Dieses Büro, abseits des Alltags auf dem weitläufigen Areal der Fischerwerke gelegen, wirkt wie aus der Zeit gefallen. Das Hellbraun des Holzes, die gedeckten Farben der Polster, das Design der Tassen. Man fühlt sich versetzt in die frühen 1980er-Jahre. Der Mann aber, der einem im Polstersessel gegenübersitzt, ist trotz des hohen Alters ganz im Hier und Jetzt: Artur Fischer.
Im ersten Moment hatte der Autor bei dem Treffen vor einigen Jahren ein schales Gefühl: Abgeschoben aufs Altenteil, so kam es einem beim Gang übers Gelände, beim Umschauen im Büro in den Sinn. Doch Fischer, damals schon in den hohen 80er-Jahren seines Leben, lehrte einen anderes. Voller Elan plauderte er über seine aktuellen Ideen, seine Vorhaben. Bei den Fotoaufnahmen interessierte er sich brennend für die Ausrüstung des Fotografen Jigal Fichtner. Sein Aussehen auf dem Bild? Nebensache.
Mit dem Tod von Artur Fischer im Alter von 96 Jahren ist Ende Januar nicht nur ein uneitler Firmenlenker alter Schule gegangen. Es starb auch der Inbegriff, gleichsam ein Synonym des Erfinders und Tüftlers. Er verkörperte das Tun wie kaum ein anderer, die mehr als 5842 angemeldeten Schutzrechte samt unzähliger Würdigungen und Auszeichnungen sprechen Bände. Fischer, der Pietist, empfand es im Gespräch mit Econo als „eine Gabe, für die man sehr dankbar sein sollte“.
Eine Gabe, aus der Fischer ohne seine Mutter vielleicht hätte gar nichts machen können – der Vater war als Dorfschneider im Heimatort Tumlingen im Nordschwarzwald Pragmatiker. Die Mutter war es, die den Tatendrang des Jungen unterstützte, ihn aus Holzlatten ein Flugzeug bauen ließ, als er den Wunsch hatte: „Ich will fliegen!“ Für Artur Fischer folgten aus diesem Spiel, wie er in seinem letzten Lebensjahr in einem Interview mit dem „Spiegel“ sagte, zwei wichtige Erkenntnisse: Erstens lernte er schnell, wie es mit dem Fliegen nicht klappt. Das sei ein wichtiger Faktor: „Wissen, wie etwas nicht klappt.“ Zweitens: Man muss die Neugierde gerade bei Kindern fördern.
Dennoch war der Weg für den jungen Fischer kein leichter. Die Realschule brach er ab, auch die Schlosserlehre in Stuttgart brachte ihm keine Freude. Er wollte hinschmeißen. Mit väterlich-liebevoller Strenge machte ihm indes sein Vater klar: Das sei keine gute Idee. Fischer: „Von da an habe ich gewusst: Es gibt keine Kapitulation. Ich muss.“ Für einen ohne Abitur und Studium, mit nur 1,66 Meter Körpergröße und Kurzsichtigkeit eine Erkenntnis als ein Quell des Selbstbewusstseins.
Der Rest ist Teil der Legende: Er erfindet den Blitzwürfel, weil er sich ärgert, dass er seine Tochter nach der Geburt nicht richtig fotografieren konnte. Er erfindet den modernen Dübel, weil es ihn ärgert, dass Schrauben nicht in der Wand halten. Er erfindet das selbst bei Erwachsenen legendäre „Spielzeug“ Fischertechnik. Er erfindet, erfindet, erfindet?… Die von ihm gegründeten und von Sohn Klaus heute geführten Fischerwerke bringen es auf einen Umsatz von 633 Millionen Euro und fertigen täglich 14 Millionen Spreiz-Dübel – neben vielen anderen Produkten.
Beim Treffen mit Econo hatte er kurz zuvor bunte Röllchen aus Kartoffelstärke entwickelt: Das „TiP“ sollte Kinder zum Basteln anregen. Es war eine Wonne zu erleben, wie er wortreich und mit vollem Körpereinsatz die Vorzüge seiner Erfindung pries – bis zum Futtern eines Röllchens, um dessen Umbedenklichkeit zu beweisen.
Diese, bei aller pietistischen Zurückhaltung, kindliche Begeisterung konnte man bei Fischer immer wieder bei Treffen mit anderen Erfindern erleben. Wenn man sah, wie er sich mit dem gleichen Elan mit Leuten austauschte, die Kunststoffabdeckungen für Türschlösser oder aber Spezial-Bleche für Baggerschaufeln vermarkten wollten, dann hat eine Aussage besondere Bedeutung: „Ich komme mir vor wie eine Erfinder-Hebamme“, kicherte er damals beim Treffen. Im Hier und Jetzt mit Start-ups und Businessplänen, Seedfonds und Business-Angels hat das einen besonderen Klang. Die Erfinder und Tüftler haben einen (letzten) großen Fürsprecher verloren.