut machen, Denkanstöße für Veränderungen geben, liegt ihm. Diese Linie behält er bei. Bei den Touren deutet sich hingegen eine Veränderung an: 2016 oder 2017 will er nach Afrika. Was er plant? "Es wird nichts im Stil von höher, schneller, weiter. Es muss etwas anderes sein."

Wahrscheinlich wird er mit kleinem Team durch mehrere Länder, unterschiedliche Landschaften laufen, er will viele Menschen treffen. "Nach den Erfahrungen in der Wüste jetzt eher das andere Extrem." Im laufenden Jahr will er in Ruanda die Chancen für eine solche Tour ausloten. Dem Publikum wird es gefallen. Denn Bücher hat einen Vorteil: "Mit dem Laufen können sich viele identifizieren, weil sie es selbst machen."

Andere Extremsportler haben es ungleich schwerer, diese Verbindung zu den Zuhörern zu knüpfen. Der 37-Jährige will auch in anderen Bereichen von dieser Verbundenheit profitieren. So steht eine Bekleidungslinie in seinem Businessplan. Bücher ist tatsächlich in seiner Welt zwischen Familie und Ex­trem-Läufen angekommen.

10 Nach Maß

Sein Ziel war es immer Unternehmer zu sein. Ashkan Yousefi Darani hat sich nun mit „Mr. Ash“ diesen Traum erfüllt. Ein Traum, der im US-Bundesstaat Georgia begann. Nun will er mit seinen modernen Maßanzügen die Modeszene aufmischen.

Foto: PR

Es ist alles ein Teil eines Plans. Seines Plans. Ashkan Yousefi Darani lächelt breit. "Als ich Anfang 20 war, war mir klar, dass ich Unternehmer werden will", sagt der 28-Jährige. "Selbst entscheiden und selbst gestalten, das spornt mich an." In diesem Jahr hat er es geschafft. Er hat "Mr. Ash" gegründet, ein Unternehmen, das Anzüge, Hemden, Sakkos, Hosen den Herren auf den Leib schneidert.

Allerdings ist Mr. Ash kein Herrenausstatter im klassischen Sinne. Das sieht man schon, wenn man den neu eingerichteten Laden im Stuttgarter Westen betritt. Ein edler, schwerer Billardtisch steht direkt hinterm Eingang. An den Queues an der Wand hängen edle Seidenkrawatten, handgemacht von einer türkischen Schneiderin, die Darani auf einer seinen vielen Reisen vor der Firmengründung kennengelernt hat. Die Regale, in denen Socken, Manschettenknöpfe und andere Accessoires kunstvoll drapiert sind, hat er selbst gebaut. Statt aus Holz oder PVC bestehen die Streben aus Rohrstücken. Die hat Darani selbst in Form gesägt. Die edle Schrankuhr in der Ecke hat er erst vergangene Woche erstanden. "Von einem Mann, dessen Frau das schöne Teil endlich los werden wollte", erzählt Darani.

Sein Laden soll nicht irgendein anonymer Franchise-Shop aus der Retorte sein. Stattdessen: Persönlich. Gemütlich. Heimelig. "Ein bisschen so, als richte ein Mann seinen Hobbykeller ein." Daranis Schritt ist mutig. In Zeiten wachsender Online-Handelsplattformen und Einkaufszentren, die aus dem Boden schießen, will er mit Shop und Label "Mr. Ash" in und um Stuttgart für Furore sorgen.

Er adressiert eine andere Käuferschicht als die klassischen alteingesessenen Herrenmodespezialisten, von denen es immer weniger gibt. Seine Kunden sind 20 bis 40 Jahre alt, männlich, stehen mitten im oder am Anfang ihres Berufs­lebens. "Menschen suchen das Individuelle und sind auch bereit, Geld dafür auszugeben", sagt der gelernte Marketing- und Medienmanager, der nach seinem Studium einige Jahre für einen Stutt­garter Sportwagenhersteller gearbeitet hat.

Aber der Job in einem Konzern ist seine Sache nicht. "Ich will selbst Verantwortung tragen." Entsprechend anders ist eben auch die Mode, die er verkauft. "Ein bisschen bunter, peppiger, jünger, moderner stelle ich mir die Mode von heute vor", sagt Darani. "Ich habe dem Anthrazit quasi den Kampf erklärt." Das sieht man den Stücken im Shop an. Gewagte Muster, kräftige Farben, moderne Formen. Die Maßanzüge lässt er von zwei Schneidern herstellern, einer sitzt in Shanghai, der andere in der Türkei.

Letzterer, Nam?k Gökçeer, war mal Designer bei Hugo Boss. Ein großer Name in der Branche, einer, der auch Schauspieler und Politiker einkleidet. "Ich hatte leichte Bedenken, ob so ein renommierter Modemacher überhaupt mit einem jungen Gründer wie mir Geschäfte machen will", erzählt Darani. Die Sorge war umsonst. Fast täglich tauschen sie sich aus. Gökçeer war es auch, der dem Unternehmer den letzten Feinschliff im Maßnehmen verpasst hat. "Ich habe während meiner Reisen unglaublich viel gelernt."

Drei bis vier Wochen dauert es von der Vermessung der Kunden bis zur Auslieferung des Anzuges. Die Preise beginnen bei knapp 400 Euro für Hose und Sakko. Das ist für einen Maßanzug recht niedrig und sorgt bei manchem Betriebswirt für hochgezogene Augenbrauen. "Das war eines meiner Ziele. Die Schwelle für die jüngere Kundschaft soll so niedrig wie möglich sein", erläutert Darani. Und es läuft gut. Ein "wenig überrascht" ist er, wie gut.

Die ersten schwarzen Zahlen waren erst für Januar angepeilt. Das hat er schon jetzt erreicht. "Wir haben von der ersten Woche an Umsatz erwirtschaftet", sagt der Gründer.

Auf die Idee kommt er in At­lanta im US-Bundesstaat Georgia. Dort arbeitet er für einige Zeit für eine Online-Marketinggesellschaft und entdeckt dabei einen kleinen Shop, der ihm als Inspiration dient. "Ich war mir sicher, dass so etwas auch hier funktionieren kann." Also recherchiert er im Netz bis tief in die Nacht, liest sich in die Materie an, schreibt Tausende von E-Mails. Die Gründung des Unternehmens selbst ging dann schnell.

"Innerhalb von acht Wochen war alles durch", sagt der gebürtige Iserlohner, der mit 13 Jahren nach Stuttgart gezogen ist. Seine Mutter, selbst als Buchhalterin selbst­ständig, unterstützt den Sohn bei Businessplan und Finanzierung, an der sich neben der Hausbank auch die Bürgschaftsbank beteiligt.

Den Namen seines Unternehmens hat er dem Sohn eines Arbeitskollegen zu verdanken. "Er musste alle mit Mister ansprechen. Da gab es einen Mister Mike - und eben mich, Mister Ash", erzählt er. Unter dem Namen will er auch eine eigene Modelinie mit Accessoires wie Einstecktüchern, Krawatten sowie Hemden etablieren. Auch das ist ein Teil seines Plans.

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