Foto: Michael Bode für econo

Keine Zeit für Schwellenangst

Econo-Klassiker: Gabriele Siedle führt die S. Siedle. Das Unternehmen aus Furtwangen ist bekannt für seine Türklingeln und ist eine Legende. Und hat eine schwere Krise hinter sich. Die Bankdirektorin musste sich rasch einleben

Während des Gesprächs hat Gabriela Siedle die Herren stets im Blick. Revolutionäre sind darunter. Und Visionäre. Alle blicken streng und sind mit kräftigem Strich in Öl verewigt. Diese Ahnengalerie hängt bei S. Siedle & Söhne Telefon- und Telegrafenwerk in Furtwangen im Besprechungszimmer. Sie zeigt Kopf an Kopf sieben Generationen oder zusammen mehr als 260 Jahre Unternehmenstradition.

Gabriele Siedle ist die erste Frau an der Spitze. Und sie ist der erste Quereinsteiger.

Die Geschäftsführerin misst dem keine besondere Bedeutung bei, auch wenn sie mit dem Umstand gerne ein wenig kokettiert. Dabei passt sie haargenau in diese Reihe der Visionäre und Revolutionäre. Man muss es so formulieren: Ohne Gabriele Siedle wäre es um das Unternehmen schlecht bestellt. Vielleicht gebe es S. Siedle schon gar nicht mehr.

Mitte der 1990er Jahre lernt sie den Unternehmer Horst Siedle kennen. Er ist damals schon eine sozial-liberale Unternehmerlegende. Sie ist Direktorin der Dresdner Bank in Baden-Baden. Er fordert im Furtwanger Gemeinderat, die Gewerbesteuer zu erhöhen, beteiligt seit 1977 alle Mitarbeiter am Unternehmensgewinn und baut 1994 in Furtwangen ein Logistikzenturm. Gegen alle Ratschläge von Experten. Sie leitet das Vermögensgeschäft der Dresdner Bank, fühlt sich im Kundenkreis zwischen Kunst, Kultur und Golf-Events wohl. Aber wahrt sichere Distanz, täglich holt sie sich die nötige Dosis Erdung bei ihrer Mutter.

Horst Siedle tritt 1957 in das Unternehmen ein, das beschäftigt 93 Mitarbeiter und macht 750.000 Euro Umsatz. 1995 ist S. Siedle auf dem Höhepunkt, 100 Millionen Euro werden umgesetzt. Die Klingeln und Türsprechanlagen mit dem charakteristischen "SSS" werden allüberall eingebaut.

Doch als Gabriele Siedle nach Furtwangen zieht, hat die Euphorie schon einen Knacks. Die Baukonjunktur ist eingebrochen. "Es hat viel Kraft gekostet, das den Mitarbeitern begreiflich zu machen. 30 Jahre ging es nur bergauf", sagt die 60-Jährige. Betriebsbedingte Kündigungen gab es aber nicht.

Dafür eine Revolution. Angestoßen durch Gabriele Siedle. "Hätte ich damals schon mehr Ahnung von den Abläufen und Risiken gehabt, hätte ich mich dafür nicht so eingesetzt." Sie initiiert die "Steel"-Reihe. Für das Unternehmen ein Kraftakt, ein Wagnis, denn damals wird hauptsächlich Kunststoff eingesetzt. Prozesse müssen umgestellt, Maschinen neu gekauft werden. Am Ende wird "Steel" zum Meilenstein für S. Siedle. Heute hat sich der Umsatz bei 83,56 Millionen Euro stabilisiert.

Im Jahr 2000 steigt Gabriele Siedle mit in die Geschäftsleitung ein, 2005 überträgt ihr Mann Horst aufgrund seiner schweren Erkrankung ihr die alleinigen Kompetenzen. Er wechselt in einen Beirat, eine Stiftung sichert die Zukunft des Traditionsunternehmens. Und die Leitlinien sind streng: Standortsicherung lautet die Maxime. "Wir haben die Leitlinien zusammen erarbeitet und ich stehe voll dahinter", sagt Gabriele Siedle. Ungeahnter Ernst schwingt in diesem Satz mit. Das hat auch damit zu tun, dass sie in Furtwangen nicht mit offenen Armen empfangen wurde. Zu groß war die Skepsis über "die da".

Gabriele Siedle ist eine offene, neugierige Frau, sie ist jung geblieben, trägt gerne farbige Turnschuhe. Ihren Hang zu Design und Architektur sieht man an vielen Ecken und Enden, vom Besprechungszimmer bis zu Produkten. Sie hat Bande zu Architekten und Studierenden geknüpft, das Unternehmen engagiert sich international bei Symposien. Sie hat S. Siedle als Premium-Marke verankert.

Der Claim heißt jetzt: "Architektur an der Schwelle."

Zudem hat Gabriele Siedle dem Unternehmen eine weitere Revolution verordnet. Der Einstieg in die IT-basierten Türsprechanlagen. Ein weites Feld. Und ein neues: "Bislang waren wir ein produzierendes Unternehmen, jetzt programmieren wir auch Software." Es ist ein Wagnis. Wieder einmal. Doch Gabriele Siedle strahlt Zuversicht pur aus. Für die Ahnengalerie ist sie auch noch zu jung.

Das Porträt erschien zuerst in der Print-Ausgabe 7/2012 vom econo.

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