Standpunkt

Lächerliche Grenzen


Corona, Schlagbäume und der Traum konservativer Politiker. Für econo-Chefredakteur Dirk Werner ist das bisherige Bild, das Europa in der Pandemie abgibt, ein Desaster – wegen dem die Gegener die Korken knallen lassen. Dabei wäre die Lösung einfach

Kommt ein Virus geflogen - macht schnell die Grenzen dicht! Die Wochen der Pandemie müssen für konservative Politiker ein Fest sein. Tschüss Schengen! Endlich wieder Recht und Ordnung am Rand des Staatsgebiet mitten in Europa. Dabei ist das vor allem eines: lächerlich! Nicht nur, weil ein Virus - egal wo er herkommt und wie er heißt - keine Grenzen kennt. Nicht nur, weil eine Erkrankung ganz generell eine Inkubationszeit hat, von der Infektion bis zum Ausbruch vergehen Tage, vielleicht Wochen.

Geschlossene Grenzen produzieren deshalb nur eines: passende Bilder für "die" Öffentlichkeit! Ein echtes Plus an Sicherheit bringen sie nicht.

Am Ende provoziert dieses vorschnelle Handeln sogar das Gegenteil. Dafür gibt es zwei Gründe:

# Unser grenzenloses Europa ist mehr als eine nette Dreingabe. Es ist ein gewachsenes, lebendiges Ökosystem mit ganz vielen Wurzeln und Verästelungen - und es ist weit mehr als ein reiner Wirtschaftsraum, es ist ein gemeinsamer Lebens-, Liebes- und Kulturraum. Wer Wurzeln und Äste kappt, der legt die Hand an Europa.

Klingt zu prosaisch? Die Wirklichkeit sagt etwas anderes: Im deutsch-französischen Grenzgebiet wurden Autos "von Ausländern" zerkratzt, wurden Menschen als "Corona-verseucht" verbal beschimpft und körperlich bedrängt. Derlei Berichte gibt es auch von anderen Grenzen. Und dazu die Kilometer langen Staus von Lastwagen... So schnell sind wir also wieder in Zeiten, die wir längst hinter uns gelassen glaubten! Die düster waren. Die niemand mehr wollte.

# Die gesenkten Schlagbäume kappte auch die Solidarität. In Italien und Spanien wurden Beatmungsgeräte und weiteres medizinisches Material benötigt - Deutschland und andere Länder wollten indes nicht liefern. Richtig, man wollte nicht - obwohl man es hätte können. Russland und Kuba sind dann eben "eingesprungen". Chapeau!

Das ist nicht das Bild eines "starken" Europas, wie es in diesen auf den unterschiedlichsten Ebenen unsicheren Zeiten, eigentlich gezeichnet werden sollte! All die Feinde eines geeinten und damit erfolgreichen Europas von den USA über Polen und Ungarn bis zu Russland und China lassen die Korken knallen. Garantiert!

Nicht falsch verstehen: Eine Pandemie muss bekämpft werden. Und ich bin als Teil der Risikogruppe dankbar für - fast - alle Maßnahmen, die von Seiten der Politik ergriffen wurde. Ich bin auch dankbar für die steile Lernkurve, die in - fast - allen Bereichen erreicht wird.

Angesichts der Hamsterkäufe von Klopapier in den ersten Wochen der Pandemie hätte ich nicht erleben wollen, was Auswirkungen wie in Italien, Spanien, England, Schweden, den USA... bei uns angerichtet hätten!

Aber es muss bei der Bekämpfung einer Pandemie bessere, schnellere, modernere Methoden geben, als Schlagbäume. Eine Erkenntnis aus der Wirtschaft hätte den (konservativen) Politikern helfen können: Alleine hat heute keiner mehr den Überblick, es braucht die Kenntnisse und das Wissen von Vielen, um erfolgreich zu sein. Diese "Vielen" dürfen dabei nicht nur aus der eigenen Filterblase stammen. Querdenken (nicht leugnen!) ist gefragt. Mal ganz abgesehen von digitalen "Helfern", die beim zukunftsfähigen Kampf gegen Corona und Co. eigentlich wichtige Rollen spielen sollten - nicht allein in Form des Podcasts eines Virologen.

Für die Politik muss deshalb gelten: Grenzen offen, Wissen austauschen und gemeinsam Pandemien auf allen Ebene intelligent bekämpfen. Das geht schneller und verursacht weniger wirtschaftliche Schäden. Garantiert! Und passende Bilder für "die" Öffentlichkeit lassen sich so auch produzieren. Man muss vielleicht nur ein wenig länger drüber nachdenken.

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