Dossier

TechnologyMountains


1 Sensoren ertasten die Zukunft

Beim 10. Innovationsforum Smarte Technologien und Systeme stehen die Kunden im Mittelpunkt: Ihre Rückmeldungen beeinflussen die Entwicklung

Foto: TechnologyMountains/Patrick Seeger

Donaueschingen. Produkte und Anwendungen werden kleiner, schlauer, kommunikativer – im privaten wie im industriellen Umfeld. Dass beide Bereiche immer mehr zusammenwachsen, war eine Erkenntnis des 10. Innovation Forum für Smarte Technologien und Systeme in Donaueschingen.

Die Veranstalter TechnologyMountains, Industrie- und Handelskammer Schwarzwald-Baar-Heuberg und Hahn-Schickard-Gesellschaft für angewandte Forschung begrüßten in den Donauhallen rund 200 Besucher, die sich bei mehr als 20 Fachvorträgen, bei der forumsbegleitenden Ausstellung und in persönlichen Gesprächen mit der digitalen Welt von morgen auseinandersetzten.

Beim Eröffnungstalk gefragt, wohin diese Entwicklung sich genau bewege, gab Alfons Dehé, Institutsleiter bei Hahn-Schickard in Villingen-Schwenningen, eine ehrlich offene Antwort: "Ich wäre froh, wenn ich das sagen könnte." Erkenntnisse und Entwicklungen lösen sich in atemberaubendem Tempo ab, sodass das "Wohin" eine vage Vorstellung bleibt. Anders hingegen das "Wie". Das "Internet der Dinge" hat sich als Wegbereiter herauskristallisiert. Zwar hake es hier und da noch, sagte Dehé, aber es gebe genug Ideen, Produkte dank "eingebauter Intelligenz" noch schlauer zu machen. Innovationen seien jedoch kein Selbstzweck, ergänzte TechnologyMountains-Vorstandsvorsitzender Harald Stallforth. Letztlich gehe es um die Umsetzung auf dem Markt. Um neue Geschäftsfelder.

Was diese Wertschöpfungspotenziale angeht, kann die produzierende Industrie einiges aus den Gewohnheiten privater Verbraucher lernen: Rolf Birkhofer von der Endress+Hauser Process Solutions sprach in einem der Eröffnungsvorträge über "Consumerization". Anders formuliert: von Kunden lernen. Für jeden Smartphone-Nutzer sei es heutzutage selbstverständlich, Anwendungen mobil starten zu können, Informationen in Echtzeit abzurufen und ein optisch ansprechendes Gerät in Händen zu halten.

Bedeutet: Was früher ein analoger, schlicht gestalteter Durchflussmesser war, ist heute per App ansteuerbar, mit Design-Auszeichnungen prämiert und so gestaltet, dass sich das Display je nach Einbaulage dreht. Also ganz im Sinne der Generation Y, so Birkhofer, die mit dieser Technologie groß geworden sei. Und die Generation Z stehe schon in den Startlöchern: "Was diese einmal von der Industrie verlangen wird, kann ich mir noch gar nicht vorstellen."

Vielleicht werden es die biegsamen, nahezu transparenten Folien sein, auf die sich bereits Tastaturen, Heizelemente und Leuchten drucken lassen. Oder Mikrosysteme, die, wie eine Tablette eingenommen, Vitaldaten aus dem menschlichen Körper funken werden. Klar wurde jedenfalls: Sensoren agieren immer mehr als selbstständige und mitteilungsfreudige Individuen. Nicht selten reden sie noch aneinander vorbei. Bei der Maschinenkommunikation herrsche derzeit ein babylonisches Sprachengewirr, machte Axel Sikora von Hahn-Schickard deutlich. Daher bestehe eine wesentliche Aufgabe darin, einheitliche Protokolle beziehungsweise passende Übersetzer zu finden, um die Daten richtig verstehen und interpretieren zu können.

Übertragen auf die Gesellschaft und Industrie und Gänze: Das Innovation Forum nahm für die Teilnehmer eben diese Rolle eines "Übersetzers" ein, Trends zu erkennen, die zugrundeliegenden Technologien zu verstehen und für sich zu nutzen. Auch wenn letztlich noch unklar ist, wohin die Reise genau gehen wird.

2 "Da kommt was auf uns zu!"

Das 9. Innovations-Forum Medizintechnik: Die Zukunft der Branche liegt in der Vernetzung.

Foto: TechnologyMountains/Michael Kienzler

"Disruptiv": In der Medizintechnik sorgt der Begriff für gemischte Gefühle. Einerseits verschärfen abrupte Entwicklungssprünge vorhandene Probleme, andererseits eröffnen sie Zukunftschancen. Was also tun: Besser abwarten oder gleich mitziehen? Ein Stimmungsbild zeichnete das 9. Innovations-Forum Medizintechnik von Technology Mountains, Medical Mountains und der Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwarzwald-Baar-Heuberg in Tuttlingen.

"Ob eine Entwicklung disruptiv ist, weiß man meistens erst hinterher", brachte es der Technology-Mountains-Vorstandsvorsitzende Dr. Harald Stallforth beim Eröffnungstalk auf den Punkt. Die von Medical-Mountains-Vorstand Yvonne Glienke moderierte Runde warf Schlaglichter auf das Innovationsklima in der Medizintechnik. Sorgen bereiten Prof. Dr. Roland Zengerle, Institutsleiter der Hahn-Schickard-Gesellschaft für angewandte Forschung e.V., vor allem kleine und mittlere Unternehmen.

Einen Grund für deren abnehmende Innovationsfreude benannte der Hauptgeschäftsführer der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg, Thomas Albiez: die Bürokratie. Er forderte, Marktwirtschaft und Verbraucherschutz wieder in Einklang zu bringen. Sonst, ergänzte Zengerle, "ersticken kleine Unternehmen an den Regulierungen". Auf innovationsfördernde Rahmenbedingungen ging Landrat Stefan Bär ein. Der Landkreis Tuttlingen verstehe sich als "Dienstleister für die Branche", indem etwa der Glasfaserausbau vorangetrieben und der Hochschulcampus Tuttlingen etabliert worden sei.

Dass nach wie vor faszinierend Neues entsteht, zeigte Prof. Dr. Axel Haverich von der Medizinischen Hochschule Hannover am Beispiel der Chirurgie. Stammzellen, die zu einem Herzmuskelersatz heranwachsen; der gezielte Einsatz von Viren gegen resistente Bakterien: Wo herkömmliche Therapien versagen, werden mutig alternative Wege beschritten. Ob sie jedoch jemals im klinischen Alltag ankommen, sah Haverich skeptisch - zumindest aktuell in Europa: "Das wäre ein Abenteuer ohne Ende, in ein Zulassungsverfahren zu gehen."

Weitaus einfacher hatten es da die Ideen von Dr. Klaus Steinmeyer-Bauer. Der Prokurist bei Vamed Deutschland schilderte unter anderem, wie die Intensivstation der Zukunft aussehen könnte: Technik im Hintergrund, der Mensch im Fokus. "Agieren Sie", riet Steinmeyer-Bauer, "und schauen Sie sich ab und zu um: Was hat meine Innovation mit dem Patienten gemacht?"

Die Quintessenz der Eröffnung formulierte Roland Zengerle so: "Da kommt einiges auf uns zu. Versuchen wir's zu gestalten." Durch die Auseinandersetzung mit der Digitalisierung, interdisziplinäres Denken und engmaschige Netzwerke - drei Tipps, die bei dem Innovation Forum von mehr als 300 Teilnehmern verinnerlicht wurden. Sie setzten sich mit den Möglichkeiten additiver Fertigungsverfahren und des 3D-Drucks, digitalen Werkzeugen, neuartigen Oberflächen und Materialien auseinander.

Ebenfalls anwesend: Delegationen aus Finnland, den Niederlanden und den USA. Sie waren bereits am Vorabend beim "iNNOVATION Warm-up!" zu Gast gewesen. "Das war großartig, um Leute kennenzulernen", sagte Petri Karinen von Business Oulu in Finnland. Ähnlich sah es Robert Garnett von der Firma Anthem, Nashville: "Wir nehmen viele gute Ideen mit nach Hause." Er hoffe auf eine weitere Vertiefung der transatlantischen Kontakte - wie auch Eric G. Beier, Firma Matrix Bio in Indiana: "Schließlich haben wir mit ähnlichen Herausforderungen zu kämpfen."

3 Das Ziel: künstliches Gewebe drucken

Das Kunststoff Institut Südwest arbeitet an einem innovativen 3D-Druck-Forschungsprojekt mit. Zudem haben die Spezialisten ein neues Werkzeug in Betrieb genommen.

Foto: PR/Preuß

Das Kunststoff Institut Südwest (KISW) in Villingen-Schwenningen baut sein Netzwerk kontinuierlich aus: Aktuell bringen die Spezialisten ihr Wissen in ein Forschungsprojekt zum 3-D-Druck künstlichen Gewebes ein, das von der in Freiburg ansässigen Clusterinitiative mircoTEC initiiert wurde. Gleichzeitig wird das eigene Technikum des TechnologyMountains-Mitglieds stetig aufgewertet. Jetzt erfolgte die Inbetriebnahme eines neuen Mess-Mikroskops.

Mit der Teilnahme an dem Forschungsprojekt betritt das KISW Neuland, "denn bislang sind wir als Technologieförderer in Zusammenarbeit mit Unternehmen vor allem in industriellen Verbundprojekten aktiv" erläutert KISW-Projektmanager Oliver Keßling. Nun geht es um das digitale Drucken (3D-Bio-Printing) zur Erzeugung künstlicher Gewebe für die Forschung in den Lebenswissenschaften sowie für Anwendungen in der regenerativen Medizin.

Das KISW bringt seine tiefen Kenntnisse und Erfahrungen aus der industriellen Kunststoff-und der 3D-Technologie in das zukunftsweisende Forschungsprojekt ein. Keßling weiß: "Die Fertigungsmethoden für die Erstellung von künstlichem Gewebe sind sehr komplex, da eine Vielfalt von lebenden Zellen in Kombination mit verschiedenen Biomaterialien durch eine Vielzahl an Verarbeitungs- und Druckverfahren erstellt werden muss." An dieser Stelle wird das KISW das Wissen um Produktionstechniken und -verfahren sowie die passenden Materialien für Stützstrukturen einbringen. Vorhandene Strategien und Technologien aus dem Umfeld des industriellen 3D-Drucks werden durch die Unterstützung des KISW in das Projekt einfließen.

Denn Ziel ist es, Ergebnisse möglichst zeitnah zu erreichen und so Unternehmen aus der Region neue Marktpotenziale zu erschließen. "Gleichzeitig werden wir zahlreiche interessante Einblicke in den Stand, die Methoden, Technologien und Vorgehensweisen der Bio-Forschung erhalten, die in der Rückkopplung der Institutsarbeit für die Unternehmen in den Verbundprojekten auch hilfreich sein können", so Keßling. Beteiligte Partner sind neben dem Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK) der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, dem NMI Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut an der Universität Tübingen und dem Universitäts-Klinikum Freiburg führende Biotech-Unternehmen aus dem Land.

Ein wichtiger Meilenstein beim Ausbau des KISW ist die Anschaffung eines hochpräzisen Mess-Mikroskops. Dies erlaubt es ab sofort, eine Reihe wichtiger und aussagekräftiger Messungen schnell und unkompliziert vor Ort vornehmen zu können. "Nicht nur in Hinsicht auf laufende Verbundprojekte bedeutet dies einen ganz erheblichen Mehrwert, sondern auch für die Industrie-Unternehmen vor Ort" betont KISW-Projektmanager Keßling. Das Messmikroskop ist für die optische 3D Oberflächenmesstechnik zur Qualitätssicherung in Labor und Produktion ausgelegt, wobei im KISW ein Fokus auf die Form- und Rauheitsmessung von komplexen Oberflächen miniaturisierter Bauteile liegt.

Mit nur einem System kann sowohl die Form als auch die Rauheit von Bauteilen flächenhaft gemessen werden. In den konkreten derzeit laufenden Verbundprojekten wird das Gerät bereits eingesetzt. Das Kunststoff Institut bietet den Unternehmen der Region Messungen im Rahmen von Dienstleistungsaufträgen an.

4 Potenzial kann sich sehen lassen

TechnologyMountains erstmals bei der Messe Motek mit Gemeinschaftsstand vertreten.

Foto: PR

Unterstützung, Kooperation, Vermarktung: Diesen Dreiklang an Leistungen bietet TechnologyMountains seinen Mitgliedern an, und besonderen Wiederhall erfährt er in Form von Gemeinschaftsmesseständen - vom 9. bis 12. Oktober 2017 erstmals auch bei der Motek in Stuttgart.

Die Fachmesse Motek zählt zu den führenden Veranstaltungen in den Bereichen Produktions- und Montageautomatisierung sowie Zuführtechnik und Materialfluss, Handhabungstechnik und Industrial Handling. Nun ist TechnologyMountains auch hier vertreten. Mitaussteller sind die Industrie- und Handelskammer Schwarzwald-Baar-Heuberg, die Gefeg Neckar Antriebssysteme GmbH aus Gosheim und Kubik Automation GmbH aus Baienfurt. Die Firma Gefeg Neckar Antriebssysteme entwickelt und produziert Elektromotoren und ist gefragter Partner für Antriebssysteme, beispielsweise bei fahrerlosen Transportsystemen. Kubik Automation hat sich in den Bereichen Automation und Sondermaschinenbau auf die Entwicklung innovativer Produkte und die Optimierung von Produktionsprozessen spezialisiert.

"In Gemeinschaftsständen kristallisiert sich der Leitgedanke von TechnologyMountains, dass im Verbund gelingt, was für Einzelkämpfer nur sehr schwer oder gar nicht machbar wäre", erinnert Geschäftsführer Thomas Wolf. Und es lohne sich allemal, auf Messen vertreten zu sein. "Unsere Mitglieder verfügen über enormes Potenzial. Ich freue ich mich über jeden, der seine fortschrittlichen Technologien einem internationalem Publikum präsentieren kann."

TechnologyMountains ist bei der Motek in Halle 6, Stand 6214 zu finden.

5 Zerspanungsindustrie vor Strukturwechsel

Mehr als 200 internationale Fachbesucher bei Innovationsforum in Tuttlingen.

Foto: PR/Michael Kienzler

Das 2. Innovationsforum für Zerspanungstechnologie in Tuttlingen stand im Zeichen von Industrie 4.0, optimierten Bearbeitungsstrategien - sowie eines tiefgreifenden Strukturwechsels: Viele regionale Unternehmen beliefern die Automobilindustrie, und da diese sich in Richtung E-Mobilität bewegt, kommen auf die Zerspaner einige Veränderungen zu.

Mehr als 200 Fachbesucher aus Deutschland und der Schweiz folgten der Einladung des Technologieverbundes TechnologyMountains und der Industrie- und Handelskammer Schwarzwald-Baar-Heuberg in die Tuttlinger Stadthalle. Unternehmer, Entwicklungsleiter und Entscheidungsträger aus der Industrie nutzten die Möglichkeit, sich direkt mit Vertretern aus Forschung und Entwicklung auszutauschen und zu vernetzen und fit für die Zukunft zu machen.

In der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg gebe es eine hohe Konzentration von Betrieben in der Zerspanungstechnologie, so Bahman Azarhoushang, Leiter des Kompetenzzentrums für Spanende Fertigung (KSF) der Hochschule Furtwangen University und Partner der Technology Mountains in seiner Begrüßung. Man müsse frühzeitig neue Herausforderungen erkennen und entsprechend handeln, an neuen Entwicklungen teilhaben und sie prägen. Neben ständig steigenden Anforderungen an die Werkstückqualitäten sowie weiter- und neuentwickelten Werkstoffen sieht er Digitalisierung, Flexibilisierung, Individualisierung und energie- und ressourceneffiziente Fertigung als wichtige Ziele. Das Innovationsforum solle dabei helfen für diese Herausforderungen die notwendigen Netzwerke und einen Know-how-Transfer zu schaffen.

Ein Großteil der Zerspanungsbetriebe beliefert die Automobilindustrie. Hinsichtlich der Pläne einer klimaneutralen Mobilität in der Zukunft forderte Thomas Albiez, Hauptgeschäftsführer der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg, die Politik solle die Diskussion mit den Experten führen. "Wir brauchen eine marktliche Evolution, keine politische Revolution", so Albiez. "Sonst läuft man Gefahr, ideologiegetrieben in die falsche Richtung gehen."

Der erste Vorsitzende des Branchenverbands Clusterinitiative Zerspanungstechnik Ingo Hell sagt einen Strukturwechsel für die Branche vorher. Man müsse versuchen, die Fragen im Cluster zu beantworten. "Ganze Prozesse werden sich verändern, die Digitalisierung hält Einzug." Gemeinsam könne man Veränderungen mitgestalten und beeinflussen.

Harald Stallforth, Vorstandsvorsitzender von TechnologyMountains, richtete den Blick auf die Medizintechnik, die zu etwa 75 Prozent eine spanabhebende Fertigung habe. "Zerspanung ist eine Querschnittstechnologie", weil sie in vielen Branchen Anwendung findet. Sie sorge bereits im vorwettbewerblichen Bereich für verbesserte Strategien in der eigenen Produktion.

Konrad Wegener vom Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigung veranschaulichte in seiner Keynote "Zerspanung unter Industrie 4.0" die immensen Veränderungen für Zerspaner in der Logistik. Es ist nicht damit getan, zwei Roboter zu kaufen. "Industrie 4.0 ist die konsequente Umsetzung der technischen Möglichkeiten des Internets." Und wie funktioniert Industrie 4.0? Schon im Planungsprozess eines Produktes, bekommt dieses einen Cyber-Zwilling, um sämtliche Prozesse von der Entwicklung über Lagerhaltung bis hin zu Verkauf und Logistik simulieren. Mit der "augmented reality", der computergestützten Erweiterung der Realitätswahrnehmung, kann man sofort sehen, wo in der Fertigungskette eine Störung vorliegt. "Die Menschen bekommen einen sechsten und einen siebten Sinn." Der Ablauf wird vom Tablet oder Smartphone aus gesteuert. Die Mitarbeiter der Zukunft seien "cyberphysikalische Individuen", so Wegener: Industrie 4.0 verwischt die Grenzen zwischen Disziplinen und Domänen, zwischen Technologie und Geschäftsmodellen.

Wie man mit einer Kombination von Simulation und Experiment die Eigenschaften der Bauteiloberfläche und somit des gesamten Bauteils günstig beeinflusst werden kann, erläuterte Volker Schulze in seiner Keynote. Bahman Azarhoushang zeigte eine neue Methode, wie eine laserunterstützte Zerspanung die Prozesskräfte und den Werkzeugverschleiß deutlich reduzieren kann und dabei gleichzeitig die bisherigen Einschränkungen überwindet. 

6 Funktion und Design gehen Hand in Hand

Mountains-Tour im Rahmen der Industriewoche Baden-Württemberg 2017: Einblick in innovative Produktion der Wiha Werkzeuge in Schonach.

Foto: PR

Unternehmen, die sich vernetzen, sind erfolgreicher als Einzelkämpfer. Daher zählt es für TechnologyMountains zu den zentralen Anliegen, den Austausch der Mitglieder untereinander über alle Branchen- und Technologiegrenzen hinweg zu befördern. Mit der Mountains-Tour wird genau das erreicht: Experten geben Einblick in ihre Expertise, Unternehmen in ihr Schaffen und hinterher kann genetzwerkt werden.

Für die Teilnehmer der Mountains-Tour öffnete die Wiha Werkzeuge in Schonach im Rahmen der vom Wirtschaftsministerium initiierten Industriewoche Baden-Württemberg 2017 einen exklusiven Unternehmenseinblick. Wiha ist einer der weltweit führenden Hersteller von Handwerkzeugen für Industrie und Handwerk. Zahlreiche Auszeichnungen belegen den Innovationsgeist und natürlich den Anspruch an Qualität, Funktion und Design. Das 1939 gegründete Familienunternehmen erhielt 2015 als erster Handwerkzeughersteller weltweit das international anerkannte AGR Siegel, das die gesundheitsschonende Wirksamkeit der Schraubendreher- und Zangen-Griff-Ergonomie bestätigt.

Die Teilnehmer erhielten im Rahmen der Werksführung durch die Kunststofffertigung sowie das Fertigwarenlager Einblicke in das Themenfeld der Kanbansteuerung - was anderenorts noch diskutiert wird, ist bei Wiha schon Realität. Als besonders erfolgreich stellte sich die Einführung des Kanban-Systems heraus. Unter dem Begriff versteht man eine Produktionssteuerung, die sich am tatsächlichen Warenbedarf orientiert. Für die einzelnen Produktionsschritte werden immer nur genau so viele Materialien zur Verfügung gestellt wie nötig. Bei Wiha funktioniert das mittels sogenannter Kanban-Karten. Ist beispielsweise der Vorrat an einer bestimmten Schraubenart aufgebraucht, legt der Mitarbeiter eine Karte an eine zentrale Tafel. Dadurch ist für alle ersichtlich, dass entsprechende Teile aufgefüllt werden müssen. Das minimiert die Vorratshaltung und senkt die Lagerkosten.

Die gesammelten Eindrücke und Informationen sorgten für viel Gesprächsstoff beim abschließenden Get-together im Wiha Outlet Shop, in dem die Teilnehmer das Sortiment von über 3.500 Artikeln - unter anderem Schraubendreher, Drehmomentwerkzeuge, Stiftschlüssel, Bits, Schonhämmer, Zangen, Messwerkzeuge und Gelenkschläuche - testen und auch direkt erwerben konnten.

7 "Think big" – auch in Sachen Medizintechnik

Eine Delegationsreise von MedicalMountains sammelt neue Kontakte und Erfahrungen im Mittleren Westen der USA.

Foto: PR

Als eine von drei ausgewählten Clusterinitiativen hat die MedicalMountains AG die deutsche Medizintechnik in den USA repräsentiert: Im Rahmen der "Transatlantic Cluster Roadshow" konnten im Mittleren Westen bestehende Kontakte vertieft und weitere erfolgversprechende Verbindungen geknüpft werden - stets begleitet von dem uramerikanischen Leitgedanken "think big".

Die einwöchige Delegationsreise war unter Federführung der Deutsch-Amerikanischen Handelskammer im Mittleren Westen und im Rahmen der "Transatlantic Cluster Initiative" organisiert worden. Schwerpunkte lagen auf personalisierter Gesundheitsversorgung, Digitalisierung und internationaler Zusammenarbeit. Dementsprechend wurde das eng getaktete Programm für die Vertreter der MedicalMountains, des Landeszentrums Gesundheit Nordrhein-Westfalen und von Medical Valley Nürnberg gestaltet.

Ein "Heimspiel" erwartete die Tuttlinger Abordnung in Minneapolis. Die dortige Clusterorganisation "Greater MSP" ist bestens bekannt, bringt sie ihre Kompetenzen auf dem Feld der Additiven Fertigung doch in das aktuell laufende Projekt "MInD - Medical Technology International and Digital" ein. "Neuland" war hingegen Nashville, Tennessee. Hier interessierte, da im Zuge der Digitalisierung stets über Standards gesprochen wird, die deutsche Abordnung vor allem das Center für medizinische Interoperabilität. Hinter dem sperrigen Begriff verbirgt sich einer der größten Innovationshemmer weltweit: die noch immer nicht zufriedenstellend gelöste Frage, wie ein reibungsloser Datentransfer zwischen verschiedenen medizinischen Systemen und Technologien erfolgen kann.

Als letzter Ort der "Roadshow" wurde Fort Wayne angesteuert. Im Nordosten des Bundesstaats Indiana ist das "Weltzentrum der Orthopädie" zu Hause; in der Region ansässige Unternehmen kontrollieren rund ein Drittel des internationalen Orthopädietechnikmarkts. Dass in den USA stets ein bisschen größer gedacht wird, war unter anderem am Parkview Mirro Research Center abzulesen. In dem dortigen Testlabor können neue Behandlungsmethoden in einer voll ausgestatteten Klinikumgebung erprobt werden - an hochmodernen Dummys, die auf verschiedene Szenarien programmiert werden können und nicht nur lebensecht auf Eingriffe reagieren, sondern auch Fragen beantworten. Das Multimillionenprojekt ist allein durch private Stiftungsgelder finanziert worden.

Neben den offiziellen Besuchsterminen füllten Podiumsdiskussionen und bilaterale Gespräche die Agenda. MedicalMountains-Vorstand Yvonne Glienke bilanziert: "Wir haben die Kooperation mit den MInD-Partnern in Minnesota weiter vertieft und viele neue Erkenntnisse gewonnen, die unserem Cluster zugutekommen können." Die angenehmste Überraschung seien die Erfahrungen in Tennessee und Indiana gewesen. Gut möglich also, dass sich das Netzwerk von MedicalMountains künftig noch weiter über den flachen Mittleren Westen erheben wird.

8 "Enorme Auswirkungen"

Die Medizinprodukteverordnung steht kurz vor der Novellierung. MedicalMountains-Chefin Yvonne Glienke befürchtet im TeMo-Interview das Aus für kleine Firmen und die Innovationskraft.

Foto: Michael Kienzler für econo/TeMo

Seit Monaten sorgt die Novellierung der Medizinprodukteverordnung (MPV) aus europäischer Ebene für Unruhe, gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen. Wie ist der Stand des Verfahrens?

Yvonne Glienke: Ende Mai gab es einen Kompromiss im Trilog-Verfahren des Europaparlaments. Im September soll die Annahme durch den Rat für Beschäftigung, Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz folgen. Die erste Lesung im Europäischen Rat ist für den späten Herbst 2016 geplant. Die zweite Lesung im Europäischen Parlament folgt im Dezember 2016. Abschließend soll die Verordnung im Amtsblatt der Europäischen Union bis Anfang 2017 veröffentlicht werden. Das Inkrafttreten der neuen europäischen MPV erfolgt mit einer dreijährigen Übergangsfrist.

Ein elementarer Kritikpunkt am zunächst vorgelegten Entwurf war die fehlende Unterscheidung bei den Medizinprodukten durch eine mögliche neue Einstufung von tausenden Medizinprodukten - eine Pinzette oder ein Pflaster sollten damit den gleichen Anforderungen unterliegen wie ein Herzschrittmacher. Ist das so beibehalten worden?

Glienke: Instrumente, die bisher in der Klasse I und damit der geringsten Risikostufe eingestuft waren, bleiben auch zukünftig in Klasse I. Instrumente, die bisher in Klasse III und damit der höchsten Risikostufe waren, sind auch zukünftig in Klasse III (Beispiel: Hirnspatel). Allerdings werden die Anforderungen, speziell für Klasse III, nochmals viel höher als bisher. Außerdem wird eine zusätzliche Kontroll-Instanz geschaffen, die solche Produkte prüft. Die Unternehmen sind bereits im Vorfeld der Novellierung stärkeren Kontrollen unterzogen worden, auch unangekündigten.

Ergeben sich daraus bereits negative Auswirkungen?

Glienke: Die unangekündigten Audits finden statt, ohne dass es einer neuen Verordnung bedarf. Nach unseren Umfragen wurden bereits mehr als ein Drittel der Unternehmen unangekündigt auditiert. Im Durchschnitt entstanden hierfür 4900 Euro Kosten für das Audit plus durchschnittlich 3500 Euro interne Kosten. Diese Kosten müssen die Unternehmen alleine tragen und können dies nicht auf Ihre Produkte umlegen. Damit fehlen gerade in kleinen Unternehmen wichtige Finanzmittel für Innovationen, Entwicklungs-Projekte und andere Investitionen. Übrigens: Für reguläre Audits sind die Kosten seit 2014 durchschnittlich um 44 Prozent gestiegen. Dieser Trend bestätigen nahezu alle Unternehmen. Zudem haben sich die Zeiten für ein Überwachungsaudit im Schnitt um sechs Stunden, bei einem Rezertifizierungsaudit um gut zehn Stunden verlängert.

Eine wichtige Forderung von Seiten der Unternehmen an die Novellierung lautete, europaweit einheitliche und kontrollierte Standards zu setzen. Damit sollten für alle Firmen von Portugal bis Finnland gleiche Anforderungen gelten. Ist das gelungen?

Glienke: Theoretisch ja. Die Umsetzung wird es zeigen. Bereits in der Vergangenheit waren die Standard eigentlich einheitlich, allerdings wurde die Umsetzung in Deutschland strenger gehandhabt. Da die Überwachung der benannten Stellen europaweit jetzt strenger wird, werden voraussichtlich auch die Standards europaweit einheitlicher umgesetzt. Die benannten Stellen in Deutschland prüfen bereits heute im voreilenden Gehorsam verschärft. Die Regierungspräsidien prüfen ebenfalls verschärft und zwar vor allem die Produkte, die auch bereits durch die Benannten Stellen geprüft wurden. Man hat den Eindruck, dass hier eine Stelle die andere prüft und übertreffen will, auf dem Rücken der ganzen Branche. Dies sind die Besonderheiten in Deutschland.

Durch steigende Anforderungen bei der Zulassung von Produkten wurde ein Ausbremsen von Innovationen befürchtet. Wie ist hier der Stand?

Glienke: Die Auswirkungen des gestiegenen Dokumentationsaufwandes auf die Innovationskraft sind bereits jetzt enorm. Der Aufwand ist oftmals unverhältnismäßig gegenüber dem Ertrag. Nach unserer Umfrage haben bereits 74 Prozent der Unternehmen ihr Produktportfolio reduziert oder wird es in naher Zukunft tun. Zwei Drittel der Unternehmen wird davon abgehalten neue Produkte auf den Markt zu bringen und 58 Prozent der Unternehmen haben ihre Aktivitäten im F&E-Bereich bereits heute schon deutlich eingeschränkt. Unternehmen stellen die Entwicklung aufwändiger innovativer Produkte zurück oder konzentrieren sich komplett auf Standardprodukte. Nischenprodukte werden gar nicht mehr entwickelt oder werden vom Markt genommen, weil es sich nicht lohnt. Dadurch geht der Region für die Zukunft eine komplette Innovationskultur verloren, denn gerade die kleinen und mittleren Unternehmen waren und sind noch als Tüftler und Innovationsschmieden bekannt. Durch die erhöhten regulatorischen Anforderungen werden diese Innovationstreiber verschwinden. Die neue Verordnung wird dies nochmal verschärfen.

Es wurde argumentiert, dass die Novellierung tausende Arbeitsplätze kosten würde. Wie schätzen Sie das aktuell ein?

Glienke: Aktuell lässt sich hier keine Einschätzung machen. Im ersten Schritt werden vermutlich viele Arbeitsplätze im Bereich QM und RA entstehen, um überhaupt diese hohen Anforderungen zu bewältigen. 62 Prozent der Unternehmen geben an, zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben mehr Personal zu benötigen. Hier entsteht eine Verschiebung beziehungsweise Reduzierung der Wertschöpfung. Dann kommt es zu einem erheblichen Fachkräftemangel. Langfristig ist zu befürchten, dass nicht alle Unternehmen - besonders die kleinen - es schaffen die hohen Anforderungen mit den verbundenen Mehrkosten zu meistern. Besonders Entwicklungen von neuen Produkten oder Nischenprodukte werden reduziert oder gar vom Markt verschwinden, und mit Ihnen die Unternehmen. Die verschärften Vorschriften werden definitiv zu einer Marktbereinigung führen, weil die Zulassungsaufwendungen für Nischenprodukte nicht mehr wirtschaftlich darstellbar sein werden.

An diesem Punkt kann keine Entwarnung gegeben werden?

Glienke: Ein klares Jein. Die Anforderungen werden höher. Wer bereits heute gut aufgestellt ist, kann die zusätzlichen Hürden gut schaffen. Allerdings ist es definitiv so, dass Kontrollen und der zeitliche Aufwand steigen werden und bei kleinen Unternehmen die Last auf weniger Schultern verteilt werden muss. Die Zulassungshürden für Implantate und Klasse III Produkte werden sehr viel höher und die Dauer bis ein solches Produkt zugelassen wird, wird sich verlängern. Bereits heute haben 28 Prozent der Unternehmen angeben, dass sie Umsatzeinbußen hatten, weil der Zulassungsprozess sich verlängert hat. Wie sich dies mit der neuen Verordnung weiterentwickelt werden wir sehen.

Fazit: Bei der Novellierung konnten die heftigsten Verschärfungen abgewendet werden?

Glienke: Die heftigsten Verschärfung für Klasse I Produkte konnten abgewendet werden. Allerdings wird auch bei diesen Produkten schärfer kontrolliert. Für höher klassifizierte Produkte wird es einige Änderungen geben, die nicht einfach sein werden zu bewältigen.

9 "Innovationen werden ausgebremst"

Die Novellierung der Medizinprodukteverordnung bleibt umstritten. Für "TeMo – Das Technologiemagazin für den Südwesten" diskutieren Yvonne Glienke, Andreas Schwab und Sven Lazic über falsche Denkansätze und den Patientenschutz.

Foto: Michael Kienzler für econo/TeMo

Die Pläne zur Novellierung der Medizinprodukteverordnung auf EU-Ebene haben vor knapp zwei Jahren für Aufregung unter den Unternehmern gesorgt. Auch die Clusterinitiative MedicalMountains hat eindringlich vor den Folgen der überar­beiteten Regeln gewarnt. Wie ist der aktuelle Stand, Frau Glienke?

Yvonne Glienke: Wir haben uns Anfang 2013 mit einem umfangreichen Papier mit klaren Hinweisen und Lösungsvorschlä­gen in die Diskussion eingebracht. Gut die Hälfte unserer Einwände fanden auch Gehör. Derzeit läuft das parlamentarische Verfahren aber noch.
Andreas Schwab: Es gibt derzeit eine Zwischenlösung, mit der aber niemand zufrieden ist. Deshalb werden wir voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte in einen Trilog mit der EU-Kommission treten, um das weitere Vorgehen abzustimmen.

Wie bewerten Sie als Unternehmer die Entwicklung von den ersten Entwürfen der Novellierung zu dem, was aktuell auf dem Tisch liegt, Herr Lazic?

Sven Lazic: Es hätte uns wirtschaftlich stark getroffen, wenn die ersten Ansätze so umgesetzt worden wären. Da wir auch Medizinprodukte der Klasse III herstellen, wären die umzusetzenden Auflagen nicht mehr wirtschaftlich darstellbar gewesen.
Schwab: Wenn ich Sie recht verstehe, haben die bisherigen im parlamentarischen Verfahren eingebrachten Veränderungen aus Ihrer Sicht Verbesserungen ergeben?
Lazic: Auf jeden Fall. Allerdings sind noch nicht alle groben Schnitzer abgearbeitet. Einer da­von hätte extreme Auswirkungen auf unsere Region: Demnach sollen eine Vielzahl einfacher Instrumente in die Klasse IIa hochgestuft werden und damit ohne einen erkennbaren Nutzen für den Patienten den schärferen Anforderungen unterliegen. Das würde für Tuttlingen enorme Aus­wirkungen haben.
Schwab: Diese Gefahr sehe ich auch. Deshalb haben wir uns in den Verhandlungen bemüht, diesen Punkt zu verändern. Leider ist das an der Mehrheit der anderen Fraktionen gescheitert. Aber wir haben aktuell Gespräche geführt, um doch noch zu einer Verbesserung zu gelangen.

Gehen wir noch mal einen Schritt zurück: Auslöser für die Novellierungspläne war der Skandal um die verunreinigten Brustimplantate in Frankreich. Hat der Patientenschutz nicht Vorrang?

Lazic: Wir verschließen uns auf keinen Fall dem Patientenschutz. Kein Unternehmer will ein schadhaftes Produkt abliefern. Das kann sich niemand leisten. Aber es braucht in der Gesetzgebung Augenmaß.
Schwab: Natürlich, der Patientenschutz hat oberste Priorität. Doch selbst die beste Gesetzgebung kann kriminelle Energie nicht verhindern. Allerdings: Wenn es uns in Europa gelingen würde, die einheitlichen Richt­linien auch tatsächlich in allen Mitgliedsstaaten zu kontrollieren, dann wären die Auflagen für alle Unternehmen gleich. Das wäre dann ein Vorteil für die Patienten, aber auch für die hiesigen Firmen.
Glienke: Das ist richtig. Das generelle Problem der neuen Verordnung ist aber, dass Implan­tate mit Instrumenten gleichgesetzt werden. Eine Pinzette soll den gleichen Anforderungen unterliegen wie ein Herzschrittmacher, das geht nicht.
?Lazic: Diese Unterscheidung ist wichtig. In Tuttlingen beschäftigen sich die Unternehmen zu 70 Prozent mit chirurgischen Instrumenten, also dem Handwerkszeug der Ärzte. Deshalb würde beispielsweise die geplante Höherstufung in der Klassifizierung zu großen Verwerfungen führen. Das grundlegende Problem ist aber: Mit der Novellierung sollen Tausende Medizinprodukte, vom Pflaster bis zur Herz-Lungen-Maschine, mal eben über einen Kamm geschoren werden. Das kann nicht funktionieren! Wir haben das selbst vor vier Jahren erlebt, als eines unserer Hirninstrumente höhergestuft wurde - ein schlichter Taster oh­ne Funktion ist damit in derselben Kategorie wie ein Herzschrittmacher. Das ist nicht nachvollziehbar.
Schwab: Es macht natürlich wenig Sinn, Instrumente und Implantate über einen Kamm zu scheren. Aber es ist eben auch so, dass neue Regeln neue Sicherheit bringen sollen. Da ist die Gefahr groß, dass man über das Ziel hinausschießt. Dabei muss man aber auch weiterhin Innovationen ermöglichen, die den Patienten nützen.

Sie hören sich an wie ein Interessensvertreter der regionalen Wirtschaft?...


Schwab: Das ist an sich nichts Schlechtes! Es geht mir um das angesprochene Augenmaß der Politik. Mit einem Gene­ralverdacht gegen die Hersteller erhöhen wir den Patientenschutz nicht real, aber wir treiben die Kosten für das Gesundheitswesen in die Höhe. Das kann nicht das Ziel der Politik sein.
Lazic: Ich verstehe, dass sich ein Parlamentarier aufgrund der Arbeitsbelastung nicht so tief in die Thematik einarbeiten kann wie wir Betroffenen. Aber es wäre fatal, wenn die neue Klassifizierung greifen würde. Wenn sich beispielsweise ein Chirurg wegen einer Verbesserung an einem In­strument bei uns meldet, werden wir dem wohl nicht gerecht werden können. Selbst wenn es sich nur um eine kleine Veränderung handelt, können wir uns den Aufwand für eine Neuzulassung dann nicht mehr leisten.
Schwab: Der Skandal um die Brustimplantate hat vielleicht we­niger das Problembewusstsein geschaffen. Dafür haben die Aufklärung und die Diskussion im Nachgang gezeigt, dass das aktuelle System nicht in allen Bereichen hundertprozentig sicher ist. Deshalb befürworte ich beispielsweise unangekündigte Kontrollen bei den Unternehmen.
Glienke: Da haben wir uns auch nicht gegen gesperrt. Allerdings sollten diese Kontrollen dann bei den regulären Audits angerechnet werden.
Lazic: Übrigens hatten wir bereits unangekündigte Kontrollen, die bislang nicht angewende­te Rechtsgrundlage wird jetzt massiv umgesetzt.
Glienke: Von solchen Kon­trollen habe ich auch erfahren. Die Unternehmen müssen diese Kosten jetzt zusätzlich schultern.

Mit welchen Kosten muss man hier rechnen?

Glienke: Ich habe Rechnungen von mehr als 6000 Euro gesehen, die zusätzlich fällig werden.
Schwab: Das hat aber nicht die Politik zu verantworten. Hier sind die entsprechenden Stellen selbst aktiv geworden. Die Unternehmen könnten diese Kontrollen theoretisch auch ablehnen, weil sie noch keine Grundlage haben.
Glienke: Das stimmt nicht ganz. Es gab eine Empfehlung von der EU-Kommission, die von den deutschen Stellen allerdings sehr schnell umgesetzt wurde. Diese Geschwindigkeit in der Umsetzung ist ganz sicher EU-weit nicht gleich! Und eine Ablehnung der Kontrollen ist für die Unternehmen natürlich nur eine theoretische Möglichkeit.
Schwab: Das ist der Punkt, weswegen der Wechsel von einer Richtlinie zu einer Verordnung in unserem Interesse liegt: Alle Mitgliedsstaaten sind dann verpflichtet, die Einhaltung zu kontrollieren. Bislang hat man es den Ländern selbst überlassen, und das ist durchaus ausgenutzt worden, zum Nachteil für die hiesigen Unternehmen.
Glienke: Wenn europaweit einheitliche Standards gelten, ist den Unternehmen auf jeden Fall schon geholfen, aber nur mit vernünftigen Regelungen. Bei vielen der Skandale gab es in Deutschland keine Zulassung für die Produkte, in anderen Ländern schon.
Schwab: Hier sind wir uns einig, die Vereinheitlichung der Regeln und der Kontrollen ist im allgemeinen Interesse.

Welche Auswirkungen für Ihr Unternehmen hätte denn eine andere Klassifizierung konkret?

Lazic: Die technische Akte für das jeweilige Instrument wird um einiges anspruchsvoller. Die Zulassung für ein Klasse-IIa-Instrument kostet jeweils bis zu 5000 Euro für drei bis fünf Jahre. Und als Unternehmen hat man nicht nur ein Instrument, sondern Hunderte.

Kann man das umlegen?

Lazic: Wir müssten dies natürlich für die jeweiligen Produktgruppen sorgfältig abwägen. Aber wenn die neuen Zulassungskriterien wie geplant greifen würden, dann würde die Weiterentwicklung von Produkten zunehmend erschwert und für gewisse Produkte schlichtweg keinen Sinn mehr machen. Da dann für jede Entwicklung eine erneute Zulassung erfolgen müsste, wäre das meiner Ansicht nach wirtschaftlich nicht mehr darstellbar.
?Schwab: Damit bremsen wir innovative Unternehmen und den medizinischen Fortschritt aus, das kann nicht das Ansinnen der Politik sein.
Glienke: Hinzu kommt, die Medizinprodukteverordnung ist nicht das einzige Papier, das sich wandelt. Es gibt ständig Veränderungen bei Normen und Anforde­rungen. Der regulatorische Aufwand für die Unternehmen ist deshalb schon heute enorm.
Schwab: Hier liegt ein Pro­blem: Das Verwalten von Akten hilft keinem Patienten. Es braucht medizinischen Fortschritt mit sicheren Produkten zu einem vertretbaren Aufwand.
Lazic: Das stimmt. Bislang hieß es immer, die kleinen Unternehmen seien aufgrund ihrer Wendigkeit besonders innovativ. Für den normalen Mittelstand kann es durch die geplante Novellierung schwerer werden, er zahlt die Zeche.

Der Mittelstand wird gebremst, die Konzerne bevorzugt?

Lazic: Bevorzugt ist zu hart formuliert. Die Konzerne können schlicht aufgrund ihrer Strukturen mit den Anforderungen anders umgehen. Die Frage ist doch: Will man am Ende einige wenige haben, die den Markt dominieren, oder möchte man einen Wettbewerb auf dem Markt?...
Schwab: ...?der wiederum zu Innovationen führt. Aus meiner Sicht muss es diesen Wettbewerb geben. Deshalb darf es nicht zu der gesetzlich verordneten Neuzulassung bei den bereits zertifizierten Instrumenten kommen. Und bei den neuen Produkten darf der Aufwand zur Zulassung nicht exorbitant steigen.

Wird sich Ihre Sichtweise am Ende durchsetzen?

Schwab: Ich setze mich dafür ein, aber einfach wird es nicht. Denn am Ende entscheiden die 28 Gesundheitsminister sowie das EU-Parlament, und die Bereitschaft, sich in die Details einzuarbeiten, ist, wie gesagt, nicht überall gleich ausgeprägt.


Hintergrund: Die Klassen-Medizin


Die Medizintechnik zählt schon heute zu den am schärfsten regulierten Sparten. Die Produkte werden je nach Einsatz nach EU-Vorgaben klassifiziert. Aktuell gilt Folgendes:

Klasse I: u.?a. keine Risiken, kaum Hautkontakt. Produkte: Instrumente, Rollstühle, Verbände?...

Klasse IIa: u.?a. geringes Anwendungsrisiko und kurzzeitige Anwendung im Körper. Produkte: Einmalspritzen, Hörgeräte, Zahnkronen, Ultraschallgeräte?...

Klasse IIb: u.?a. erhöhtes Risiko, Langzeitanwendung. Produkte: Anästhesie- und Beatmungsgeräte, Kondome, Dentalimplantate?...

Klasse III: u.?a. hohes Gefahrenpotenzial, unmittelbare Anwendung bei Problemen des Herz-Kreislauf- und des Zentralnervensystems. Produkte: Herzkatheter, Stents, Herzschrittmacher und künstliche Hüften?...

 

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