1 Herrgottswinkel
Die Stadt Engen liegt inmitten einer herrlichen Natur. Doch die Unternehmer und ihre Projekte sindnicht minder beeindruckend.
Um Engen besser zu verstehen, muss man zunächst vom Weg abkommen, genauer von der Autobahn 81: Einfach an der Raststätte „Im Hegau West“ den Blinker setzen. Dann an der Tankstelle vorbei, ebenso an der Gaststätte und der neuen, vier Millionen Euro teuren Hotelerweiterung, weiter zum Aussichtspunkt. Motor aus und einige Schritte gegangen.
Dann liegt es einem zu Füßen: Das Panorama der Hegau-Vulkane – der nicht unumstrittene Dichter Ludwig Finckh umschrieb sie als „Herrgotts Kegelspiel“ – und mittendrin die Stadt Engen. Idyllisch. Im Hintergrund schimmert der Bodensee. Und bei guten Bedingungen präsentieren sich die Alpen im Halbrund wie gemalt.
Kein Wunder, dass jährlich mehr als 550.000 Touristen durch die Landschaft wandern oder radeln. Gut 55 Millionen Euro lassen die geschätzt in den Unterkünften und Gaststätten. Doch die Landschaft zieht nicht allein, im Falle von Engen ist es auch die Innenstadt. Das kann man vom Aussichtspunkt ebenfalls erahnen. Doch dazu am Ende einige Zeilen mehr.
Zunächst lenkt man den Blick vom Ortszentrum auf der kleinen Anhöhe ein wenig westlich. Zwischen Innenstadt und dem See in der Ferne liegt ein anderer Schatz Engens: das Gewerbegebiet „Grub“.
Dazu muss man wissen: Engen hat eine lange Stadtgeschichte, erste Erwähnung im 11. Jahrhundert, Verleihung der Stadtrechte im 13. Jahrhundert. Engen gehörte damals den Herrn zu Hewen und die ließen allüberall auf dem „Kegelspiel“ Burgen errichten. Sicher ist sicher. Und die kleine Stadt war so etwas wie das Zentrum.
Deshalb war Engen immer eine Beamtenstadt. Wirtschaft? Damit mochte man sich nicht abgeben. Dem Vernehmen nach wurde um 1880 sogar die Anfrage von Maggi abgelehnt. Das ist zwar nicht verbürgt, würde aber zum Gebahren passen.
In den Jahrzehnten danach merkten die Engener jedenfalls: Ohne Wirtschaft geht’s auch nicht. Während sich wenige Kilometer Luftlinie entfernt Singen (nicht nur) weiter über Maggi freute, sank der Stern Engens als Beamtenstadt immer weiter. Da wurde ein Bauprojekte beinahe zum Schicksalsprojekt für die Stadt: die A81.
Mitte der 1970er-Jahre wanden sich deren Fahrbahnen von Stuttgart kommend auch endlich über den Hegau in Richtung Bodensee. Engen wies Gewerbeflächen aus, seitdem geht es wirtschaftlich bergauf. Denn: Der Hegau ist mit seinen neun Vulkanen inmitten der lieblichen Natur zwar eine eigene Landschaft. Aber aus globalerer Sicht ist der Hegau vor allem eines: das Tor zum Bodensee. Das schwäbische Meer mit badischen Anteilen ist nach wie vor Sehnsuchtsort – was vor allem am Freitag- und Sonntagabend die A81 füllt und dem Hotel der Raststätte „Im Hegau Ost“ eine Auslastung von mehr als 70 Prozent beschert.
Zurück zu den Fakten. Der Hegau mit seinem Zentrum Engen ist also eine Art Tor zum Bodensee. Der See ist attraktiv – hat aber deutliche Defizite vor allem in Sachen Baulandpreise, egal ob Wohn- oder Gewerbebau. Hier hat Engen seine Chance erkannt. Ein Einstiegspreis von 44 Euro für den Quadratmeter, dazu eine Autobahn vor der Haustür. Investorenherz, was willst du mehr?
Spricht man mit Bürgermeister Johannes Moser (lesen Sie hierzu auch das Interview in Abschnitt 2 dieses Dossiers), dann merkt man schnell: Die Stadt könnte noch mehr Flächen verkaufen, wenn sie denn raumplanerisch dürfte.
2650 Arbeitsplätze bietet Engen inzwischen. Keine schlechte Zahl für eine (schuldenfreie) Stadt mit der Historie und mehr als 10.200 Einwohnern. Eine andere Zahl macht hellhörig: 650 Arbeitgeber gibt es. Die Wirtschaftsstruktur ist ergo, nun ja, sehr breit aufgestellt. Doch lächeln gilt nicht: Quantität sagt nichts aus! Die Qualität ist es, die Maßstäbe setzt.
Als Beispiel für diese These nimmt man als Betrachter in besagtem Gewerbegebiet „Grub“ (streng genommen in der eben erst erschlossenen Erweiterungsfläche „Grub-A81“) vom Aussichtspunkt aus einen sechsgeschossigen Neubau ins Visier: das „Cube“. Dahinter steckt der Engener Unternehmer Wolfgang Sachs, Chef der Sachs-Holding, zu der ein weltweit gefragter Ingenieurs-Dienstleister mit mehr als 28 Mitarbeitern gehört. Ingenieure sind aber anspruchsvolle Mitarbeiter – sie wollen nicht allein anspruchsvolle Aufgaben, sondern auch ein ebensolches Arbeitsumfeld. Also grübelte Sachs und ersann das Projekt „Cube“: 6,5 Millionen Euro fließen in den Neubau. „Der Work-Life-Balance-Aspekt macht das Objekt zu einem Vorzeigeprojekt“, so Sachs, der den Neubau als Gesamtkonzept bis hin zu Fitness-Angeboten und einer hochwertigen Cafeteria ersonnen hat. „Die 3800 Quadratmeter Fläche sind zur Fertigstellung Mitte 2016 voll vermietet“, sagt die „Cube“-Verantwortliche Berta Baum.
Zu den Mietern gehört übrigens auch der ausführende Baudienstleister Goldbeck: Jörg Parschat, Leiter der Niederlassung Bodensee, wechselt mit seinem 28 Personen starken Team von Radolfzell in den vierten Stock des „Cube“, klasse Aussicht inklusive. Wobei er selbst die kaum genießen kann – Parschat hat seit dem Aufbau der Geschäftsstelle mit zwei Mitarbeitern vor gut sechs Jahren bereits hunderttausende Quadratmeter Gebäudefläche realisiert: „Die Zeit war reif für einen Baudienstleister wie Goldbeck in der Region.“
Zeit ist übrigens ein gutes Stichwort, wenn der Betrachter den Blick ein wenig östlich wandern lässt. Im „Grub“ befindet sich auch der Ladungssicherungsspezialist Allsafe Jungfalk. Mit mehr als 180 Mitarbeitern und 46,7 Millionen Euro Umsatz der größte Betrieb in Engen. Das allein macht ihn schon bemerkenswert, auch, dass er mit seinen internen Strukturen im Hochlohnland der Billigkonkurrenz aus Asien trotzt. Richtig bemerkenswert ist ein Buch: „…und mittags geh ich heim“, geschrieben von Chef Detlef Lohmann. Mit Verve hat er darin beschrieben, wie er seinen Betrieb vom Kopf auf die Füße gestellt hat: Die Mitarbeiter sind jetzt alles, wissen alles und managen alles. Lohmann lenkt die großen Bahnen – und die trägt die Post zu den Mitarbeitern, um den Kontakt zu halten.
Apropos Kontakt. Den muss der Betrachter nun wieder zu seinem Auto aufnehmen. Zwar ließe sich noch vieles übers „Grub“ erzählen, von dem Elektronikspezialisten Fixtest Prüfmittelbau oder der f.u.n.k.e. SENERGIE, führender Hersteller von Blockheizkraftwerken. Doch es wird Zeit.
Also wieder rauf auf die Autobahn, wenige hundert Meter nur, dann die Ausfahrt Engen nehmen in Richtung Stadt. Es geht in den Ortsteil Welschingen. Bei der Gelegenheit gleich noch einen Blick auf die neue, 4,8 Millionen Euro teure Stadthalle mit ihrer ungewöhnlichen, rot-orangenen Metallfassade werfen und die guten Einkaufsmöglichkeiten vis-à-vis des Bahnhofs registrieren. Im Gewerbegebiet Welschingen fallen einem die Neubauten von Vario-Pack Sprühsysteme und Prod Eq, einem Schweizer Spezialisten für Gebrauchtmaschinen auf. Doch das Ziel ist die MDS Group von Dirk Solbach.
Die MDS Raumlösungen sind gefragt: Meisterbüros oder Trennwandsysteme oder Stahlbaubühnen. 65 Mitarbeiter hat die Gruppe, deren Chef Solbach auch hochwertige Containerlösungen mit Modulen für Büros oder Sanitärbereiche ersonnen hat. Dazuhin noch das „iHome“, ein innovatives Wohnkonzept auf Containerbasis. „Von einfachen Wohnmodulen bis zu Hightech-Wohnungen auf mehreren Etagen ist alles möglich“, so Solbach, der selbstredend in einem gehobenen „iHome“ wohnt – inklusive dem Anbau „Wellness-App“.
Doch statt beim MDS-Chef einzukehren, geht’s zurück zum Auto, wenden und retour in Richtung Autobahn. Dabei aber nicht den Abstecher in die Altstadt vergessen, wunderbar saniert und im positiven Sinne hübsch. Dass die Häuser auf dem Bergrücken liegen, braucht nicht zu schrecken: Vom Parkplatz aus gibt’s einen Aufzug. Ab hier sei der geneigte Betrachter dann entlassen: Die Schlenderei genießt man am besten, ohne dass einer einem sagt, wohin er schauen soll.