Standpunkt
Bürger auf die Barrikaden
WVIB-Chef Christoph Münzer ist nachdenklich: Was macht uns stark? Wie bleiben wir es? Und warum gibt's keine Unternehmer in der Politik?
Die Zinsen sind historisch niedrig, der Euro ist historisch schwach, der Ölpreis historisch tief. Deutschland ist wirtschaftlich stärker denn je. Treiber ist ein starker Konsum, der aus vorgenanntem "Doping" und einem deshalb noch immer starken Export resultiert. Wir fühlen uns wohl als Musterschüler!
Schauen wir Europa und die Welt an, sind wir verwirrt. Griechenland, Spanien, Portugal und Italien stecken noch in der Krise. Krisenauslöser USA hat den Lehman-Brothers-Schock 2009 längst mit Bravour überwunden und zeigt mit explodierenden Geschäftsmodellen, wie man kraftvoll in die Zukunft wachsen kann. China hat Wachstumsschmerzen und legt vermutlich nur eine Pause auf dem Weg zur größten Industrienation der Welt ein. Deutschland ist mit seiner klassischen Struktur rundum Automobil und Maschinenbau im Schraubstock zwischen asiatischen Billigproduzenten und US-amerikanischen Innovationstreibern. "Billig" können wir aufgrund unserer Lohnstruktur nicht und Innovationen von Gründungen wie aus dem Silicon Valley kommen zu wenig.
Hinzu kommt die politische Krise Europas. England will sich zukünftig möglicherweise noch mehr vom Kontinent lösen, Schottland will nicht zu England gehören, auch in Spanien blüht der Separatismus. Seit einiger Zeit haben rechtspopulistische Parteien quer durch Europa Zulauf – von den Niederlanden über Frankreich bis zur AfD, die sich in kurzer Zeit zu einer Rechtsaußenpartei entwickelt hat. Wirtschaftspolitisch ist in Europa noch immer nicht geklärt, ob – grob skizziert – bei offenen Grenzen und einheitlichen Standards jedes Land wirtschaftlich für sich selber sorgen soll oder wir den verhängnisvollen Weg in eine Transferunion weiter verfolgen.
Belastungstest Flüchtlinge: Allein in Deutschland müssen wir nur in diesem Jahr eine Million Menschen in Gesellschaft und Arbeitsmarkt integrieren. Flüchtlinge, die aus menschenverachtenden und gewalttätigen Gesellschaften in Sicherheit und Freiheit fliehen, aber auch Wirtschafts- Migranten, die Zukunft und Wohlstand suchen.
Kein Wunder, dass bei solchen Mammut-Aufgaben immer weniger qualifizierte Persönlichkeiten in die Politik drängen. Welcher Unternehmer wollte mit Angela Merkel tauschen? In Baden-Württemberg wird am 13. März gewählt. In Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt auch. Unternehmer stehen auch bei diesen Urnengängen kaum zur Wahl. Das fehlt!
In einer chaotischen Welt hilft eine Besinnung auf das, was uns als Menschen und Gesellschaft ausmacht. Wenn wir unsere Werte pflegen, wissen wir, was wir zu tun haben. Dann können wir offen sein, weil wir einen festen Standpunkt haben. Ob Flüchtlinge, Europa, TTIP, Türkei, Bildungsreform oder Pariser Attentate: Es geht 2016 um eine moderne Rückbesinnung auf das, was wir seit 1789 unter Europa verstehen: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Oder anders: Demokratie, offene Grenzen, Marktwirtschaft, Rechtsstaat, Subsidiarität, sozialer Ausgleich und Toleranz für alle, die diese Werte ebenfalls pflegen. Das müssen wir leisten, das müssen wir von andern verlangen und dafür müssen auch wir als Bürger immer wieder auf die Barrikaden gehen.