Foto: Jigal Fichtner

Einfach original

Sie hat die Firma mitgegründet, aufgebaut und im Schwarzwald gehalten: Die Unternehmerin Marlene Rühle gehört in den Dörfern rund um den Feldberg zu den Letzten ihrer Art.

Der Schreibtisch von Marlene Rühle ist zum Fenster ausgerichtet. Käme man in den Raum, während sie arbeitet, würde man nur ihren Hinterkopf sehen. Das hat einen Grund. „Schauen Sie“, sagt sie und macht eine ausschweifende Armbewegung an der Fensterfront entlang. „Soll ich mir diesen Ausblick entgehen lassen und die Tür angucken?“ Fast 180 Grad umfasst der Blick auf das Schwarzwald-Panorama. „An klaren Tagen kann man bis zu den Alpen schauen“, erzählt sie stolz.

Marlene Rühle ist Schwarzwälderin. Ihr Elternhaus steht wenige Hundert Meter von der Firma entfernt.  Vor Kurzem hat sie in Grafenhausen ihren 76. Geburtstag gefeiert. Den Maschinenbauer Rühle hat sie vor fünf Jahrzehnten zusammen mit ihrem 1991 verstorbenen Mann Willy gegründet. Der war vorher für einen schwäbischen Hersteller tätig. Doch dann stellte Marlene Rühle ihn vor die Wahl: Schwarzwald oder nix! 

Die Möglichkeit, Grafenhausen gegen einen anderen Ort einzutauschen, gab es mehrmals. Nach dem Durchbruch wollte ein bayerischer Kunde die Firma nach München locken. Sogar eine Produktionshalle hätte es dort gegeben. Einmal war man sich fast mit einer Kommune in Südbaden einig. Und nach der Wende gab es ein lukratives Angebot aus Ostdeutschland. Die Parzelle in Plauen war abgesteckt, die Wirtschaftsförderungsmaschine hätte fast auch Rühles aufgesogen. Doch nicht mit Marlene Rühle. Im Zweifel war sie das Zünglein an der Waage. Ihr Wort machte den Unterschied. „Wir bleiben hier“, hat sie gesagt. „Nur hier ist unsere Heimat.“

Die Firma beginnt in ihrem Elternhaus, einem Schwarzwaldhof in Grafenhausen. Als ein Teil der Produktion in den 1980er-Jahren nach Waldshut-Tiengen ausgelagert wird, kommt das den Rühles wie ein Verlust der Heimat vor. Fast auf dem Sterbebett beschwört Willy Rühle seine Marlene: „Verkauf Tiengen.“ Wer hört, wie Marlene ­Rühle das erzählt, bekommt eine Gänsehaut.

Ihr Elternhaus steht, wie gesagt, in Rufweite zum heutigen Firmensitz. Es wurde 1665 gebaut. 300 Jahre später erfindet Willy Rühle hier Maschinen, die anders als alles sind, was es bislang auf dem Markt gibt. „Unsere erste Maschine war eine Schneidemaschine für Schinken und Speck“, erinnert sich Marlene Rühle. Zuvor wurde die Schwarte senkrecht stehend eingelegt. Die geschnittenen Scheiben wurden unter der Last des Fleisches regelrecht zerquetscht. Die Rühle-Maschine lagert das Fleisch als erste horizontal und schneidet sauberer als der Metzger mit dem frisch geschliffenen Messer.

Die Kinder Sabine, Claus und Jörg kommen von 1964 an im Abstand von zwei Jahren zur Welt. Marlene Rühle bringt Beruf und Familie unter einen Hut, lange bevor die Republik über Kleinkind­betreuung, gleitende Arbeitszeiten oder Work-Life-Balance spricht. 

Nach Willy Rühles Tod wird vollendet, was sich das Ehepaar von Anfang an gewünscht hat: Das Unternehmen baut eine neue Fabrik im Schwarzwald, auf einer grünen Wiese in Grafenhausen. Für Trauer bleibt nicht viel Zeit. Die Planungen stehen, die Bauarbeiten dauern gerade mal acht Monate. Dann wird weiterproduziert. Heute ist hier alles an einem Ort – Entwicklung, Produktion, Montage und Verwaltung. Gut 160 Mitarbeiter unter einem Dach. Rühle zählt längst zum wirtschaftlichen Rückgrat des Hochschwarzwalds. Solche Mittelständler  werden immer seltener in den Dörfern rund um den Feldberg.

Heute hat Claus Rühle die Rolle seines Vaters inne. Er tritt 1999 in die Geschäftsführung ein, ist Tüftler und Vordenker, wenn es darum geht, die Rühle-Maschinen zu echten Originalen zu machen. Seine Mutter und er leben das Unternehmen. Nur so geht es.

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